Название: Paris abseits der Pfade (Jumboband)
Автор: Georg Renöckl
Издательство: Bookwire
Жанр: Путеводители
isbn: 9783991002970
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Ich gehe an einem weiteren Flohmarkt-Bistro vorbei, der Chope des Puces. Es handelt sich um kein unbekanntes Lokal: Django Reinhardt trat hier auf, der Manouche-Gitarrist lebte im Haus dahinter. Noch heute finden am Wochenende von halb eins bis spätabends Konzerte mit Manouche-Musikern statt, doch am Vormittag ist es ruhig. Ich werfe einen Blick in das Lokal und wechsle ein paar Worte mit der Wirtin, die sich als Madame La Coupe (was man mit „Champagnerschale“ übersetzen kann) vorstellt. Eigentümer des Lokals ist der Jahrmarkt-Unternehmer Marcel Campion, eine skandalumwitterte, schillernde Figur des französischen Wirtschafts- und Gesellschaftslebens. Campion ist aber auch selbst Manouche-Musiker und möchte den Geist dieser vor allem in den 1930er-Jahren populären Musik, in der sich Jazz, Chanson, Klezmer- und Roma-Musik verbinden, in seinem Lokal am Leben erhalten.
Kurz nach dem Django-Reinhardt-Bistro, in dem gerade die ersten Apéros bestellt werden, biege ich nach links in die Rue Paul Bert, die zum gleichnamigen Markt führt. Die Straße säumen einige alte Häuser mit teils verwilderten Vorgärten, vor denen Antiquitäten stehen. Colonial concept heißt eines dieser Häuser. Ausgestopfte Pfaue, die ich im Vorbeigehen aus dem Augenwinkel wahrnehme, machen mich neugierig, ich betrete das Haus. Einmal mehr finde ich mich in einem Dekor wieder, das mir das Gefühl gibt, in einem Film oder einem Märchen gelandet zu sein, allerdings in einem gruseligen: Die Pfaue waren nur ein Vorgeschmack, in einem zweiten Haus hinter dem straßenseitigen Gebäude befinden sich noch viel mehr ausgestopfte Tiere. Eine in drei Stücke geteilte Giraffe zum Beispiel, deren nach unten geneigter Hals weit in den Raum hineinragt. Sie streckt die Zunge heraus, als würde sie dem Verkäufer, der in einem Lehnstuhl gleich darunter sitzt, über den gegelten Schopf schlecken wollen. Ein grotesker, auf seine Weise großartiger Anblick. Einige Zebraköpfe mit geblecktem Gebiss grinsen von der Wand, ein ausgestopfter kleiner Schwarzbär scheint mit einem Strauß von drei Gasballons, die er fest in der Pfote hält, davonzufliegen. Weiße Pfauen starren mich an, ein hübsches weißes Pferd sieht so lebendig aus, dass ich es unwillkürlich streichle.
Colonial Concept
François Daneck heißt der Eigentümer des Geschäfts, der sich mehr als Künstler denn als Präparator oder Händler versteht. Ein wenig dürfte er sich an Damien Hirst orientieren, mich überzeugen seine gruselig-kitschigen Kunstwerke aus verzierten Tier-Totenköpfen aber nicht. Dafür hat es etwas von einer morbiden Fantasiereise, zwischen den vielen ausgestopften Tieren und den mit Tierfellen und -häuten überzogenen Möbeln herumzuspazieren, mit denen das Häuschen auf drei Etagen bis unters Dach vollgeräumt ist. In der Nacht wäre ich lieber nicht hier drin, wobei mir da einfällt: Waren es nicht ganz ähnliche weiße Pfauen, die bei dem Fest F. Scott Fitzgeralds in Woody Allens „Midnight in Paris“ für das unwirklich-dekadente Dekor sorgten? Ich möchte Monsieur Daneck danach fragen, doch der ist gerade mit zwei eleganten Pariserinnen in engen Lederhosen ins Gespräch vertieft, die ernsthaft überlegen, sich einen Zebrakopf mitzunehmen, und ich will nicht indiskret danebenstehen und bei den Preisverhandlungen zuhören. Letztendlich ist es auch egal, ob Woody Allen die Dekoration für den Film hier oder in einem ähnlichen Laden besorgt hat. Beim Verkäufer unter der Giraffenzunge erkundige ich mich im Hinausgehen nach den Preisen: 26 000 Euro kostet die Giraffe, die es nur im Ganzen zu kaufen gibt, 9500 das weiße Pferd, 14 500 der Bär mit den Ballons.
