Retromania. Simon Reynolds
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Название: Retromania

Автор: Simon Reynolds

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783955756086

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      Eine Ausnahme in meiner »No Reunions«-Haltung bilden nur eine paar Bands, die ich in meiner Jugend liebte, aber nie live gesehen habe. Wie z. B. Gang of Four. Im Irving Plaza in New York waren sie im Mai 2005 so gut, dass ich den Fehler gemacht und sie mir ein paar Monate später noch einmal angesehen habe. Dieser zweite Gig war im Hard Rock Cafe direkt am Times Square. Dieses Mal hat die Atmosphäre überhaupt nicht gepasst: Die rockigsten Antirocker des Post-Punk spielten inmitten gerahmter Bilder von Janis und Jimi, signierter Gitarren und diverser anderer Rock-Erinnerungsstücke. Die Band schien sich dessen bewusst zu sein und versuchte, die offensiv ehrerbietige und gleichzeitig höllisch kitschige Umgebung zu überspielen, indem sie noch ernster war als sonst. Es gab weder Eröffnungsscherze noch ein »Hallo, New York«: Der Gitarrist Andy Gill zog einen Schmollmund und machte ein finsteres Gesicht, so dass er dem Schauspieler Alan Rickman glich; der Sänger Jon King wirkte gleichermaßen arrogant und gestresst wie ein Lehrer vor einer durchgedrehten Klasse und der Schlagzeuger Hugo Burnham starrte nur finster und voller Verachtung vor sich hin. Trotz dieses Missverhältnisses spielten Gang of Four im Herbst auf der Tour, bei der sie ihr Comeback-Album Return the Gift vorstellten, weitere Konzerte in House-of-Blues-Läden (der Konkurrenz-Kette des Hard Rock Cafes).

      Das Album selbst steht konzeptuell für eine der faszinierendsten Wiederauferstehungen einer Band, sie ist eine Art Tribut-Album an sich selbst, quasi Auto-Karaoke. Viele Gruppen haben ganze Alben gemacht, bei denen sie einen Song eines Künstlers oder gar ein ganzes Album gecovert haben. Gang of Four machten ein brandneues Album mit neu aufgenommenen Versionen von Songs ihrer ersten drei Alben. Benannt nach einem Titel von Entertainment!, den sie gar nicht neu aufgenommen hatten, suggerierte der Titel Return the Gift, dass das ganze Projekt ein Kommentar zu der »ewigen Wiederkehr« in der Retrokultur war. Das Album eröffnete einen ungetrübten und unhintergehbaren Blick auf die Redundanz und die Wiederverwertbarkeit des Rock-Nostalgie-Marktes. Wenn sich Fans neue Alben von wiedervereinigten legendären Bands ihrer Jugend kaufen, dann interessiert es sie im Grunde genommen nicht wirklich, was die Band jetzt zu sagen hat, oder wo die unterschiedlichen musikalischen Wege der Mitglieder sie später hingeführt haben. Sie wollen, dass die Band »neue« Songs im klassischen Stil schreibt. Return schien zu sagen: »Ihr wolltet eine Wiederauferstehung von Gang of Four? Hier habt ihr sie, genau das, was ihr euch insgeheim wünscht, noch einmal die alten Songs.«

      Aber es gab auch den pragmatischen Aspekt, der zu der Entmystifizierung des Kapitalismus in den Lyrics passte: Das »Covern« ihrer eigenen Songs war die geschickte Art von Gang of Four, ihr Vermächtnis zu bewahren und zugleich davon zu profitieren. Eine einfache Neuauflage ihrer alten Aufnahmen – als typische Compilation oder Boxset – hätte nur EMI bereichert, ihre ursprüngliche Plattenfirma. »Wir haben an den Plattenverkäufen von EMI nie etwas verdient und haben immer noch Vorschüsse offen«, erzählte mir Jon King. »Wir wollten nicht, dass die davon profitieren, weil sie nichts getan haben, um uns zu unterstützen.« Durch die Wiederaufnahme ihrer Songs – was Künstlern für gewöhnlich vertragsmäßig nach 20 Jahren erlaubt ist – haben sie sich in puncto Lizenzgebühren eine bessere Verhandlungsposition verschafft (in diesem Fall eine einmalige Lizenzierung anstatt eines vollständigen Verkaufs des Materials). »Das bedeutet, der gesamte Gewinn geht an uns.«

      Für einen Ultra-Fan war es ein komisches Gefühl, sich Return the Gift anzuhören. Ich kam nicht umhin, mich zu fragen, wie es sich für die Mitglieder der Band angefühlt hat, Songs neu aufzunehmen, mit denen sie eigentlich vor Jahren abgeschlossen hatten. In der neuen Version von »Love Like Anthrax« – einem Song, bei dem im Original ein weinerlicher Text über Herzschmerz, den King singt, einem mürrisch intonierten Text von Andy Gill gegenübersteht, der die Institution des Liebesliedes im Pop kritisiert – hat Gill ein paar neue Zeilen hinzugefügt, die sich in Brecht’scher Weise auf die Reunion von Gang of Four beziehen. Er spricht in dem Song über Return the Gift als »exercise in archeology«, einem Versuch herauszufinden, was sich in der aufregenden Zeit des Post-Punk in ihren Köpfen abspielte. Als ich Jon King und den Bassisten Dave Allen nach dem Projekt fragte, nannten beide die Original-Aufnahmen eine Art »Qumran-Schrift«, auf die sie sich beziehen könnten, wenn ihre Erinnerung versagt.

