Название: Sherlock Holmes: Seine Abschiedsvorstellung (Zweisprachige Ausgabe: Deutsch-Englisch)
Автор: Arthur Conan Doyle
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027213474
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Aber eben hier warteten auch schon die Vertreter der rächenden Gerechtigkeit auf ihn. In der sicheren Überzeugung, daß er hierher einmal wiederkäme, wartete Garcia, der Sohn eines der höchsten Würdenträger San Pedros, mit zwei vertrauten Gesellen geringerer Herkunft – alle drei angefeuert durch das gleiche Verlangen nach Rache. Am hellen Tage konnte Garcia nichts unternehmen, denn Murillo beobachtete jede erdenkliche Vorsicht und ging nie aus ohne seinen Satelliten Lucas, oder Lopez, wie er in den Tagen seiner Größe hieß. Nachts jedoch schlief er allein, da konnte der Rächer ihn überraschen. An einem bestimmten Abend, auf den alles vorbereitet war, sandte ich an Garcia die letzten Anweisungen, denn Murillo schlief fast jede Nacht in einem anderen Zimmer. Ich hatte dafür zu sorgen, daß die Türen offen waren, und ein Signal mit grünem oder weißem Licht in einem Fenster, das auf die Straße ging, sollte Garcia unterrichten, daß alles in Ordnung war, oder daß sein Vorhaben besser verschoben würde.
Aber alles war gegen uns. Ich hatte irgendwie Lopez’, des Sekretärs, Verdacht erregt. Er war mir nachgeschlichen und sprang mich an, nachdem ich eben die Botschaft abgefaßt hatte. Er und sein Herr schleppten mich auf mein Zimmer, wo sie über mich zu Gericht saßen als einer überführten Verräterin. Hätten sie nur eine Möglichkeit gesehen, die Folgen ihrer Tat zu verbergen, so würden sie mich hier mit ihren Messern erstochen haben. Schließlich, nach langem Hin-und Herreden, kamen sie zu dem Schluß, daß meine Ermordung zu gefährlich sei. Aber sie entschlossen sich, Garcia ein für allemal unschädlich zu machen. Sie hatten mich geknebelt, und Murillo drehte meinen Arm, bis ich ihm die Adresse gestand. Ich schwöre aber, daß ich mir den Arm hätte ausdrehen lassen, ohne ein Wort zu gestehen, wenn ich geahnt hätte, was sie mit Garcia beabsichtigten. Lopez überschrieb den Zettel, siegelte ihn mit seinem Manschettenknopf, und schickte José damit weg. Wie sie ihn dann ermordeten, ist mir unbekannt, nur weiß ich, daß Murillo ihn niederschlug, denn Lopez war als Wache bei mir zurückgeblieben. Zuerst hatten sie beabsichtigt, ihn das Haus betreten zu lassen und dann als ›Einbrecher‹ auf frischer Tat zu überraschen und totzuschlagen. Aber sie kamen zu der Überlegung, daß wenn sie in die unvermeidliche Untersuchung hineingezogen wurden, ihre Identität offenbar werden mußte, und sie also leicht noch weiteren Attentaten ausgesetzt sein könnten. Mit Garcias Tod, so rechneten sie, fänden vielleicht die Verfolgungen ein Ende, da seine Ermordung andere wohl etwas abschrecken mußte.
Die Sache wäre nach Garcias Tode gut für sie gestanden, hätte ich nicht Kenntnis von ihrer Tat gehabt. Ich bin mir nicht im Zweifel darüber, daß mein Leben mehrmals an einem Faden hing. Ich wurde in meinem Zimmer eingesperrt, mit den schrecklichsten Drohungen geängstigt und aufs grausamste mißhandelt, um meinen Geist zu zermürben – sehen Sie hier, den Stich in meiner Schulter, und die blutigen Striemen überall auf meinen Armen – und ein Knebel wurde mir noch in den Mund geklemmt, als ich einmal den Versuch machte, aus dem Fenster zu rufen. Fünf Tage lang hielten sie mich so gefangen und gaben mir kaum genügende Nahrung, um Leib und Seele zusammenzuhalten. Heute nachmittag brachten sie mir ein gutes reichliches Essen, aber kaum hatte ich es zu mir genommen, so fühlte ich, daß ich vergiftet war. Ich erinnere mich wie an einen Traum, daß ich halb getragen, halb geführt zum Wagen gebracht wurde und wir zur Station fuhren. Erst hier, als der Zug sich schon beinahe in Bewegung setzte, wurde es mir klar, daß meine Freiheit in meinen eigenen Händen lag. Ich sprang hinaus, sie versuchten, mich wieder in das Abteil zu schieben, und wäre mir nicht dieser brave Mann zu Hilfe gekommen, der mich zu einer Kutsche führte und hierher brachte, so wäre ich nicht freigekommen. Gott sei Dank, jetzt bin ich für immer ihrer Macht entzogen.«
Wir hatten alle aufmerksam diesen Enthüllungen gelauscht. Holmes brach zuerst das eingetretene Schweigen.