Während ich versuche, gedanklich wieder in meine Realität zurückzufinden, stehe ich schon im Nebenhaus, Les Merveilles de Babellou. Alte Statuen, Steinbrocken, die wie von Kirchtürmen abgebrochen aussehen, allerlei Vasen und Säulen stehen im Erdgeschoß herum. Der eigentliche Höhepunkt des Hauses ist der verträumt verwachsene Garten, dem antike Ruinenteile und alte Gartenmöbel den Anschein einer verwunschenen Märchenlandschaft geben – sehr gekonnt inszeniert ist das. Auf dem Rückweg über ein paar Stufen ins Geschäft fällt mein Blick auf die lange Tafel im Kellergeschoß, offenbar hat die gesamte Belegschaft gerade zu Mittag gegessen, man hört fröhliche Gespräche und das Klappern des Geschirrs, das gerade weggeräumt wird. In einem eleganten Stuhl inmitten ihrer antiken Schätze sitzt unverkennbar die Chefin des Hauses und plaudert mit einer Mitarbeiterin über das Rezept, das sie heute Mittag ausprobiert hat. Es ist ein Klassiker der gutbürgerlichen französischen Küche: Poule au Pot, die berühmte Henne, die nach dem Wunsch des guten Königs Henri IV. jeder Franzose sonntags in seinem Suppentopf haben sollte. Ich kann nicht widerstehen und spreche Madame auf das Rezept an. Tatsächlich hat sie es heute selbst gekocht, für ihre Mitarbeiter und einige befreundete Antiquare. Sie hat das Rezept von ihrer Mutter übernommen, hier ist es:
LA POULE AU POT DE MME KLEIN
Zutaten:
1 nicht zu altes Suppenhuhn
Salz, Pfeffer
2 halbierte Zwiebeln
Thymian, Lorbeer
optional 1 Würfel Hühnersuppe
jeweils etwa 500 g Halmrüben (Navets), Karotten, Kartoffeln, Sellerie, Lauch
30 g Butter
30 g Mehl
¼ l Obers
2 Dotter
Das Huhn salzen und pfeffern, in einem großen Schmortopf mit Wasser bedecken und mit den halbierten Zwiebeln und einem Gewürzstrauß aus Thymian und Lorbeer eineinhalb Stunden köcheln lassen, eventuell den Suppenwürfel dazugeben. Währenddessen Rüben, Karotten, Kartoffeln, Sellerie und Lauch schälen und in Stücke schneiden. Dazugeben, ggf. noch salzen und eine weitere halbe Stunde köcheln lassen.
Für die Sauce Butter im Kochtopf aufschäumen lassen, das Mehl einrühren und kurz rösten. Mit einem halben Liter der filtrierten Hühnersuppe ablöschen, gut verrühren und noch einmal aufkochen lassen, Obers dazugeben, abschmecken. Die fertige Sauce vom Feuer nehmen und danach die Dotter einrühren. Keinesfalls mehr kochen!
Das Huhn zerteilen und mit dem Gemüse, der Sauce und gekochtem Reis auf flachen Tellern anrichten. Die (leere) Suppe wird traditionell in Tassen dazu gereicht und getrunken.
Mme Klein, die aus einer Winzerfamilie stammt, empfiehlt dazu unbedingt einen eher jungen Crozes Hermitage, einen vollmundigen Rotwein aus dem nördlichen Rhônetal, kann sich aber auch einen Weißwein vorstellen – nur allzu leicht darf er nicht sein.
Henri IV. hätte sein Huhn übrigens noch mit einer Mischung aus Innereien, Wurstbrät, Brotwürfeln, Ei und Kräutern gefüllt – doch die Verkäuferin bestätigt, dass das Huhn auch ungefüllt einfach perfekt war.
Mme Klein war früher Visagistin und Modedesignerin mit Hang zum Extravaganten gewesen, Antiquitäten liebte sie aber „schon immer“. Vor mehr als zwanzig Jahren begann sie mit dem Handel, vor sechs Jahren ist sie mit ihrem Mann in dieses Haus gezogen, in dessen Obergeschoß sie wohnen. Dem Charme des Hauses und seines Gartens ist sie auf den ersten Blick erlegen – was man sofort versteht.
Es war ein guter Einstieg ins Gespräch, Mme Klein nach dem Kochrezept zu fragen. In Fahrt gekommen, beantwortet sie mir ganz von selbst eine Frage, die ich mir schon lang gestellt habe: СКАЧАТЬ