Название: Ein Buch für Keinen
Автор: Stefan Gruber
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Афоризмы и цитаты
isbn: 9783347043282
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Eine weitere vom Mainstream völlig missverstandene Sache ist die Rolle der Notenbanken in den Boom- und Bust-Zyklen. Die Notenbanken können, v.a. in Kombination mit Staatsausgaben, die Kreditmaschinerie wieder mittelfristig zum Laufen bringen, solange es noch genügend verpfändbares Eigentum zur Geld- und Kreditschaffung gibt. Der Effekt ist aber in der Hauptsache ein psychologischer, denn kein Unternehmer will dem anderen in Innovationen nachstehen, wenn dieser, angespornt durch niedrige Zinsen, sich nun doch für ein Aufrüsten seines Betriebes entscheidet. Ansonsten aber wird die Rolle der Notenbanken maßlos überschätzt, vor allem gegen Ende des kapitalistischen Zyklus. Niedrige Zinsen bedeuten nicht, wie das immer und immer wieder in den Medien suggeriert wird, das Heraufbeschwören einer Inflation. Sie deuten ganz im Gegenteil auf eine mächtige Angst vor der herausziehenden Deflation hin. Wenn eine Volkswirtschaft ihr Verschuldungslimit erreicht hat, kann eine Notenbank mit Nullzinsen gar nichts ausrichten. Heinsohn weist darauf auch immer wieder hin. Boom- und Bust-Zyklen entstehen durch Innovationsschübe und sind fast völlig unabhängig vom herrschenden Zinsniveau. Oder wie der Ökonom Joseph A. Schumpeter es formulierte: »Durch die Produktion von neuen Dingen oder durch die billigere Produktion von alten Dingen einzuheimsende Gewinnmöglichkeiten verwirklichen sich ständig und fordern neue Investitionen. Diese neuen Produkte und neuen Methoden konkurrieren die alten Produkte und alten Methoden nicht zu gleichen Bedingungen, sondern mit einem entscheidenden Vorsprung, der für die letzteren den Tod bedeuten kann. Auf diese Weise geht der ›Fortschritt‹ in der kapitalistischen Gesellschaft vor sich. Um zu vermeiden, dass sie unterboten wird, ist jede Unternehmung letzten Endes gezwungen, dasselbe zu tun, muß ihrerseits investieren und muß, um dies tun zu können, Teile ihrer Profite in den eigenen Betrieb wieder hineinstecken, das heißt: akkumulieren. So akkumulieren auch alle anderen.«1
Sobald in einem Marktsegment eine Neuerung auftritt, muss jeder Unternehmer dieser Branche seinen Betrieb auf Vordermann bringen. Tut er es nicht, dann tut es ein anderer und es fällt der Wert seines Eigentums und damit die Verpfändungs- und Verschuldungsfähigkeit. Um seine Position im Markt zu verteidigen, wird jeder Unternehmer, fast unabhängig vom Zinsniveau, Kredite gegen Eigentum generieren. Das zusätzliche Geld wirkt preistreibend und damit inflationär. Das ist der Boom. Sobald alle Betriebe die neue Innovation umgesetzt haben, kommt es zu einem erbitterten Preiskampf und vor allem zu einem Überangebot am Markt, eventuell sogar zusätzlich verstärkt durch die Innovation selbst, die unter Umständen einen höheren Output an Produkten liefert.1 Die insgesamt aufgenommene Kreditsumme bleibt in ihrer Höhe natürlich konstant, während im Preiskampf das darunterliegende Eigentum runtergepreist wird. Es kommt zum Bust, in dem viele Betriebe untergehen. Nur die Zähesten überleben, sie werden mit der Marktführerschaft belohnt. Die Niedrigzinspolitik kann die Folgen eines solchen Busts abfedern und exzessive Staatsausgaben können eine deflationäre Spirale mildern oder sogar für ein paar weitere Jahre aufschieben, wenn noch genügend verpfändbares Eigentum vorhanden ist. Grundsätzlich aber dient die Niedrigzinspolitik in erster Linie den Banken. Diese sollen sich bei deflationären Schocks jederzeit refinanzieren können, um Bank Runs zu vermeiden. Der ungute Nebeneffekt aber ist der: Die Konkurrenzsituation der Banken untereinander sorgt dafür, dass sich alle Banken, auch die, die finanziell gut gepolstert dastehen, bei der Notenbank billigst refinanzieren, um damit höher verzinste Firmen- und Staatsanleihen zu kaufen. Es kommt durch Spekulation zum Aufblähen des Finanzsektors, der sich von der Realwirtschaft abkoppelt. Dieser fehlt (durch die Fluten an Geld) der Schulden- und Innovationsdruck (die Unternehmer spekulieren mit diesem Geld lieber am Markt, der durch den künstlich induzierten Boom mehr abwirft als Unternehmensinnovationen), sodass die Nullzinspolitik letztendlich erst recht die Wirtschaft zum Abflauen bringt.
