Название: Der Hebräerbrief - Ein heilsgeschichtlicher Kommentar
Автор: Roman Nies
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Афоризмы и цитаты
isbn: 9783347131354
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Die jüdischen Denker haben richtig erkannt, was auch die Autoren des Neuen Testaments herausgestellt haben, nämlich dass die Hinwendung zu Gott und zu Gottes Wesen zum Heil unbedingt erforderlich sind. Ebenso wie das Gegenstück dazu, die Abkehr vom Bösen. Diese erfolgt jedoch von selbst, wenn man sich Gott zuwendet. Wer sagt, dass er Gottes Werke tut, obwohl er Böses tut, lebt einen Widerspruch. Die Torah ist heilig und gut, sagte auch ein Paulus, aber nur wenn man sie recht gebraucht. Recht gebraucht man sie nur, wenn man mit ihr diesem Gott nähherkommt, der die Gebote der Torah aufgestellt hat, um eine erste Orientierung für die rechte Heilsrichtung zu geben. Wer einen Rührlöffel dem Zweck zuführt, einen Teig umzurühren, führt ihm einen rechten Zweck zu. Das wird ihn aber nicht vor dem Tod retten. Sonderbarer Weise denken viele Menschen, dass sie durch den rechten Gebrauch der Torah gerettet werden können. Die Torah hat keinen Selbstzweck, der ihr dann doch auch wieder nur von Gott gegeben sein müsste. Der Zweck der Schöpfung hängt mit der Gemeinschaft engstens zusammen, die Gott mit Seiner Schöpfung eingehen möchte. Deshalb ist die Sünde tatsächlich nicht einfach nur ein Verstoß gegen eine Gesetzessammlung zu einem besseren Leben, sondern das Anders-wollen wie Gott will und Gott geht es immer um die heilsame Gemeinschaft.
Die Juden, die den Worten ihrer Bibel glaubten, hofften Aufnahme zu finden in das messianische Reich. Sie hatten dazu eine grobe Orientierung mit eben dieser Torah und den übrigen heiligen Schriften. Aber es blieb nur eine Hoffnung, denn eine sichere Heilszusage gab es nicht, die man durch ausreichende Werke bestätigen konnte. *50 Der Grund dafür liegt in der begrenzten Kraft der Torah und des bloß Menschenmöglichen. Es fehlt dem ganzen Alten Testament mit Seinem Bund die persönliche Begegnung mit Christus. An Ihm hängt aber die ganze Schöpfung. Zuerst als JHWH, dann als Jeschua. Zuerst in der Über- und Unterordnung und dann in der vollendlichen Hinzufügung.
Ohne die Anerkennung des Messias Jesus blieben die Hüter des Erbes des Alten Bundes in der Ungewissheit. Das ist das Ureigene des christlichen Glaubens, dass er den Christus im Herzen hat. Wo nicht, ist es kein vollendlicher christlicher Glauben. Insofern ist die Bezeichnung für die Anhänger Jesu als „Christen“ zwar richtig, aber unvollständig, wenn sie den Christus nicht persönlich in sich haben. „Christus“ ist ja das latinisierte Wort für Christos, was „Gesalbter“ bedeutet. Dem entspricht das hebräische Meschiach, das ebenso latinisiert wurde zu Messias. Das „Jesus“ bleibt dabei außen vor. Das aber ist das Übergeordnete zum Messias, denn der, der König über alle Menschen ist, ist auch der Erlöser aller Menschen. Jeschua bedeutet nämlich „JHWH rettet“. Der Name ist Programm, denn derjenige, der war und ist und sein wird, weil Er das nicht zu beschränkende Leben in vollkommenster Form ist und weil dieses Leben auch nicht in der Weitergabe verhindert werden kann, erlöst vor jeglicher Art von Beschränkung.
Die Christen, die es seit den dreißiger Jahren des ersten Jahrhunderts gibt, sind also die ersten, die diese Zusammenhänge verstehen können und sie auf sich beziehen können, denn ohne Jesus, ohne den „JHWH rettet“, gibt es keine Rettung und dementsprechend auch keine Zielerreichung zum Leben göttlicher Art. Leben göttlicher Art ist Leben, das ist und sein wird und zwar nach der Art Gottes. Das ist mehr als nur ein Leben in einem messianischen Reich, in wunderbaren, aber noch nicht vollkommenen Verhältnissen.
In dem Maße wie sehr sich irgendjemand, sei es ein Jude, oder ein Nichtjude, allein für sich oder in der Gemeinde, diesem Jesus anschließen würde, hätte er auch die Nähe zu Ihm. Wenn Jesus oder eine Vorstellung über Ihn nur eine Nebenrolle spielen, oder nicht in jeder Lehre zum Tragen kommen würde, dann wäre man Angehöriger einer Kirche oder einer Denkrichtung, die den üblichen Gesetzmäßigkeiten menschlichen Zusammenlebens und gesellschaftlicher Entwicklungen unterworfen ist. Zwischen diesen beiden Polen, der heidnischen Umwelt mit der hellenistisch-jüdischen Kultur auf der einen Seite und dem Maß der persönlichen Beziehung zu Christus auf der anderen, befinden sich diejenigen, die sich Christen nennen lassen. Das trifft auf nichtjüdische Christen ebenso zu wie auf die jüdischen Christen.
