Paris abseits der Pfade (Jumboband). Georg Renöckl
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Название: Paris abseits der Pfade (Jumboband)

Автор: Georg Renöckl

Издательство: Bookwire

Жанр: Путеводители

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isbn: 9783991002970

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СКАЧАТЬ im Eingangsbereich der Recyclerie. Wer sein auf dem Flohmarkt erstandenes Stück noch etwas ausbessern oder umbauen möchte, aber nicht genügend Platz oder Werkzeug zu Hause hat, kann sich stundenweise in der Werkstatt einmieten. Das wirklich Besondere ist jedoch der hofeigene Hühnerstall am Bahndamm, gleich beim Hinterausgang. Etwa zwanzig Hühner und ein paar Enten tummeln sich hier, und das nicht, um eines Tages im Restaurant serviert zu werden, wie mir Kellnerin Paula, die mich herumführt, sichtlich irritiert über meine Frage erklärt. Die Hühner sind vielmehr Teil des ökologischen Abfallkonzepts der Recyclerie: Bevor sie ihre leeren Teller zurückgeben, kippen die Gäste die Speisereste in eine große Tonne. Diese wandert – nachdem für Hühner Nicht-Geeignetes aussortiert und gesondert kompostiert wurde – in Richtung Hühnerstall. So gut wie keine Küchenabfälle müssen entsorgt werden, ein Traum für jeden Gastronomen. Gegen einen Mitgliedsbeitrag können Stammgäste regelmäßig Hühnereier abholen. Weiter unten in Richtung Bahngleise findet man noch einen Kräutergarten, vier Bienenstöcke, Obstgärten – alles in allem ein „urban farming“-Gelände von insgesamt tausend Quadratmetern. Sommers ist eine Art Beachbar geöffnet, daneben eine Pétanque-Bahn … und das zwar nicht ganz im Zentrum der Stadt, aber im doch sehr urbanen Setting der aufgelassenen Eisenbahnlinie.

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       Recyclerie

      Die Pariser scheinen vom Konzept der Recyclerie, die auch am eher frühen Samstagmorgen gut besucht ist, begeistert zu sein. Nichts gegen Sonntag, wie mir Paula versichert: Beim Brunch ist wirklich viel los, aber ihr macht das Spaß so, und die Atmosphäre hat dann immer etwas von einem Volksfest. Jetzt muss sie aber zurück zu ihren Gästen und lässt mich mit den Hühnern alleine, denen beim Verzehr einiger Salatblätter und Gemüseschalen, die Paula auf dem Weg schnell mitgenommen hat, auch die eine oder andere Großstadtratte hilft. Eine Stadtfarm eben. Auf Schiefertafeln ist das reichhaltige Kursangebot ausgeschildert, das die Recyclerie außerdem noch bietet: Komposthaufen selbst anlegen, Führungen durch die „urban farm“, Garteln für Jung und Alt – ein Konzept, auf das dieser Bahnhof, den man zum Glück nicht abgerissen hat, und dieses Areal achtzig Jahre lang gewartet zu haben scheinen. Jetzt ist auch genau der richtige Zeitpunkt dafür: Die Weltklimakonferenz COP 21 im Herbst 2015 hat dem in Paris ohnehin schon schwer angesagten Öko-Trend noch einen kräftigen Schub verliehen, die Pariser begeistern sich für alles, was auch nur im Entferntesten nachhaltig, klimaschonend und ökologisch aussieht. Etwa die Liste der sieben ökologischen Maßnahmen für den Hausgebrauch – eine pro Wochentag –, die die NGO „Zero Waste“ bei der COP 21 präsentiert hat. Die Woche beginnt mit einem Smoothie aus Altobst und -gemüse, das vom Markteinkauf am Wochenende übrig geblieben ist, danach folgen Ratschläge zur Vermeidung von Plastikmüll im Büro und zu Hause. Mein Lieblingstipp kommt am Freitag dran: „Besorg dir ein Huhn!“ Die Maßnahme würde den Müllberg pro Haushalt um deutlich mehr als ein Viertel schrumpfen lassen, doch freilich sind die wenigsten Pariser Wohnungen für die Hühnerhaltung geeignet. Immerhin, in der Recyclerie kann man, Hühner fütternd, Müll reduzieren und bekommt auch noch Eier dafür. Am Samstag soll man laut „Zero Waste“ seine Kleidung dann nicht in einer Boutique, sondern im Secondhandshop kaufen (eine Tonne Kleidung, die wiederverwendet wird, spart 21 Tonnen CO2). Etwas Ähnliches habe ich nun vor, auch wenn ich weder Jacke noch Hose auf dem Radar habe: Ich bezahle und mache mich auf den Weg zum Flohmarkt.

