Название: Lebenssplitter
Автор: Dietmar Wolfgang Pritzlaff
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783961124756
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Fühlen konnte er jedenfalls noch eine Woche etwas von dem Schlag und so ein anfangs noch blaues, später rötliches, dann gelb-grünes Auge fällt dann auch noch auf. Dieter musste überall, wohin er auch ging, Erklärungen abgeben und log das Blaue vom Himmel bei der Frage, woher er denn das Matschauge hätte. Einige Schlägereien wurden ihm angedichtet. Na ja, gar nicht so schlecht. Denn die Leute waren sehr überrascht, dass so etwas Dieter überhaupt passieren konnte. Dieters Bekannte redeten höchstens hinter seinem Rücken über den Vorfall. Wusste man doch wie peinlich Dieter die Sache war. Und er selbst vergrub ganz tief in sich diese Geschichte, wie auch die Geschichten vorher und wollte sie nie wieder ans Tageslicht holen.
Aus dem Feigling ist heute ein ganz passabler Mensch geworden, doch auch noch heute hat er in manchen Situationen so ein besonderes, gewisses Gefühl der Unruhe. Ist es immer noch Angst? Lebensangst? Etwas nicht zu erreichen? Nicht zu wissen, was zu tun ist? Feige oder ein Held sein? Held sein, ist das menschlich? Des Menschen Aufgabe? Dieter will doch nur leben. Er will doch nur seine Ruhe. Er will nur mit anderen in Frieden leben, lieben und geliebt werden. Das ist alles. Lass ihm doch wenigstens seinen inneren Frieden und versuche ihn zu verstehen.
Vielen Dank für Deine Bemühungen.
Für einen Augenblick Ruhe
„Quatsch mich nicht an. Geh weiter, Oma.“ Der schlanke, junge Mann schiebt die ältere Dame grob zur Seite, dreht sich um, geht ein paar Schritte, bleibt dann stehen und sieht sich nervös um. Er wühlt in den Taschen seiner Jacke nach Zigaretten und zündet sich eine an.
Eine Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen, eine schmierige Bomberjacke, abgewetzte Jeans und natürlich Turnschuhe, damit er besser weglaufen kann. Das muss doch der Mann sein, denkt die alte Dame und geht wieder auf den jungen Mann zu.
„Ich brauch was“, flüstert die Dame, „dringend“ und sieht den jungen Mann flehend an.
„Was soll das? Zieh Leine Alte“, fährt der junge Mann die Frau an und bläst ihr abwehrend Zigarettenrauch ins Gesicht. Die alte Dame erträgt es und bleibt vor dem Mann stehen.
„Sie heißen doch Manfred, Manni, oder?“ Die Frau gibt nicht nach.
„Na und?“
„Wie viel verlangen sie?“, fragt die Dame aufgeregt.
„Ich weiß gar nicht, was du willst. Hau ab, lass mich in Ruhe.“ Der junge Mann dreht sich zur Seite und will gehen.
Jetzt reicht es der Frau. Sie greift nach dem Ärmel der Bomberjacke. Ihre Finger packen so fest sie nur können den Stoff. Die Dame reißt verzweifelt mit all ihrer Kraft den jungen Mann herum.
Der junge Mann wird immer nervöser und versucht die faltige Hand von seiner Jacke zu lösen. „Spinnst du jetzt völlig, Oma? Was soll’n das?“
„Jetzt hör mir genau zu, Manni, Manfred oder wie du dich auch nennst“, faucht die alte Dame. „Ich laufe schon den ganzen Nachmittag hier am Bahnhof herum und suche nach dir, du Wicht. Du verkaufst Stoff - ich brauche Stoff. Du willst Geld – ich habe Geld. Also, her mit dem Zeug.“
„Was? Was denn für Stoff? Bist du nicht mehr ganz dicht?“ Der junge Mann sieht sich immer wieder um. In einiger Entfernung sind Passanten aufmerksam geworden und beobachten den jungen Mann und die alte Dame.
„Du weißt verdammt noch mal genau wovon ich rede.“ Die alte Dame ist außer sich. „Und wenn ich das Zeug nicht sofort bekomme dann... dann...“
„Dann was?“ Der junge Mann spielt wieder den coolen Typen und grinst die alte Dame frech an.
„Dann schreie ich. Ganz laut.“ Die alte Dame reißt den Mund auf und...
