Paris abseits der Pfade (Jumboband). Georg Renöckl
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Название: Paris abseits der Pfade (Jumboband)

Автор: Georg Renöckl

Издательство: Bookwire

Жанр: Путеводители

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isbn: 9783991002970

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СКАЧАТЬ der Schönste, Verwirrendste und Authentischste der Märkte hier. Obwohl es kurz nach zehn Uhr ist, bin ich trotz gemütlichem Frühstück inklusive Hühnerstallbesichtigung früh dran, viele Stände sind erst am Aufsperren. Ich genieße diese menschenfreundliche Praxis in vollen Zügen – in Wien muss man angeblich um sechs Uhr morgens schon auf dem Flohmarkt sein, um die besten Stücke zu ergattern. Ich habe mir das zwar schon öfter vorgenommen, es dann aber doch nie geschafft, mich der Terrorherrschaft der Frühaufsteher anzupassen.

      In St. Ouen kann man die Sache ungleich entspannter angehen. Ein bärtiger Händler mit Kapitänsjacke stellt gerade ein paar schöne Stücke vor seinem Stand namens Le doux logis auf, darunter ein hübsches Karussellpferd. Wir kommen ins Gespräch, merken nach ein paar Sätzen, dass wir beide keine Franzosen sind und sprechen auf Deutsch weiter: Oliver ist Deutscher und lebt seit 22 Jahren in Paris, eigentlich ist er Architekt. Schon als Jugendlicher hat er alte Schilder gesammelt, und auch sein Logo, „Le doux logis“, was man frei mit „Sweet Home“ übersetzen könnte, hat er einmal von einem längst geschlossenen Heimtextilienladen in seiner Nachbarschaft abgeschraubt und in den Keller geräumt, ohne zu wissen, was er damit anfangen sollte. Vor ein paar Jahren hat er dann beschlossen, aus seiner Sammelleidenschaft einen Beruf zu machen, und einen freien Stand in St. Ouen gekauft. Er schimpft etwas über die schwierigen Zeiten, weil die Leute angesichts der permanenten Krisen wenig Lust haben, Geld auszugeben, aber dieses Schimpfen könnte auch zur ganz normalen Pariser Folklore gehören. Ich begleite Oliver, der noch Wasser für seinen Kaffee holen muss, ein paar Schritte durch den Markt. Der Architekt, der damit beauftragt wurde, einen neuen Plan des Marktes zu zeichnen, geht mit einem anderen Blick durch die Stände als der Laie. Den Brandschutz findet er katastrophal, nicht von ungefähr sei in den 1960er-Jahren ein großer Teil des Marktes abgebrannt. Oliver urteilt streng, in den hübschen alten Buden sieht er nur morsches Holz unter zerknitterten Blechverkleidungen, die vom Rost zusammengehalten werden: „Mit Blech umwickelte Streichhölzer sind das!“ Noch mehr ärgert ihn das Kanalsystem, die Toiletten sind ständig verstopft, die Seifenspender brechen ab – und das bei einer nagelneuen Anlage … In meinen Ohren klingt seine Suada fast ein wenig zu pariserisch, oft sind Zuwanderer ja päpstlicher als der Papst beziehungsweise royalistischer als der König, wie man in Frankreich sagt.

      Auf jeden Fall ist der Kaffee stark und heiß, eine Wohltat an diesem eiskalten Vormittag, an dem ein ständiges Lüftchen für zusätzliche Frische sorgt. Auch dafür ist St. Ouen bekannt. Oliver schimpft weiter wie ein Pariser Rohrspatz, er findet, dass viele seiner Kollegen sich nicht genug Mühe bei der Präsentation geben: „Schauen Sie sich das an, die Neonlampe ist für so einen Stand doch viel zu groß! Oder der hier, hat einen so schönen Kronleuchter und dann schraubt er Sparlampen rein, das verstehe ich einfach nicht.“ Er selbst legt großen Wert auf stimmige Beleuchtung und geschmackvolle Inszenierung seiner Ware, die er bei Wohnungsräumungen kauft, bei fliegenden Händlern in der Zone oder auch bei Kollegen, denen manche Stücke nicht ins sonstige Angebot passen. Schilder, Blechdosen oder Comic-Gläser aus seiner Sammlung bringt er oft in wenigen Minuten an den Kunden, dann ist der Stundenlohn gut – manchmal dauert alles viel länger, wie bei dem kleinen Spielzeugmuldenkipper, den ich zufällig in die Hand genommen habe. Zwei Stunden lang hat er bei einem auf altes Spielzeug spezialisierten Kollegen die Kiste mit den winzigen Ersatzteilen durchwühlt, damit der kleine Laster wieder auf vier halbwegs gleichen Reifen rollt. 15 Euro kostet er nun, das lohnt sich natürlich nicht. Ich lege das angesichts der darin steckenden Arbeit wertvolle Stück gleich wieder zurück, mein zweijähriger Sohn würde Olivers mühsame Sucherei wohl in wenigen Augenblicken zunichtemachen. Der zum „Pucier“ gewordene deutsche Architekt, der den Markt im Grunde leidenschaftlich liebt – „Wer heftig liebt, haut auch fest zu“, noch so ein französisches Sprichwort –, weiß viele Anekdoten vom Flohmarkt zu erzählen. Etwa von den Originalplänen des Kölner Doms, die im Jahr 1816 auf einem Pariser Flohmarkt auftauchten, woraufhin der eingestellte Bau wieder aufgenommen wurde. Es sind Geschichten wie diese, die für Oliver den Reiz des Marktes ausmachen. Es gibt die seltenen Perlen, die Stecknadeln im Heuhaufen, und auch wenn sich die Händler heute besser auskennen, werden nach wie vor echte Überraschungsfunde gemacht. Freilich braucht man eine gewisse Expertise, und das nicht nur, um eventuell doch noch eine Originalskizze von Leonardo da Vinci unter einem Stapel wertloser Drucke herauszufischen. Die Asterix-Gläser, die ich gerade noch zu kaufen überlegt habe, stammen aus dem Jahr 1968, Sammler erkennen das auf den ersten Blick. Für den morgendlichen Orangensaft der Kinder würde er die nicht nehmen, das sind echte Sammlerstücke, erklärt mir Oliver, nun wieder ganz in seinem Element, und die Frage nach der Geschirrspülerfestigkeit des hübschen Service, das ich schon auf unserem Frühstückstisch stehen gesehen habe, wage ich danach nicht mehr zu stellen. Als mir der deutsche Pucier stattdessen anhand einer Serie historischer Persil-Waschpulverschachteln, die er vor mir aufbaut, einen Vortrag über die vertrackte Geschichte dieser über hundertjährigen Marke hält, gelingt es mir nicht mehr, aufmerksam zuzuhören, so gut Oliver auch zu erzählen versteht – ich bin zu durchgefroren, um länger stehen bleiben zu können, und es zieht mich einfach in die Gassen des Flohmarkts, um auf eigene Faust meine Entdeckungen zu machen.

