Название: Magierin der Liebe
Автор: Monika Auer
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Биографии и Мемуары
isbn: 9783748237839
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Ich bin so jung, und bereits in Zeit und Emotion gefangen.
Der Anblick des dunkelbraunen Kirchturms ängstigt mich. Ich öffne das schräge Dachfenster und schaue nach dem anderen Kirchturm. Der gehört einer katholischen Kirche, die sich ebenso in der Nähe unseres Mietshauses befindet. Aus hellbraunem Sandstein erbaut wirkt ihr Turm weniger bedrohlich. Ich lehne mich mit meinem kindlichen Oberkörper weit aus dem Dachfenster, um auf ihn eine bessere Sicht zu bekommen. Ich bin umzingelt von Gotteshäusern. Trotzdem fühle ich mich wie ein verlorenes Schaf. Was für eine Ironie. Noch bevor ich meinen Oberkörper ins Zimmer zurückziehe, überfluten mich Ohnmacht und Trauer. Da lösen die negativen Gefühle auch schon einen spontanen Klartraum aus.
Ich verliere die Balance und falle aus dem Fenster. Mein Körper rollt das Dach hinunter, an der Regenrinne vorbei, die ihn nicht aufhalten kann. Ich stürze in die Tiefe. Ich spüre den Aufschlag auf dem grauen Asphalt, direkt vor der Haustür meiner Mutter. Danach fühle ich nichts mehr. Ich bin eine Wolke, die aus erhabener Distanz alles Weitere beobachtet. Ich sehe Mama herbeieilen. Besorgt beugt sie sich über meinen leblosen Körper. Als sie begreift, dass ich tot bin, weint sie. Ja sie stimmt regelrecht ein Klagelied an. So wünsche ich es mir. Dass meine Mutter endlich Gefühle für mich zeigt.
(10) „Sich als Kind unerwünscht zu fühlen, führt dazu, dass einem als Erwachsener immer wieder das Herz gebrochen wird.“
Ich bin bereit, für die Zuneigung meiner Mutter zu sterben. Ich sehne mich wahnsinnig nach ihrer Liebe. Aber sie erfüllt sich nicht. Auch spüre ich keine Liebe durch Gott. Gibt es ihn überhaupt? Ich kann nicht aufhören, in meiner seelischen Not meine Gebete an ihn zu richten.
„Lieber Gott, bitte hilf mir. Ich bereue meine Sünden“, bete ich fleißig. „Bitte lass Mama mich lieb haben. Bitte, lass Papa mich anders lieb haben.“
Insgeheim wünsche ich mir, dass sich meine Eltern ändern. Alles ist ein Missverständnis. Ich bin ein gutes Kind.
Doch meine Gebete verhallen. Gott hört mich nicht. Und der Terror in meinem Elternhaus geht weiter. Insbesondere die narzisstische Persönlichkeitsstörung meiner Mutter hält mich in Gefühlen der Wertlosigkeit gefangen. Immer wieder erfahre ich ihre Ablehnung, gibt sie mir das Feedback, eine hässliche und unliebsame Person zu sein. Schließlich kann ich gar nicht anders, als mich selbst abzulehnen. Selbsthass.
Ich komme bald in die zweite Klasse. Die Gipsschale ist laut Arzt weiterhin notwendig. Wie ich die hasse! Eines Abends liege ich allein im Dachzimmer rücklings auf meinem Jugendbett, ohne Gipsschale. Die habe ich vors Bett auf meinen weißen Flokati-Teppich. Während ich selbst auf dem Bett ruhe, schaue ich ausgelaugt vom Streit mit meiner Mutter mit leeren Augen auf das Arrangement rund herum. Ich besitze ein braunes Nachttischchen mit einer roten Leselampe darauf. Am Fussende steht ein dunkelbrauner Schrank mit Glasregalen, auf denen einige Kinderbücher zu finden sind. Mein Blick kehrt zurück zum Nachttischchen. Plötzlich fallen mir seine spitzen Ecken auf, die mir durchaus gefährlich werden könnten. Ich schließe meine verheulten Augen, falle in einen Klartraum, wie so oft in letzter Zeit.
Ich will mich umbringen. Mit aller Wucht schlage ich meine kindliche Schläfe in voller Absicht auf eine spitze Ecke meines Nachttisches. Mein dünner Schädelknochen knackt unter dem heftigen Aufschlag. Sogleich versterbe ich an einem Reflextod. Leblos liege ich mit einem Loch im Kopf vor dem Bett auf dem weißen Flokati. Der tränkt sich unaufhörlich mit meinem roten Blut. Mit jedem weiteren Blutstropfen, der aus mir herausfließt, löst sich meine Traumseele vom Körper. Dann sammelt sie sich zu einer Wolke unterhalb der Zimmerdecke.