„He, langsam. OK? Halt bloß das Maul!“ Der junge Mann sieht sich wieder um. Der Mann zieht mit aller Kraft die alte Frau, die sich noch immer fest an seine Bomberjacke krallte, ein paar Schritte weiter in einen Hauseingang. „OK, OK. Du kriegst ja was, alles klar? Mach hier bloß keinen Aufstand.“ Der junge Mann steht mit dem Rücken zum Hauseingang, die alte Frau davor.
„Nun, mach schon“, fordert die alte Dame den jungen Mann auf. Er kramt in seinen Taschen und holt ein kleines Papierbriefchen heraus. Es liegt in seiner Hand. Die Frau will danach greifen. Der Mann zieht aber seine Hand schnell wieder weg.
„Erst die Kohle. Sechzig Euro“, fordert der Mann.
Die alte Dame holt einen Fünfziger aus ihrer Rocktasche und hält sie dem jungen Mann hin. „Mehr habe ich nicht.“
„Dann gibt’s auch keinen Stoff“, erwidert der Mann ungehalten.
„Dann schrei ich eben.“ Die Dame holt Luft und...
„Ist ja schon gut. Hier nimm.“ Der junge Mann gibt der alten Frau das Briefchen. Er nimmt hastig den Fünfziger aus ihrer Hand, reißt sich los und geht eiligen Schrittes davon.
Geschafft, denkt die alte Dame. Jetzt schnell nach Hause.
Sie schließt die Wohnungstür auf und geht ins Schlafzimmer. Ihr Sohn wälzt sich im Bett hin und her. Er krümmt sich vor Schmerzen. Er zittert am ganzen Körper. Und immer wieder schreit er.
„Hast du es?“ Der Sohn setzt sich auf und streckt seine Hand aus.
Die Mutter nickt nur stumm mit dem Kopf.
„Gib es mir, gib her“, fordert der Sohn.
Die Mutter reicht dem Sohn das Briefchen. Sie steht vor dem Bett. Sie sieht ihren Sohn und weiß nicht, ob sie das Zimmer verlassen soll. Sie steht einfach nur da und schaut.
Mit seiner noch verbliebenen Kraft bezwingt der Sohn sein Zittern und bereitet sich die Spritze. Seine Arme und Beine sind schon zerstochen. Er zieht sich den Socken vom linken Fuß. Die Nadelspitze dringt durch die Hautschichten in die Vene. Langsam leert sich die Spritze. Er zieht die Nadel wieder heraus, verdreht die Augen und fällt rücklings auf das Bett. Der Sohn wird ganz ruhig.
Die Mutter wischt sich Tränen aus dem Gesicht. Sie geht um das Bett herum, nimmt die Spritze aus der Hand des Sohnes und legt sie auf den Nachttisch. Dann deckt sie ihren Sohn zu. „Gute Nacht, mein Großer“, flüstert sie zärtlich und streichelt ganz sanft seine Stirn.
Der Stich
Wir, die Rasselbande aus der achten Klasse, wollten unserem Lehrer Schulte einen Denkzettel verpassen. Herr Schulte zog seinen Stoff durch, ob jemand noch etwas mitbekam oder nicht, ihm war es egal. Auf wiederholtes Nachfragen der Schüler stellte er mit seiner monotonen Stimmlage nur die Gegenfrage: „Hast du nicht aufgepasst?“ Er war sehr streng und schrieb gleich zwei Sechser auf einmal für ungenügendes Betragen im Unterricht ins Klassenbuch. Er erhob sich fast nie von seinem dick gepolsterten Lehrersessel.
Die ganze Klasse wusste von dem Plan und alle waren dafür. In der großen Pause schlichen vier von uns in die Klasse zurück und präparierten den Lehrersessel mit einer langen Nadel. Wir bohrten sie mit dem Nadelöhr durch den Bezug in den weichen Schaumstoffkern der linken Stuhlhälfte. Die Polsterung des Stuhls war so dick, dass wir fast befürchteten die Nadel würde gar nicht bis zum Hintern des Lehrers reichen. Aber ein Kontrollsitzen unseres Mitschülers Norbert verriet uns, dass alles in Ordnung war. Er hatte sich nur leicht gesetzt, schrie und sprang sofort wieder auf. Norberts СКАЧАТЬ