Название: Ein Buch für Keinen
Автор: Stefan Gruber
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Афоризмы и цитаты
isbn: 9783347043282
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Der Mensch der post-stammesgeschichtlichen Welt hat die Urschuld fraktal weitergesponnen und es liegt in seinem Wesen, niemals den Punkt der Zufriedenheit zu erreichen. Immer werden neue Bedürfnisse in ihm geweckt und immer versucht er durch Befriedigung dieser Bedürfnisse Zufriedenheit zu erreichen. Doch währt dieses Glück immer nur für kurze Zeit, bis er seinen Frieden in der Befriedigung neuer Bedürfnisse sucht. Diese Beschleunigung der Dynamik, die ständig versucht, ihr Gleichgewicht zu erreichen (dazu aber nie im Stande ist), gilt für alle Zyklen in allen Hierarchien. Überall waltet die Schuld nach Erfahrung. Und alle Zyklen entdynamisieren und zersetzen sich am Ende in exponentieller Geschwindigkeit: Je älter der Mensch wird, desto genügsamer und toleranter wird er (im Idealfall) durch Auslöschung aller Dualismen (Lebenserfahrung). Je älter ein debitischer Durchlauf wird, desto eher endet er in sich durch Auslöschung von Guthaben und Kredit. Je älter der gesamte kapitalistische Zyklus, desto degenerierter seine menschlichen Träger, die nun alles erfahren haben, was es in diesem Zyklus zu erfahren gibt, deshalb an gar nichts mehr glauben, jegliche Ideale über Bord werfen und dem egoistischen Genuss höchste Priorität zukommen lassen. Je älter eine Kultur (im Endstadium »Zivilisation«), desto träger und starrer ihr ganzer ideengeschichtlicher Inhalt – alles wurde ausprobiert und alles ist gescheitert. Je älter der menschliche Machtzyklus, desto mehr Illusionen über den Sinn und Zweck des Menschen im materiellen Dasein zerplatzen im kollektiven Bewusstsein. Dasselbe gilt natürlich auch für einen sozialistischen Zyklus, der in seiner eigenen Bürokratie und inneren Fäulnis erstickt, ebenso wie für einen kapitalistischen Betrieb, der in bürokratischer Verfilzung endet, in unfähigen Führungskräften, die sich mit dem Unternehmen nicht mehr identifizieren und in Managern, deren Interesse vorrangig aus der Maximierung des eigenen Nutzens besteht.1 Alles Existente hat seinen Frühling, Sommer, Herbst und Winter2 und überall gehen mehrere Faktoren auf unterschiedlichsten Ebenen Hand in Hand bzw. bedingen einander (kurz bevor der debitische Zyklus notwendigerweise endet, sind auch dessen Träger moralisch am Ende). Jeder Zyklus wächst als Fraktal aus einem übergeordneten Zyklus heraus und bringt selbst wieder Subzyklen hervor. Diese pflanzen sich fraktal in immer kleineren Dimensionen fort. Jedes Ende eines kleinen Zyklus (seine Entdynamisierung) kommt im übergeordneten Zyklus einer Beschleunigung gleich und bringt etwas Neues hervor. Jeder Zyklus endet, wenn eine Erstarrung eintritt, d.h. alles erfahren ist, was es innerhalb des Zyklus zu erfahren gibt. Der kapitalistische Zyklus endet (und beschleunigt den übergeordneten Kulturzyklus, der wiederum Teil des patriarchalischen Zyklus ist; siehe dazu später), wenn sich die Dynamik nur noch in Steigerungsformen des bisher Erfahrenen erschöpft, wenn also die Provokation nicht mehr der Hinterfragung alter Ideale dient, sondern bloß der Provokation wegen provoziert wird, Gewalt der Gewalt wegen, Schönheit der Schönheit wegen, Berühmtheit der Berühmtheit wegen (und nicht etwa aufgrund von Talent). Aus den Fluten der erdrückenden kapitalistischen Vielfalt schreit die Seele junger Konsumenten nach Aufmerksamkeit der Aufmerksamkeit wegen, indem sie ihre fehlende Persönlichkeit durch Provokationen und Äußerlichkeiten zu kompensieren versuchen.3 Das Dilemma liegt darin, dass diese Provokationen aufgrund ihrer Alltäglichkeit niemanden mehr interessieren. Zu abgestumpft ist die Gesellschaft bereits. Dasselbe gilt für die Kunst, die sich selbst nur mehr in Aktionismus und eitler Provokation erschöpft, um »wachzurütteln«, in Wahrheit aber, um das Ego des Künstlers zu befriedigen.4 Auch die staatlich ernannte intellektuelle Schicht, auf die wir noch gesondert zu sprechen kommen, gefällt sich gegen Ende zunehmend im Aufzeigen von echten oder vermeintlichen Missständen in der ihrer Meinung nach reaktionären Gesellschaft und wird nicht müde, ihre Eitelkeit durch Orwellsche Sprachkonstrukte (politische Korrektheit), Meinungsdiktate und die Geißelung der eigenen Kultur zu befriedigen. Durch den Ausbau immer absurderer, das freie Denken unterminierender Forderungen lässt sich nicht nur genügend Empörung ernten, die das Ego der Intellektuellen befriedigt. Die Nichteinhaltung des intellektuellen Denkschemas durch Unterschicht und Bürgertum produziert auch immer genügend Reaktionäre oder »Faschisten«, die den weiteren Kampf gegen »rechts« rechtfertigen, der für den Staat in Wahrheit ein Kampf gegen Globalisierungskritiker ist.
