Tetley schließt die Augen. Sein rasselndes Atmen wird leiser.
Bill bewegt sich nicht. Er denkt, dass es nun zu Ende ist, und er hat den Stern nicht genommen.
Da öffnet Tetley die Augen wieder.
„Du hast etwas an dir, zu dem ich Vertrauen habe", sagt der Marshal leise aber klar. „Das war es schon, weshalb ich dich mitnahm. Nicht das andere, von dem ich sprach. Natürlich kannst du den Stern wegwerfen, wenn du mit dem Geld etwas anderes vorhast. Aber ich glaube ...“
Und Bill greift nach dem Stern.
So etwas wie ein Lächeln zieht flüchtig über das Gesicht des Marshals.
„Leg mir die Hand mit dem Stern auf den Arm!", fordert Tetley.
Bill tut es.
Tetley murmelt eine Eidesformel und fordert Bill auf, nachzusprechen. Bill tut es, ohne sich die Worte merken zu können. Sie sind wohl auch gleichgültig.
„Du wirst das Geld nach Reno bringen", murmelt Tetley. „Ich spüre das. Geh jetzt hinaus."
Bill blickt ihn überrascht an.
Bill spürt den Schweiß, der an seinen Handflächen brennt. Er blickt Tetley nicht an und weiß nicht, ob der die Augen noch offen hat. Vielleicht stirbt er jetzt.
Plötzlich schämt er sich für diesen Gedanken und dreht den Kopf.
Tetley hat die Augen doch noch offen.
„Es ist jetzt soweit. Ich will allein sein. Hörst du die Wölfe heulen?"
Bill nickt. Das scharfe, ferne Geheul schlägt schon lange an seine Ohren.
„Sie finden alles", sagt Tetley gedehnt. „Sie scharren auch den tiefsten Schnee weg. Vielleicht solltest du die Hütte anbrennen. Ich wäre dir dankbar dafür."
Bill geht wortlos zur Tür und tritt in die Nacht hinaus. Der Schnee treibt in sein brennendes Gesicht. Das Heulen der Wölfe klingt näher. Er lauscht in die Hütte hinein, hört aber nichts. Da spürt er, dass er den Stern noch immer in der Hand hat. Er ist ein Marshal. Vielleicht ist er es auf eine Art geworden, die außerhalb der Legalität liegt. Doch er weiß in dieser Minute, dass er sein Versprechen einlösen wird. Er wird für eine Bahngesellschaft reiten, die von seiner Existenz sicher nichts weiß. Für einen Moment ist er versucht, über sich selbst zu lachen. Dann muss er an Tetley denken. Dieser Mann hat die Sache verdammt ernst genommen. Er wird es auch tun. Er wird das Geld beschaffen und nach Reno in Nevada bringen.
Aus der Hütte dringt immer noch kein Geräusch. Er geht zu den Bäumen hinüber, wo er die Pferde angebunden hat. Die drei Toten liegen in der Nähe, und die Pferde sind unruhig.
Er fragt sich, wie er einen Mann, der sich Dale nennt, in Hassel Junction finden soll. Vielleicht kehrt der Mann mit zwanzigtausend Dollar in der Tasche gar nicht in die Stadt zurück, aus der er kam. Aber sagten die Banditen nicht, dass er keine Angst vor ihnen in Hassel Junction zu haben brauchte?
Was mag es für ein Mann sein? Bill denkt daran, dass schon mancher arme Schlucker aus purer Not auf schlimme Gedanken kam.
Vielleicht ist es wirklich ein in Colorado ansässiger Mann. Vielleicht ein Siedler, der eine große Familie hat und nicht wusste, wie er sie über den Winter bringen sollte.
Was soll er tun, wenn er auf so einen Mann trifft und die Augen hungriger Kinder auf sich gerichtet sieht? Wird es dann reichen, wenn er daran denkt, dass ein Bahnschaffner und ein Marshal erschossen wurden?
Der Mann hat den Marshal gar nicht erschossen. Aber der Schaffner war von vier Kugeln durchbohrt. Irgendwie muss Tetleys Theorie stimmen, dass die vier Banditen jeder einen Schuss abgaben, von denen jeder für sich tödlich sein musste.
Als er die Hütte betritt, sieht er, dass Tetleys Augen gebrochen zur Decke starrten. Er ist so gestorben, wie er lebte: hart und einsam!
Bill geht auf den Mann zu und drückt ihm die Augenlider herunter. Er nimmt das Geld mit einer mechanischen Handbewegung vom Tisch und steckt es ein. Dann trägt er die beiden Toten in den Raum, nimmt die Lampe von dem rostigen Draht, der von der Decke hängt, und schleudert sie gegen die Wand.
Der penetrante Petroleumgeruch breitet sich aus. Die Flüssigkeit rinnt an der Wand nach unten, und die Flammen rennen hinterher. Es wird heller in der Hütte.
Rauch quillt Bill Jackson entgegen, als er zur Tür geht.
Die Pferde stampfen im Schnee und zerren an den Zügeln. Bill halftert sie aneinander, steigt in den McClellan-Sattel und reitet los. Hinter ihm prasselt das Feuer. Er ist noch keine fünfzig Meter gekommen, als das Dach in die Hütte hineinbricht und ein Funkenregen in die Höhe stiebt, um wieder zusammenzubrechen. Roter Feuerschein leuchtet bis zu den Föhren und Eisenholzbäumen.
Bill reitet über einen Hügel. Noch nie hat er einen Mann so beerdigt. Aber sicher hat Tetley recht. Es ist besser, als von den Wölfen aus dem Schnee gescharrt zu werden.
*
Der Stallmann in Central City furcht die Stirn, als er den Mann mit den vier ledigen Pferden hinter sich aus den nördlichen Bergen kommen sieht.
„Unglaublich", murmelt er.
„Was?", fragt der greise Storekeeper, der stehengeblieben ist.
„Dass ein Mann bei diesem Schneetreiben durch die Berge steigt."
„Ja. Und auch noch heute! Aber vielleicht weiß er gar nicht, dass Weihnachten ist."
Der Reiter kommt langsam näher. Winzige Eiskristalle hängen an seinen Brauen und geben ihm ein seltsames Aussehen.
Bill Jackson blickt an den Häuserzeilen entlang. Er kann sich nicht erinnern, schon einmal hiergewesen zu sein.
Vor dem Stallmann hält er an.
„Wie heißt diese Stadt?", fragt er.
„Central City, Fremder."
„Aha. Kennen Sie eine Stadt, die Hassel Junction heißt?"
Der Stallmann schüttelt den Kopf.
„Hast du das schon einmal gehört?", wendet er sich an den Storekeeper.
„Lass mich nachdenken! Doch, ja, das hörte ich schon. Im letzten Sommer. Es soll dort einen mächtigen Rancher geben. Das ist da drüben, hinter den Bergen." Die Hand des Mannes zeigt auf die schneebedeckten und teilweise blank gefegten Gipfel im Westen.
„Noch weit?"
„Etwa einihundertfünfzig Meilen können es sein", sagt der Mann. „Ich fürchte aber, dass es um diese Zeit keinen Weg da hinüber gibt."
„Ist in den letzten zwei Tagen ein Mann hier durchgekommen, der auch nach Westen wollte?", erkundigt sich Bill.
Die beiden Männer schütteln bestimmt die Köpfe, und der Stallmann sagt: СКАЧАТЬ