      Eine andere seltsame, beinahe gruselige Sache beim Anhören von Return the Gift war, dass die neuen Versionen auf eine gewisse Weise überzeugender waren als die Originale (sie waren besser aufgenommen, mit einem fetten modernen Schlagzeugsound und profitierten grundsätzlich von Gills Erfahrung als Plattenproduzent nach der Auflösung der Band). Die Songs hatten aber nicht diese besondere Klangaura wie die Original-Aufnahmen. Besonders deutlich war das bei den Songs von der Entertainment!, die viele Rezensenten bei ihrer Veröffentlichung 1979 wegen ihrem trockenen, klinischen Sound, der einfach nicht so aufregend war, wie die Gruppe live sein konnte, kritisiert hatten. Aber an genau diesem dünnen Entertainment!-Sound hingen ich und andere Fans. Das Resultat war, dass die neuen Versionen der Songs weder 1979 noch 2005, sondern in einem merkwürdigen Schwebezustand außerhalb der Zeit zu existieren schienen.

      Die einzige andere legendäre Band, die ich nach ihrer Wiedervereinigung gesehen habe, war eine, von der ich nie ein besonderer Fan war, The New York Dolls. Zum Teil war ich deshalb neugierig, weil das Konzert in der Bowery 315 stattfand – dem Ort, an dem einmal das CBGB’s gewesen war. Jetzt ist dort eine Klamottenboutique des Designers John Varvatos, einem großen Punkrock-Fan, der versucht hatte, etwas von dem schäbigen Rock’n’Roll-Ambiente zu bewahren. Am 5. Mai 2009 lief ich also die sechs Blocks von meiner Wohnung, um die Dolls Tracks von ihrem neuen Album Cause I Sez So spielen zu sehen, ein Versuch, ihren vergangenen Ruhm zurückzuerobern (sie hatten sich als Produzenten sogar Todd Rundgren gebucht, der 1973 ihr Debütalbum aufgenommen hatte). Es war jedoch schwierig, eine vollständige Zeitreise durchzuziehen, da so viele aus der Original-Besetzung mittlerweile verstorben waren – einzig David Johansen und Syl Sylvain waren übriggeblieben.

      Der Großteil des Publikums hätte in den 70ern Stammgast des CBGB’s sein können: alternde Rebellen, kahl werdende Rock-Fotografen, Gesichter, die einem irgendwie aus Rockdokus bekannt vorkamen und eine bemerkenswerte Anzahl von Frauen in ihren Fünfzigern, die sich gut gehalten und die Gelegenheit ergriffen hatten, sich nach vielen Jahren wieder mal als Rock’n’Roll-Bräute zurechtzumachen. An der Wand hingen gerahmte Poster der Ramones und der Plasmatics. Als ein Pulk Youngster hereinschlenderte, waren Überraschung und Anspannung deutlich zu spüren: Diese stylishen 20-Jährigen wirkten so deplaziert wie Rentner auf einem Rave.

      Nach einer langen Wartezeit schlichen die Dolls 2.0 endlich auf die Bühne: Johansen sah in einem marineblauen Samtjackett, einem weißen Rüschen-Hemd und einem Leoparden-Schal elegant aus wie eh und je, und Sylvain glich einer tuntigen Mischung aus Pierrot und Kobold. Die neuen Rekruten der Band waren eine Generation jünger, aber immer noch ziemlich alt, und trugen diesen Rock’n’Roll-Look zur Schau, der irgendwo zwischen dem Sunset Strip und Soho entstanden ist, mit Schals, breitkrempigen Hüten und hautengen Hosen. Es war relativ schnell klar, dass uns keine magische Zeitreise ins Mercer Theater um 1972 bevorstand: Nicht nur, dass die Band keine Frauenkleider, High-Heels und Perücken trug, sie spielten auch kein einziges klassisches Dolls-Lied. Stattdessen nudelten sie hartnäckig ihr neues Album herunter, sie klangen nicht wie die ungestümen, dreckigen Dolls aus dem Punk-Mythos, sondern wie eine tighte, langweilige Hard-Rock-Band.

      Als ich sie 2009 hörte, war ich überrascht, wie gering der Unterschied zwischen den Dolls und anderen vom Blues beeinflussten Rock-Bands der 70er wie The Faces, Grand Funk Railroad und ZZ Top im Nachhinein war, die Arenen gefüllt und Millionen Platten verkauft hatten. Der Unterschied bestand lediglich in den spielerischen Defiziten der Dolls und ihrer Haltung, die eine Mischung aus bissiger Gemeinheit und übertriebenem Camp war. Diese kleine aber entscheidende Differenz schuf den Raum, in dem Punk entstand. Jahrzehnte später scheint diese Differenz, die einmal so bedeutungsvoll war, unwiederbringlich verloren zu sein. In den scherzhaften Ansagen Johansens klang etwas dieser Haltung nach: »Ich würde behaupten, dass wir so gut wie The Seeds sind«, alberte er, oder: »Eines Tages wird das alles nur noch eine Erinnerung sein.« Aber sein Humor wurde bitterer, als der Band nach und nach klar wurde, dass das Publikum nicht auf СКАЧАТЬ