Die Letzteren waren noch einmal unterteilt. Diese Teilung entstand früher als alle weiteren Abspaltungen, die sich in der Kirchengeschichte später einstellen sollten. Da war die Gemeinde in Jerusalem und dann gab es noch die messianischen Juden in der Diaspora. So wie sich die Jerusalemer Juden von den Juden in der Diaspora unterschieden, die einem viel stärkeren Einfluss durch den Hellenismus ausgesetzt waren, so war es auch bei den messianischen Juden. War man aus Jerusalem, gehörte man zu den Eiferern für die Torah (Ap 21,20), war man aus der Diaspora hatte man vielleicht ein Faible für mehr Liberalismus. *51 Eine unterschiedliche Ausrichtung lässt auch die Apostelgeschichte vermuten. Stephanus, dem Namen nach ein hellenistischer Diasporajude, wird in Jerusalem von „orthodoxen“ Juden gelyncht bzw. im Schnellverfahren an die Wand gestellt. Man liest nichts davon, dass ihn die Brüder von Jerusalem unterstützt hätten. Das scheint noch keinem Bibelausleger aufgefallen zu sein.
Später wird Paulus, der Apostel der Nichtjuden, in Jerusalem festgesetzt und nach Cäsarea ans Mittelmeer verbracht, wo er monatelang inhaftiert wird (Ap 23-25). Auch da liest man nichts von einer Unterstützung aus Jerusalem. Paulus bezeichnet die Brüder aus Jerusalem, die ihm seine von der Botschaft, die die Brüder in Jerusalem vertreten, abweichende Botschaft wehren wollen, als „einige von Jakobus“ (Gal 2,12). Sein Reisegefährte Lukas, der jedenfalls auch aus der Diaspora stammte, nennt sie „die aus der Beschneidung“ (Ap 11,2). Man muss hier keine Distanz hineinlesen, denn sie steht immanent im Text! Auch das scheint noch niemand wirklich aufgefallen zu sein.
Die Geschichte um die Heuchelei von Petrus (Gal 2) und wie Petrus bei der Apostelkonferenz Paulus verteidigt (Ap 15,7ff), dass auch ein Petrus seine eigenen Ansichten hatte, wie mit der neuen Lehre, die Paulus von Christus persönlich erhalten hatte, umzugehen war. *52 Der Jakobusbrief schließlich zeigt einen eklatanten Unterschied zur Lehre des Paulus. Die Jerusalemer messianisch-jüdische Gemeinde war torahtreu und entging vielleicht auch deshalb größeren Problemen mit dem Judentum, das in Jerusalem besonders konservativ war. Hellenistische Juden wie Stephanus, ob sie in der Diaspora lebten oder in Jerusalem, waren meist liberaler und weltoffener. Dass die Jerusalemer Gemeinde, bei denen es viele Eiferer für die Torah gab (Ap 21,20), einigermaßen von den orthodoxen Juden geduldet wurde, was man über den Torahkritiker Paulus nicht sagen konnte, wird eindrücklich belegt. Wann immer Paulus nach seiner Bekehrung nach Jerusalem kam, bekam er Ärger. Jedes Mal gab es einen Volksaufstand und er musste Hals über Kopf fliehen.
Für die Jerusalemer Gemeinde bedeutete die Anwesenheit von Paulus Stress. Die Brüder waren deshalb froh, wenn er die Stadt wieder verlassen hat, denn so waren auch sie nicht mehr gefährdet. Die Gemeinde war kein verschworener Haufen von Geheimbündlern. Sie hatten alle Familien, für die sie zu sorgen hatten. Das war insbesondere nach dem Debakel mit dem Versuch des Kommunismus, das einige arm gemacht und andere über Gebühr belastet hatte, umso schwieriger. *53
Die Apostelgeschichte drückt das schonungsvoll und vielleicht auch mit einer gewissen Ironie aus. Paulus legte sich mit den Hellenisten an, vermutlich waren es nichtmessianische Juden, denn auch denen war der Liberalismus eines Paulus zu viel (Ap 9,29). „Als die Brüder es aber erfuhren, brachten sie ihn nach Cäsarea hinab und sandten ihn weg nach Tarsus. So hatte denn die Gemeinde durch ganz Judäa und Galiläa und Samaria hin Frieden.“ (Ap 9,30-31) Hätte es die Praxis damals schon gegeben, hätte man auch drei Kreuze dazu gemacht. Man schicke einen Störenfried weg, dann herrscht wieder Frieden. Was hatte Jesus gesagt? „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen …“ (Mt 10,34).
Das orthodoxe Judentum verlagerte seine Gegnerschaft von den zunehmend bedeutungslos werdenden messianischen Juden auf die nichtjüdischen СКАЧАТЬ