»Unsere Schwierigkeiten sind noch nicht zu Ende«, bemerkte er und schüttelte den Kopf. »Unsere Polizeiarbeit ist erledigt, aber nun beginnt unsere gerichtliche Arbeit.«
»Henderson hat noch allerlei Chancen«, sagte ich. »Ein gewiegter Verteidiger kann seinen Fall als einen Akt der Notwehr den Geschworenen glaubhaft machen. Henderson mag noch hundert Verbrechen begangen haben, aber nur dies eine an Garcia erlaubt eine gerichtliche Verfolgung.«
»Ei, so schlimm ist es nicht«, rief Baynes zuversichtlich. »Da denke ich doch besser von unserem englischen Recht. Notwehr ist doch eine ganz andere Sache, als wenn einer mit kaltem Blut mittels eines Zettels einen andern herauslockt, um ihn dann totzuschlagen, mag er auch für den Betreffenden ein gefährlicher Mensch gewesen sein. Nein, nein, wir dürfen sicher sein, daß die beiden Henker von High Gable verurteilt werden, wenn sie erst einmal vor den Geschworenen stehen.«
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Es ist jedoch eine Tatsache, daß noch eine geraume Zeit verstrich, ehe der Tiger von San Pedro seinen verdienten Lohn erhielt. Kühn und verschlagen verwischten Murillo und Lopez ihre Spuren, indem sie in London in eine Fremdenpension in der Edmontonstraße eintraten und sie über den Hinterhof nach der Curzonstraße verließen. Von diesem Tage an wurden sie nicht mehr in London gesehen, überhaupt nicht in England. Ungefähr sechs Monate später wurden der Marchese von Montalva und Signor Rulli, sein Sekretär, zusammen in ihrem Zimmer im Hotel Escorial in Madrid ermordet. Das Verbrechen wurde mit der nihilistischen Propaganda in Verbindung gebracht, die Mörder nie entdeckt. Inspektor Baynes besuchte uns in der Bakerstraße mit einer gedruckten Beschreibung des dunkeln Gesichtes des Sekretärs und des herrischen Gesichtes, der magnetischen schwarzen Augen und der buschigen Brauen seines Herrn. Wir konnten kaum bezweifeln, daß es sich um Murillo und Lopez handelte, die von ihrer gerechten Strafe endlich ereilt waren.
»Ein chaotischer Fall, mein lieber Watson«, sagte Holmes bei einer abendlichen Pfeife. »Es wird dir diesmal nicht möglich sein, ihn in der zusammengefaßten Form, die dir so am Herzen liegt, der Öffentlichkeit zu unterbreiten. Der Fall Murillo-Garcia umfaßt zwei Erdteile, zwei Gruppen geheimnisvoller Persönlichkeiten und ist weiterhin kompliziert infolge der hochehrenwerten Anwesenheit unseres Freundes Scott Eccles, dessen Hereinspielen in den Fall mir zeigt, daß Garcia einen gut entwickelten Selbsterhaltungstrieb hatte und einen scharfen Geist, verbunden mit Menschenkenntnis. Der Fall ist für mich deshalb bemerkenswert, weil wir inmitten eines wahren Dschungels von Möglichkeiten zusammen mit unserm Freund Baynes doch das Wesentliche richtig erkannten und so durch alle Wirrnisse hindurch auf den gewundensten Pfaden an unser Ziel geführt wurden. Ist irgendein Punkt dir noch nicht ganz klar?«
»Ja, der Grund, weswegen der Koch zweimal zur Villa Wisteria zurückkam.«
»Ich denke mir, daß der Homunkulus in der Küche die Erklärung bietet. Der Koch war ein primitiver Wilder aus dem Innern von Mittelamerika, und das fremdartige menschenähnliche Ding war sein Fetisch. Nachdem er und sein Genosse in ein vorbereitetes Versteck – das ein weiterer Verbündeter sicher schon bewohnte – entflohen waren, vermißte der Koch seinen Fetisch, den er in der Überstürzung der Flucht zurückgelassen, so sehr, daß es ihn am andern Tag zu der Villa zurücktrieb. Hier fand er das Haus von dem Konstabler Walters bewacht. Er wartete drei Tage länger, dann trieb es ihn abermals zu seinem Idol. Inspektor Baynes, der mit seiner gewöhnlichen Verschmitztheit den Vorfall mir gegenüber als unwesentlich hingestellt hatte, war sich in Wirklichkeit über seine Bedeutung im klaren, und er stellte dem Fetischanbeter eine Falle, in die er denn auch prompt hineinging. Noch etwas unklar?«
»Der zerrissene Hahn, der Napf mit Blut, die verkohlten Knochen, der ganze Hexenzauber in der Küche.«
Holmes lächelte, als er in seinem Taschenbuch eine Notiz suchte.
»Ich verbrachte deswegen einen Vormittag im Britischen Museum und blätterte die einschlägige Literatur durch. Da finde ich ein Zitat aus Eckermann, Voduismus und verwandte Neger-Religionen: СКАЧАТЬ