Название: Retromania
Автор: Simon Reynolds
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783955756086
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Barry Hogan von ATP beschreibt dieses Konzept als eine »Rebellion« gegen die Kultur des iPod-Shuffle und eine Verteidigung des Albums als Gesamtkunstwerk. »Heute dreht sich alles nur noch um Bequemlichkeit und iTunes. Aber MP3s klingen scheiße. ›Don’t Look Back‹ will sagen: ›Erinnere dich daran, wie es war, Platten zu kaufen, du hattest das Klappcover, das du dir ansehen konntest, und dann legte man die Platte auf und sie klang großartig.‹«
Man könnte meinen, die ganze Welt kopiere das »Don’t Look Back«-Format, von Liz Phair mit Exile in Guyville über Jay-Z mit Reasonable Doubt bis hin zu Van Morrison, der im November 2008 sein berühmtestes Album erneut aufgeführt hatte und daraus ein neues Album mit dem abscheulichen Titel Astral Weeks: Live at the Hollywood Bowl gemacht hat. Die Sparks haben dieses Konzept auf die Spitze getrieben, als sie im Mai 2008 alle ihre 21 Alben nacheinander auf 21 Konzerten in London gespielt haben. Am letzten Abend haben sie ihr neues Album uraufgeführt. Im selben Monat eröffneten sie auch in der Bodhi Gallery im Osten Londons eine Ausstellung mit Plattencovern, Fotos, Videos und anderen Erinnerungsstücken ihrer langen Karriere als Art-Pop-Freaks.
Für die Bands kann das laut Hogan im wahrsten Sinne des Wortes eine Wiederbelebung sein. »Bei My Bloody Valentine war es wie in dem Film Zeit des Erwachens, in dem das Leben einer Person einfach stoppt und dann neu beginnt«, erzählt er und fügt hinzu: »Sie überlegen, neue Songs zu schreiben und aufzunehmen.« Dass der kreative Funke wieder überspringt, ist ein potentieller Nebeneffekt der Reunions, aber im Grunde würde das niemand machen, wenn es nicht Geld bringen würde. Und Bands können damit Unmengen verdienen. Wenn eine Band lange Zeit nicht aufgetreten ist, erklärt Hogan, besteht bei den Fans ein enormer Nachholbedarf.
Selbst Bands wie Sonic Youth, die immer aktiv geblieben sind, unermüdlich tourten und Platten aufnahmen, fällt es schwer, den Möglichkeiten zu widerstehen, die ein kurzer Ausflug in die Vergangenheit bietet. Von 2007 bis 2008 spielten Sonic Youth ihr Meisterwerk Daydream Nation von 1988 zu 24 verschiedenen Anlässen, auf großen Konzerten in amerikanischen und britischen Großstädten (im Roundhouse in London traten sie drei Tage in Folge auf), auf Konzerten und Festivals in Spanien, Deutschland, Frankreich und Italien und schließlich auf der Daydream-Nation-Down-Under-Tour in Neuseeland und Australien. In einem Interview mit dem Spin-Magazin scheint sich Thurston Moore im Klaren über den Widerspruch zu sein, dass ausgerechnet jene Band, die den Song »Kill Your Idols« schrieb – und sich selbst Sonic Youth nannte –, in Nostalgie verfällt. »Ich wollte das anfangs gar nicht machen … Ich dachte, dass es uns die Zeit raubt, etwas Neues und Progressives zu machen«, räumt er ein. Aber sobald Hogan, der sowohl Sonic Youth als auch Thurston Moore solo bereits als Kuratoren für ATP gewinnen konnte, die Band überredet hatte, Daydream Nation in London zu spielen, versuchte der für Europa zuständige Booker der Band, sie zu überreden, auf Festivals auf dem Kontinent zu spielen, weil die Veranstalter dort »ein paar Tausend Dollar drauflegen« würden. Laut Billboard warfen die 2007er-Konzerte von Daydream Nation in Amerika pro Show erheblich mehr ab, als die Tour zum neuen Album Rather Ripped im Jahr davor. Wenn es eine Band lange genug gibt, dann ist das Verlangen der Fans nach den Klassikern ihrer Karriere immer größer als nach den aktuellen musikalischen Werken.
