„Tot", stellt er fest. Er untersucht die Taschen des Mannes und hält auf einmal ein Bündel Geldscheine in der Hand.
Bill geht auf ihn zu. Tetley schiebt das Geld in die Tasche und wendet sich der Tür zu. Er hat sie gerade erreicht, als wieder ein Schuss kracht. Die Kugel und der Widerschein des Mündungsblitzes kommen aus der Hütte heraus.
Tetley stößt einen gepressten Fluch über die Lippen und fällt.
Bill steht stocksteif. Einer ist also noch drin. Aber wieso? Ein Knall und ein heißer Strich an seiner Wange lassen ihn herumfahren. Er wirft sich nieder.
Die nächste Kugel geht über ihn hinweg und wimmert ins Geäst der Föhren.
„Komm her!", keucht eine Stimme aus der Hütte. „Komm her, Sternträger! Ich kann nicht aufstehen. Aber schießen kann ich noch!"
Wieder ein Schuss und eine Furche links von Bill. Er springt auf und hetzt zur Hüttenwand. Eine Kugel schrammt über seinen Arm. Dann kracht er gegen die dünnen, morschen Stämme, dass die ganze Hütte erzittert.
Er blickt auf Tetley, der eben den Kopf mit einer müden Bewegung hebt und wieder sinken lässt.
„Der ist fertig", grollt die Stimme aus der Hütte. „Du musst allein kommen!"
Bill schiebt sich etwas von der Wand ab, um einen Blick in die Hütte werfen zu können. Er sieht einen zuckenden, rötlichen Lichtschein. Das Herdfeuer scheint zu brennen. Er denkt an Wärme, und gleichzeitig daran, dass er nicht ewig hier draußen stehen und warten kann.
Mit einem Satz wirft er sich in die Hütte hinein. Er landet auf etwas Weichem, und als er zugreift, spürt er einen Haarschopf zwischen den Fingern. Krachend schlägt der Tisch um und begräbt ihn unter sich. Das Donnern eines Colts klingt in dem engen Raum wie ein Kanonenschuss.
Er schleudert den Tisch von sich und springt hoch. Im zuckenden Feuerschein sieht er einen Mann, der auf einem Stuhl sitzt. Der rechte Arm des Mannes hängt am Körper schlaff nach unten. In der linken Hand hat der Bandit einen rauchenden Colt.
Da schießt Bill. Die Kugel trifft den Verbrecher so gewaltig, dass der mit dem Stuhl neben dem Herdfeuer umgeworfen wird.
Bill lässt den Colt ins Halfter gleiten und wendet sich um. Neben der Tür liegt ein Mann auf dem Gesicht. Es muss der sein, der zuerst getroffen wurde. Von ihm getroffen.
Bill leckt sich den Pulvergeschmack von den Lippen und geht hinaus.
Tetley hat wieder den Kopf gehoben. Bill ist es, als hätten sich tiefe Linien in das Gesicht des Marshals eingegraben.
„Ich helfe Ihnen, Tetley", sagt er. „Ich muss nur Platz machen."
„Die Pferde", haucht der Marshal schwach. „Vergessen Sie die Pferde nicht!"
*
Bill Jackson dreht den Docht der Lampe höher, so dass das eingefallene Gesicht des Marshals aus der Dunkelheit gerissen wird. Er hat Tetley die Jacke geöffnet. Auf dem Hemd sieht er einen dunklen Fleck, der ungefähr dort ist, wo das Herz des eisenharten Mannes schlagen muss. Vielleicht auch etwas tiefer. Bill weiß es nicht so genau.
Er geht zum Plerd und schiebt Holz ins Feuer. Das Wasser im Kupfertopf über den Flammen singt immer noch nicht.
„Jackson!"
„Ja?", fragt Bill und wendet sich um.
„Wieviel Geld?"
„Zwanzigtausend Dollar, Tetley", sagt Bill. „Mehr konnte ich nicht finden."
Tetley scheint zu nicken. Vielleicht ist es auch nur das auf und ab zuckende Licht, das Bill Jackson täuscht.