Von dort oben beobachte ich, wie meine Mama herbeieilt, besorgt ihre verletzte älteste Tochter in den Arm nimmt und dann zu Tode erschreckt, weil diese schon tot ist. So will ich das haben. Dass meine Mutter endlich Gefühle für mich zeigt. Ich denke, dass ich erst sterben muss, damit sie ihre Liebe für mich entdecken kann.
„Siehst du Mutter, ich bin bereit, für dich zu sterben.“
Todessehnsucht. Mein Selbstmord bleibt ein Todeswunsch. Er drückt sich lediglich in einem Klartraum aus. Ich unternehme keinen aktiven Versuch, mich umzubringen, obwohl die Liebe meiner Mutter eine ewige unerfüllte Sehnsucht bleibt und es keinen spürbaren Schutz für mich gibt. So gehen meine Kindheitsjahre dahin, in denen für mich ihre Ablehnung eine unbarmherzige Realität bleibt.
Ich weiß nicht mehr weiter. Wie soll ich den Hass meiner Mutter aushalten? Ich will ihm entfliehen. Doch wohin?
Unbewusst manifestiert sich eine schizoide Abwehr. Ich muss mich aufspalten. Und da ich jeden Tag seelischer und körperlicher Folter ausgesetzt bin, begehe ich ständig Seelenflucht. Leaving the Body. Mein Körper wird zu einem Schreckensort, dem ich vor allem nachts entkommen will. Dann träume ich mich weg.
Eines Abends erscheint in meinem Dachzimmer eine Eule. Sie sitzt hoch oben auf meinem braunen Schrank am Fußende vom Jugendbett. Das Vogelvieh ist nicht physisch präsent. Dennoch sehe ich sie klar und deutlich, als wäre es so. Ich beobachte sie dabei, wie sie mich beobachtet. Dabei wendet sie mir, die ich ausgestreckt auf meinem Bett liege, ihren Kopf zu. Sie blinzelt mit ihren großen Eulenaugen, was auf mich eine hypnotische und beruhigende Wirkung hat. Von etwas in meinem Schmerz gesehen zu werden, tröstet mich. Die Anwesenheit der Eule gibt mir zudem ein Gefühl der Sicherheit. Ich bin nicht mehr allein.
Langsam trocknet es meine Kullertränen, besänftigt es mein flatterndes Kinderherz. Unter der Aufsicht der Eule schlafe ich ein, noch bevor ich mir über ihre Erscheinung Gedanken machen kann.
Von da an soll es dreissig Jahre dauern, bis ich die Bedeutung meiner Eulenvision verstehe. Sie ist eine Tierahnin, eine wachsame Hüterin der Nacht, eine Seelenbegleiterin. Sie wacht über unruhige Seelen, wie die meine, beschützt Grenzgänger, die zwischen der alltäglichen und nichtalltäglichen Wirklichkeit hin und her wandern.
Inzwischen bin ich in der dritten Klasse. Immer noch werde ich von Mama erniedrigt und gekränkt, oft schlägt sie mich. Auch Papa kann seine Finger nicht von mir lassen, muss ich seine Geliebte sein. Ich bin im familiären Terror gefangen. All die überwältigenden Erfahrungen lassen sich kaum noch von der Amygdala verarbeiten. Oft genug bin ich über meine Gefühle und Gedanken verwirrt. Todesangst kriecht in meine Zellen. Ich spüre, dass etwas in mir erstarrt. Die Vision mit der Eule ist weg. Dafür träume ich von anderen Dingen. Es überflutet mich aus meinem Unbewussten gleich einer Druckwelle, die einem Unterwasserlabyrinth entspringt. Neben den sich wiederkehrenden Albträumen mit dem schwarzen Panther und der Inquisition einer jungen Frau, quält mich ein anderer Horror. Ich fürchte mich so sehr vor Spinnen. Diese Krabbelmonster, allen voran Taranteln und Schwarze Witwen, lassen mich instant erstarren. Arachnophobie.
Einmal, da bin ich auf dem Bauch eingeschlafen, seilt sich ein ganzes Geschwader Schwarzer Witwen von der Zimmerdecke ab. An seidenen Fäden schwingen sie in Richtung meines Rückens, wollen sich dort absetzen. Auf meine kindliche Psyche wirkt das wie ein alienhafter Angriff. Ich greife in den Traum ein, werde also luzide, um das Schlimmste zu verhindern, nämlich dass all diese Spinnen auf meinem Körper landen. Ich kann mir nichts Entsetzlicheres vorstellen. Das ist wie sterben.
Leaving The Body, 2004, Mischtechnik (Acryl, Kreide, Bleistift) auf Papier, 70 x50 cm
„Mein Körper ist ein wunderbarer Ort zu sein. Er ist mein Besitz, ein wesentlicher Bestandteil meines irdischen Seins. Und ich bin der alleinige Besitzer.“
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