Paul Smith, ein Veteran der alternativen Musikindustrie, der auf seinem Label Blast First als erster Daydream Nation in Großbritannien veröffentlicht hatte, unterstützt gegenwärtig Underground-Legenden wie Suicide oder Throbbing Gristle dabei, wieder aktiv zu werden, ohne ihre Glaubwürdigkeit oder ihre Würde zu verlieren. Für ihn haftet Rock-Reunions ein dummes Stigma an, von dem andere Kunstformen frei sind. »Maler, Dichter, klassische Komponisten – bei denen spielt Alter keine Rolle. Aber bei Rock und Pop wird irgendwie von einem erwartet, dass man an einer Überdosis oder bei einem Autounfall stirbt. Lediglich Blues-Musiker werden stärker respektiert, je älter sie werden.«
Smith betrachtet Reunions als gerechtfertigt, einerseits um den Verdiensten einer Band für die Musikgeschichte gerecht zu werden, andererseits als Entlohnung für Künstler, die meist für wenig Geld hart gearbeitet haben. Er denkt, dass Wiedervereinigungen entweder gut oder schlecht funktionieren. Als Beispiel für letzteres führt er die ewige Wiederkehr der Buzzcocks an. Smith sagt, sie hätten durch die endlosen Touren »ihren Namen tot gespielt. Dadurch, dass sie auf Festivals in Margate vor kahl werdenen Punks gespielt haben, haben sie alles über den Haufen geworfen, was sie vormals zu großer Kunst hatte werden lassen. Sie haben sich auf das Niveau von Gerry and the Pacemakers begeben und sind zu einem Abklatsch ihrer selbst verkommen. Aber die Typen von den Buzzcocks sind froh, dass sie immer noch keiner geregelten Arbeit nachgehen müssen und als Musiker leben können.«
Smith zieht es stattdessen vor, Reunions vorzubereiten, bei denen ein Ende einkalkuliert ist. Für »eine bestimmte Zeit und ziemlich konkrete Ziele: die Band wieder aus der Versenkung zu holen und ein bisschen Geld zu machen«. Der Nostalgie-Aspekt soll so unwichtig wie möglich bleiben, denn es geht darum, »sie einem größtenteils jüngeren Publikum zu präsentieren«. Für die Bands gibt es auch psychologische Vorteile: »Sie bekommen vorgeführt, was sie erreicht haben im Leben und dass es ein Erfolg war, den sie für sich beanspruchen können und den sie sich verdient haben.« Smith erzählt, dass er zum Wire-Gitarristen Bruce Gilbert sagte: »Hör zu, auf deinem Grabstein wird sowieso Wire stehen, also kannst du auch diese Tour spielen.«
Die Reunion von Throbbing Gristle war das Nebenprodukt der Ausstellung im Dezember 2002 in der Cabinet Gallery in London, bei der das 24 Hours of TG-Boxset mit Livekassetten der Band aus den späten 70ern und frühen 80ern präsentiert wurde. »Das war das erste Mal seit zwanzig Jahren, dass alle vier in einem Raum waren«, erinnert sich Smith. Beim Abendessen mit der Band inklusive Daniel Miller von Mute, der den Backkatalog von TG pflegt, ergriff Smith die Gelegenheit beim Schopf und fragte die Band: »Nun, spielt ihr jetzt wieder zusammen?« Genesis P-Orridge war am Anfang zögerlich, und wandte ein, »ich bin nicht mehr diese Person«. Smith konterte, echte TG-Fans verstünden, dass sie keine Zeitreise ins Jahr 1979 vorgesetzt bekämen, eine Reproduktion des klassischen TG-Sounds. Sie würden die Tatsache respektieren, dass TG Künstler seien, die sich permanent weiterentwickelten. »Ich sagte zu ihnen: ›Wenn es nach mir ginge, könnt ihr vier euch auch auf die Bühne stellen und mit Fingerbecken spielen, das wäre immer noch TG‹.« Er konnte sie überreden und die Band tat sich 2004 wieder zusammen, ursprünglich um in einem britischen Ferienort am Meer ihr eigenes Wochenend-Festival im Stile von All Tomorrow’s Parties zu spielen. Das zahlte sich nicht wie erhofft aus, aber (wie Wire und Suicide) nahmen sie wieder neue Alben auf und spielten eine Reihe von Konzerten, darunter eines in der riesigen Turbinenhalle der Tate Modern, und schließlich gingen sie 2009 auf Tour durch die USA. Obwohl alle vier Mitglieder auch an anderen Bands beteiligt sind, bestanden Throbbing Gristle bis zum Tod von Peter »Sleazy« Christopherson 2010 weiter und haben noch ein ganzes Cover-Album von Nicos Desertshore in petto.
Da TG ursprünglich aus der Performance-Kunst kamen, legten sie immer Wert darauf, ihre Projekte zu dokumentieren, was zu einer endlosen Zahl von Livekassetten, -Platten und Videos führte. Es ist also nur logisch, dass die Tate Modern mit der Gruppe und mit Genesis P-Orridge im Gespräch ist, um ihr Archiv zu erwerben. »Es gibt eine ganze Generation neuer Kuratoren in der Kunstwelt«, erklärt Smith. »Sie sind Mitte Zwanzig oder nur wenig älter und sie beginnen Punk und das Zeug aus Mitte der 80er anzuschauen und zu sagen: ›Hey, das ist wichtig.‹«
Im Allgemeinen versuche ich, Reunions aus dem Weg zu gehen, vor allem dann, wenn ich die Band zu ihrer Hochzeit bereits gesehen habe. Die Comeback-Tour von My Bloody Valentine, bei der sie ein Set spielten, das nur aus Stücken ihrer Isn’t Anything/Loveless-Blütezeit bestand, schien mir geradezu prädestiniert zu sein, eine Enttäuschung zu werden. Diese Musik war mit persönlichen Erinnerungen an die hormonelle Elektrifizierung des Verliebtseins verknüpft, mit Träumereien, die einen immer noch erröten lassen. Ich wollte nicht mit meiner СКАЧАТЬ