      In Richtung stadtauswärts überquere ich zunächst den Boulevard Ney, wo die ersten diskreten Händler gestohlener oder gefälschter Handys und Uhren stehen. Der Boulevard erinnert an den schillernden Marschall Michel Ney, von Napoleon „Tapferster der Tapferen“ genannt. Er war einer dieser Männer aus einfachsten Verhältnissen, die dank der Revolution den Aufstieg in einstige Adelsdomänen schafften und deren Leben einem bewusst machen, welches Potenzial die Menschheit jahrhundertelang wegen des sturen Ständedenkens vergeudet hat. Ney zeichnete sich auf Feldzügen von Spanien bis Russland als Stratege, aber auch durch persönliche Tapferkeit aus. An der Berezina rettete er die Reste der geschlagenen Grande Armée, deren Rückzug er deckte, in Waterloo ritt er persönlich der größten Kavallerieattacke der Militärgeschichte voran, bei der ihm fünf Pferde sprichwörtlich unter dem Hintern weggeschossen wurden. Die Schlacht verlor er freilich mit seinem Kaiser, weigerte sich danach, ins Ausland zu fliehen und wurde unter dem Bourbonenkönig Ludwig XVIII. wegen Hochverrats füsiliert. Jean Rolin, ein ehemaliger Kriegsberichterstatter, der zu den französischen Großmeistern der Reportage zählt, widmet dem Marschall, vor allem aber dem Boulevard, der seinen Namen trägt, eine lange Reportage mit dem schlichten deutschen Titel „Boulevard Ney“. Mehrere Monate mietete sich Rolin in einer billigen Absteige direkt am Boulevard ein, damals ein düsterer Ort des Verbrechens, der Drogen und der Prostitution. Heute ist die einstige „Zone“ zwar nach wie vor keine Flaniermeile, wurde aber fußgänger- und radfahrerfreundlich umgestaltet.

      Das Wort „Zone“ hat im Französischen einen besonderen Klang, es bezeichnet mehr noch als den geografischen Raum ein Milieu der Gewalt, der Halb- und Unterwelt. Kaum noch jemand denkt daran, dass es aus der Zeit des Bürgerkönigs Louis Philippe I. stammt, der in den 1840er-Jahren den Bau eines Befestigungsrings um Paris beschloss. Dieser verlief in etwa entlang des nach verschiedenen Feldmarschällen benannten Boulevards, zu dessen Abschnitten der Boulevard Ney zählt. Bis zu 280 Meter außerhalb der Befestigungen erstreckte sich eine „Zone“, die nicht bebaut werden durfte.

      Die Pariser frequentierten die Vorstädte außerhalb der neuen Mauern, die auch eine Zollgrenze darstellten, recht gern: Vieles war hier billiger, und der Weißwein, der in St. Ouen angebaut wurde, war sehr beliebt. Bald siedelten sich die ersten Gebrauchtwarenhändler mit ihren Ständen und Baracken in der „Zone“ an, wo sie genug Platz fanden, um ihre Fundstücke zu sortieren und zu reinigen. 1884 war ein hartes Jahr für die „Chiffoniers“, die Lumpensammler, die die Pariser Müllberge nach Brauchbarem durchwühlten. Ein Präfekt namens Poubelle verbot das Entsorgen von Müll auf der Straße und führte die Mülltonnen ein – das französische Wort für Mistkübel, poubelle, erinnert heute noch an den verdienstvollen Mann. Ob er sich über den zweifelhaften Ruhm gefreut hätte, ist eine andere Frage. Damals gab es 30 000 Lumpensammler in Paris, in St. Ouen waren sie am organisiertesten. Nachdem ihnen Monsieur Poubelle mit seinen Tonnen beinahe die Lebensgrundlage entzogen hatte, wurden sie unversehens durch eine Naturkatastrophe gerettet: Die Reblaus vernichtete die Weingärten von St. Ouen, die Gemeinde überließ ihnen die gesamte Zone, die man in Paris bald „Marché aux Puces“ zu nennen begann – der Begriff „Flohmarkt“ ging im späten neunzehnten Jahrhundert von hier aus um die Welt. 1920 begann ein gewisser Romain Vernaison damit, solide Marktstände anzulegen; dem heute noch bestehenden „Marché Vernaison“ folgten bald die nach ihren jeweiligen Eigentümern „Malik“ und „Biron“ genannten Märkte. Die Flohmärkte waren längst ein bedeutender Wirtschaftszweig geworden, die Vorstadtgemeinden stritten sich um die Gunst der gut organisierten Händler. Legenden um Sensationsfunde bedeutender Kunstwerke machten die Runde, tatsächlich beeinflussten die Flohmärkte ganze Kunststile wie die „art nègre“, die sich ohne die vielfältigen Anregungen, die sich Pariser Künstler auf dem Flohmarkt holten, niemals hätte entwickeln können.

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       Marché Vernaison

      Auf dem Weg dorthin sollte man sich nicht ablenken lassen: Ein paar Meter hinter dem Boulevard Ney, nach einem Häuserblock voller Schuh-, Lederjacken- und Taschengeschäfte, beginnt ein erster „Flohmarkt“, der aber völlig uninteressant ist, eine Ansammlung von Ständen mit in China produziertem Ramsch und Textilien. Ich lasse diesen Markt rechts liegen. Erst nach der Ringautobahn Périphérique beginnt das eigentliche Vergnügen. Fotoapparat und Handy packe ich schon davor gut ein: Die Strecke, die unter dem Périph nach St. Ouen führt, wimmelt nur so von Schwarzhändlern, und bei manchen der dort diskret zum Kauf angebotenen Handys bin ich nicht sicher, ob ihr Vorbesitzer den Verlust überhaupt schon bemerkt hat.

      Nun geht es los. „Der“ Flohmarkt von Saint-Ouen besteht aus einer Vielzahl kleinerer СКАЧАТЬ