Das Bürgertum selbst wird durch hohe Steuern für die Bedienung der Staatsschulden, der ausufernden Bürokratie, des staatlichen Sozialtransfers und der uneinbringlichen Kredite systemrelevanter Banken und Konzerne zunehmend ausgebeutet und ausgedünnt, stirbt letztlich ab und verschmilzt mit dem 4. Stand: der formlosen Masse der Großstädte. Wir kommen darauf noch im Kapitel »Aufstieg und Fall von Kulturen« zu sprechen. Die Quintessenz dieses Kapitels kann aber bereits jetzt hervorgehoben werden: Gleichgültig wie viel Wohlstand herrscht, gleichgültig wie gut es den Menschen im Vergleich zu den Generationen zuvor geht, gleichgültig wie viele soziale Errungenschaften erkämpft wurden: Der Mensch ist niemals zufrieden, seit er von der verbotenen Frucht aß. Die zu kleinen Brüste einer 18-Jährigen können einen ebenso großen Leidensdruck darstellen wie der Überlebenskampf ihrer Urgroßmutter in den Kriegswirren, und das ist nicht einmal zynisch gemeint. Der Mensch bildet sich den Spielraum (= Unterschiede) seiner Empfindungen, den Rahmen »Leben«, stetig seit seiner Geburt und er spaltet diesen Spielraum in gut und schlecht. Der Mensch, der nie etwas anderes gewohnt war als Wohlstand, Überfluss und Freiheit, bildet einen anderen psychischen Dualismus aus als der Junkie auf der Straße oder der Bauer im 18. Jh. Letzterer wird die Intensität des Liebeskummers eines 18-jährigen Burschen aus der Großstadt des 21. Jh. niemals nachvollziehen können und jener nicht die Probleme des Bauern aus dem 18. Jh.1 Dies ist der Kern der Schuld nach Erfahrung
sich leise Empörung breit macht, dass die Bevölkerung mit Steuergeldern auch noch für diese Kunst bezahlen muss (Subvention). Erst Empörung befriedigt das Ego.
– die nie gestillte Zufriedenheit. Nicht nur die Interessen verlagern sich mit der Befriedigung der Grundbedürfnisse auf eine neue Stufe der Maslowschen Bedürfnispyramide, auch die Probleme tun das. Hatte der Bauer Not, seine Familie über die Runden zu bringen, hat der Büroangestellte heute Depressionen.
Wir haben also ein paar Beispiele für kapitalistische Produkte gesehen und sollten begreifen, dass der Dualismus überall waltet. Es gibt keinen kurzfristigen Vorteil ohne längerfristigen Nachteil auf der anderen Seite der Bilanz, und da jedes Gut im Kapitalismus durch Vorfinanzierung entstanden ist, d.h. durch Kredite, die in der Zukunft beglichen werden müssen, kann daraus gefolgert werden, dass der Kapitalismus die Gegenwart durch Vorgriff auf die Zukunft finanziert. Oder um es böser zu formulieren: Er lebt auf Kosten der Zukunft und funktioniert nur so lange, wie das Vertrauen in die Bezahlbarkeit der sich ständig vermehrenden Kredite in der Zukunft gegeben ist. Die Folge sind die wundersamsten Erscheinungen und die interessantesten Erfahrungen durch den Schuldendruck. Elvis, die Beatles, Michael Jackson, TV, Medien, der Mondflug, das Internet, mein Laptop, der allgemeine Wohlstand, die Freiheit1, die sozialen Errungenschaften (wie bald ersichtlich wird), der medizinische Fortschritt etc. – all das sind kapitalistische Erscheinungen. Lieben wir nicht die 60er, 70er und 80er? Lieben wir nicht unsere Bequemlichkeit, unsere Freiheit, unseren medizinischen und technologischen Fortschritt? Aber all das ist ohne die andere Seite der Bilanz nicht möglich: Raubbau, Umweltverschmutzung, Tierleid, periodische Crashs, am Ende die ultimative Zerstörung der Kultur und damit einhergehend großflächige Verelendung, Totalitarismus, Bürgerkrieg und kriegerische Auseinandersetzungen.
Die Frage, ob der Kapitalismus nicht das »falsche« System sei, wird sich nach Ende dieses großen Kapitels nicht mehr stellen, denn ein »richtiges« gibt es nicht.
das körperliche Schmerzempfinden СКАЧАТЬ