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       Oliver

      Am liebsten mag ich die vielen originellen, aber auch funktionalen Gegenstände, mit denen man seine Wohnung ausstatten könnte, von formschönen Porzellanlichtschaltern bis zu den typischen französischen Messingtürknöpfen, die so gut in der Hand liegen. Von allem gibt es eine unglaubliche Auswahl. Komplette Baccarat-Kristallgläsersets von 48 Stück kann man für den etwas eleganteren Sektempfang kaufen, Möbel von der Hobelbank bis zur Wendeltreppe, verschnörkelte oder ganz schlichte Silberbestecke, schwere alte Korkenzieher, Schlüsselanhänger, Champagnerkorkensammlungen, alte Werbeplakate, Ledermöbel, Kaffeemühlen, Schaufensterpuppen, stapelweise Postkarten … ich beschließe, später wieder im Vernaison-Markt vobeizuschauen, noch bin ich nicht in Kauflaune und möchte zuvor ein paar andere Märkte sehen. Oliver hat mir beim Weggehen noch den Tipp gegeben, bei seiner Nachbarin Anne-France vorbeizuschauen, die als lebendes Flohmarkt-Lexikon gilt und illustre Figuren wie John Galliano zu ihren Stammkunden zählt.

      In der Rue des Rosiers, schon wieder draußen aus „Vernaison“, gehe ich am Le Voltaire vorbei, einem Flohmarkt-Bistro, in dem ich schon oft gegessen oder einen Kaffee getrunken habe. Es ist zwar nicht billig, aber immer voll, das Essen von Brathuhn bis Mousse au chocolat einfach, aber gut, die Kellnerinnen sind energisch, aber nicht uncharmant. Schnell wird man irgendwo hingesetzt und landet, ist man allein unterwegs, mitten in einem meist fröhlichen Durcheinander aus Händlern, Touristen und Stammgästen, in dem man leicht mit seinen Tischnachbarn ins Gespräch kommt. Ich erinnere mich noch gut an eine chinesische Touristin, die alte Babyfotos sammelte und recht unzufrieden an ihrem zu durchgebratenen Steak kaute, das sie irrtümlich so bestellt hatte, weil sie „bien cuit“ für die Bezeichnung einer besonders hohen Fleischqualität hielt. Ich fand ihre Sammelleidenschaft anfangs seltsam, aber sie zeigte mir dann ihre Ausbeute: berührende Bilder, auf der Rückseite mit altertümlichen Schriftzügen in bräunlicher Tinte beschriftet, auf der Vorderseite süße Kinder, die inzwischen im Greisenalter oder längst verstorben sein mussten und eigentümlich fremd wirkten in den Kostümen und künstlichen Landschaften, die damals in Mode waren. Bilder aus einer zeitlich gar nicht so weit zurückliegenden und doch so unendlich weit entfernten Welt aus der Epoche vor den Weltkriegen.

      Heute spaziere ich am Voltaire vorbei und bummle zwischen die Stände des ruhigeren, auf eher gehobene Antiquitäten spezialisierten Marché Biron. Hier gibt es viel Verschnörkeltes, aber auch zeitlos schöne Dinge, und nicht alles ist teuer: schlichte, aber elegant geschwungene Eichenstühle mit Strohsitzfläche aus der Zeit des Directoire zum Beispiel, um hundert Euro das Stück – schade, dass die nicht ins Handgepäck passen …

      Auf der anderen Straßenseite, dem Markteingang gegenüber, bleibt mein Blick an den seltsamen Club-Ledersesseln eines Ladens namens Fleur de peau hängen. Sie sind viel kleiner und schmäler als die gewohnten, in Paris sehr beliebten Club-Möbel, dennoch sitzt man sehr bequem darin – sie sind eindeutig nicht für СКАЧАТЬ