Welche massenpsychologischen Auswirkungen haben nun Wachstumszwang, Schuldendruck und Inflation? Wenn wir uns vorerst auf den modernen Kapitalismus der Nachkriegszeit beschränken1, so führt der Zwang zu Wirtschaftswachstum und Nachschuldnerfindung dazu, dass in der Bevölkerung immer mehr Bedürfnisse geweckt werden müssen, die vorher noch nicht da waren. Vor der Erfindung des Automobils vermisste es niemand. Erst der Schuldendruck brachte es hervor (bzw. der Zwang zu Effizienz und Wirtschaftswachstum machte es massentauglich) und durch die Werbung stieß es auf allgemeine Akzeptanz. So wie Kredite anderswo zu Guthaben werden und diese Guthaben der Besicherung von neuen Krediten dienen, so werden technische Erfindungen wie diese zur Basis für eine weitere Beschleunigung des Fortschritts. Der Handel beschleunigt sich, parallel dazu werden Verkehrswege gebaut und ausgebaut usw. Was für das Auto gilt, gilt ebenso für den Computer und später für das Internet oder vor dem Automobil für die Dampfmaschine. Diese Bedürfnisse sind auch der Grund, warum man im Kapitalismus trotz wachsenden Wohlstands niemals an den Punkt kommt, der Zufriedenheit auslöst, denn eine zufriedene Gesellschaft, die glücklich ist mit dem, was sie hat, wäre der sofortige deflationäre Tod des Systems. Deshalb müssen immer neue Produkte und Trends ins Leben gerufen werden und mit ihnen das Gefühl, nicht gut genug zu sein, wenn man diese Produkte nicht besitzt bzw. Trends verweigert. Darüber hinaus wird jede neue Entwicklung, die scheinbar mehr Freizeit und eine Vereinfachung des Alltags verspricht, sofort zur Basis für eine weitere Beschleunigung des Wachstumsprozesses und eine Erhöhung der Komplexität des Gesamtsystems. Hat das Auto früher enorm viel Zeit gespart, wurde es heute zur Notwendigkeit für teilweise stundenlange Fahrten zur Arbeit und zum Einkauf. Hat das E-Mail den zeitraubenden Brief ersetzt, werden wir heute mit zigfach mehr elektronischen Briefen zugemüllt und investieren noch mehr Zeit in diese Form der Kommunikation. Die Beschleunigung erhöht sich im Zeitablauf immer mehr und zwar nicht nur seit der Nachkriegszeit, sondern seit Anbeginn des Kapitalismus.2 Der Nachkriegskapitalismus ist bloß eine Exponentialkurve innerhalb einer großen Exponentialkurve. Je weiter der Kapitalismus voranschreitet, desto aggressiver werden Bedürfnisse geweckt. Dies wiederum geht auch Hand in Hand mit den psychologischen Ersatzhandlungen des Konsumenten, der aufgrund des steigenden Wohlstandes seine Zeit nicht mehr mit der Suche nach Nahrung verbringen muss, sondern diesen Trieb in der Maslowschen Bedürfnispyramide nach oben transformiert und durch künstliche Ziele kompensiert. Diese künstlichen Ziele können Schönheits- und Jugendwahn, Hobbys, Sport, Modesucht etc. sein; sie machen den Träger des spätkapitalistischen Systems zum Konsumenten und Nachschuldner, bis der Prozess in der absoluten Dekadenz in sich selbst endet.
Oft hören wir die Klage älterer Menschen, dass die Zeit damals (1950 – 1980) langsamer verging und heute alles so hektisch sei. Der Grund für das subjektive Empfinden einer langsamer verstrichenen Zeit liegt daran, dass der Kapitalismus damals noch nicht seinen exponentiellen Höhepunkt (kurz vor dem Untergang) erreicht hatte. Die 50er und 60er waren geprägt von Rock ´n´ Roll und zugehörigen Modetrends, ebenso wie die Hippie-Bewegung der 60er und die Disco-Ära der 70er Jahre. Dann wechselten Musik und Modetrends in immer schnelleren Intervallen, und heute blickt bei der Vielfalt an Musikstilen und Trends nicht einmal die Jugend selbst mehr durch, welche die breite geistige Verflachung (zu deren Ursachen wir gleich kommen) und ihren fehlenden charakterlichen Individualismus durch individuellen Musik- und Kleidungsstil zu kompensieren versucht. Die immer schneller wechselnden Trends, die immer stärker voranschreitenden technischen Errungenschaften (an welche die ältere Generation nicht mehr anschließen kann), die immer aggressivere Werbung, die exponentiell wachsende Vielfalt an Konsumartikeln und Lifestyleprodukten sowie die allgemein zunehmende Hektik durch Werbereklamen, Verstädterung und den Übergang in die spätkapitalistische Konsumgesellschaft geben den Alten mit ihrer Klage Recht. Da der Mensch nicht mehr essen kann, als er als Mensch essen kann1, nicht mehr zum Anziehen kaufen kann, als sein Wohnheim fassen kann und der technologische Fortschritt sich schnell in der Verbesserung des zum Zeitpunkt physikalisch Möglichen erschöpft2, weicht die Nachschuldnerfindung in der Masse auf Wellness-3 und Unterhaltungsprodukte aus: Mode, Schönheits- und Jugendwahn, Computer- und Konsolenspiele, Promi-Magazine, technischer Schnickschnack etc. Der Konsumwahn, als letzte Phase des kapitalistischen Zyklus, zeichnet sich, wie bereits erwähnt, vor allem dadurch aus, dass er keine Grundlage, d.h. kein freies Eigentum mehr bietet zur Kreditgenerierung. Das Geld fällt dem stupiden Konsum anheim und zuletzt gibt es keine großen Erfindungen mehr, die als Basisinnovation die Schuldenkurve noch ein paar Jährchen länger in die Senkrechte treiben könnten. Zusätzlich waltet die Inflation, welche die Sparmoral bestraft und den Konsum begünstigt.
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