„Es stimmt", meint der Marshal mit rasselndem Atem. „Vier Mann haben sich die Arbeit geteilt. Aber nicht das Geld. Einer heißt Dale. Haben Sie … es gehört?"
„Ja." Bill schiebt noch mehr Holz in das Herdfeuer.
„Lassen Sie das, Jackson. Es hat keinen Sinn mehr. Wir brauchen kein warmes Wasser."
„Ich werde Ihnen die ..."
„Das hat keinen Zweck. Sie wissen es so gut wie ich."
„Tetley, solange ein Mann lebt, ist auch noch Hoffnung. IBM ..."
„Sie werden sich neben mich setzen und mir zuhören, Jackson. Glauben Sie mir: ein Mann wie ich weiß, wann es soweit ist."
Bill zögert einen Moment. Er sieht an dem scharfen Grat auf Tetleys Nasenrücken, wie recht der Mann hat. Seine Zeit ist abgelaufen. Er hat Pech gehabt. Er hat sich geirrt, als er dachte, in der Hütte wäre kein Leben mehr. Irgendwie war er zu hastig.
Bill zieht sich den Stuhl heran und setzt sich neben den Eisenbahn-Marshal. Der Stuhl wackelt. Es ist der, auf dem der Verletzte saß, den er erschoss. Jetzt liegen die Toten draußen im Schnee. Bald werden sie so steif wie der Büffel sein, den sie auf die Schiene zerrten. Wahrscheinlich hatten sie ihre Pferde dazu genommen, um ihn auf den Bahndamm schleifen zu können.
Tetleys Hand zittert, als er in die Hosentasche greift. Er bringt seinen silbernen Stern zum Vorschein, auf dem „US Marshal" steht.
„Ich hatte ihn immer in der Hosentasche", sagt er mit schwacher, fast schon versagender Stimme. „Die Bahngesellschaft hat ihn mir gegeben, als ich anfing. Es war gleich nach Ende des Krieges. Vielleicht eine lange Zeit. Die anderen hatten weniger Glück. Manche gaben auch wieder auf. Du solltest auch wieder aufgeben. Nicht jetzt!"
Bill blickt auf den Stern, auf dem sich das Licht der Lampe und das Herdfeuer brechen. Er denkt wieder daran, dass er sich viel Ärger erspart hätte, wenn er im Zug geblieben wäre.
Verdammt, er war Passagier. Er hatte eine Fahrkarte bezahlt! Das Geld der Bahn ging ihn einen Dreck an! Vielleicht hat Ike Bedford wirklich recht, Vielleicht ist er weiter nichts als ein Abenteurer, der ständig neue Abwechslungen und Kämpfe sucht und niemals sesshaft werden kann.
„Ich ..." Er bricht wieder ab, weil er nicht weiß, was er eigentlich sagen will.
„Der Schnee und die Kälte haben die Erde hart wie Stein gemacht", sagt Tetley. „Es ist nicht möglich, einem Sterbenden den letzten Dienst zu versprechen. Du weißt, was ich meine."
Bill steigt etwas in die Kehle. Er hat schon viele Männer sterben sehen. Aber jedesmal war es anders. Und doch immer irgendwie gleich. Er spürt, dass sein Herz rasend schnell schlägt. Er schüttelt den Kopf, sagt aber nichts.
„Mich brauchst du nicht zu täuschen", meint Tetley. „Ich wurde hier draußen groß. Bei diesem Wetter bringt man einen Toten nicht unter die Erde. Willst du mir etwas anderes versprechen?"
Bill sieht, wie sich die Hand mit dem Stern in seiner Richtung bewegt. Er weiß, was das bedeuten soll. Er blickt in Tetleys Augen und bringt nicht über die Zunge, was er sagen will.
„Das Geld muss nach Reno gebracht werden", redet der sterbende Marshal weiter. „Nicht nur die zwanzigtausend Dollar. Alles! Vierzigtausend!"
Bill schluckt den Kloß hinunter, aber er steigt wieder in seine Kehle.
„Ich СКАЧАТЬ