Название: Dr. Norden (ab 600) Box 1 – Arztroman
Автор: Patricia Vandenberg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Dr. Norden (ab 600)
isbn: 9783740911201
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Hinterher fühlte sich Sebastian Keinath so erleichtert und wohl wie lange nicht. Die Müdigkeit fiel wie ein samtschwarzes Tuch auf ihn und drückte sanft auf seine Augenlider.
»Ich glaube, ich kann jetzt schlafen«, murmelte er erschöpft.
»Dann sollten Sie das auch tun.« Leise erhob sich Daniel von seinem Stuhl und brachte ihn zurück an den Tisch. »Gute Nacht, Herr Keinath.« Er schlich sich am Bett vorbei und ging zur Tür.
»Herr Doktor …«
Daniel blieb stehen und drehte sich noch einmal um.
»Ja?«
»Sie sind ein großartiger Zuhörer. Und ein toller Arzt. Die Welt bräuchte mehr von Ihrer Sorte.«
Ein Glück, dass das Zimmer nur spärlich beleuchtet war. Denn dieses Kompliment ließ selbst Daniel Nordens Augen feucht schimmern, und er wischte sich kurz übers Gesicht, ehe er auf den Flur trat, um sich auf die Suche nach Jenny Behnisch zu machen, bevor er endlich, endlich nach Hause fahren wollte.
*
So strahlend guter Laune Wendy in letzter Zeit gewesen war, so still und in sich gekehrt war sie in den nächsten Tagen.
»Was ist denn mit Ihrer reizenden Assistentin los?«, erkundigte sich Helene Maschnick bei Dr. Norden, als sie zur Kontrolle ihrer Wunde in die Praxis kam. »Sie war doch immer so ein fröhliches Mädchen. Und jetzt mag das Vögelchen gar nicht mehr singen.«
Obwohl auch Daniel sich Sorgen um das rätselhafte Verhalten seiner Wendy machte, hätte er um ein Haar laut aufgelacht. Frau Maschnick bezeichnete alle Frauen, die auch nur zehn Jahre jünger waren als sie, als Mädchen. Wendy war für ihr Alter zwar immer noch attraktiv – und in letzter Zeit besonders –, trotzdem wäre Dr. Norden nicht auf die Idee gekommen, sie so zu nennen.
»Wir haben im Augenblick sehr viel zu tun«, schützte er seine treue Assistentin vor weiteren Spekulationen und konzentrierte sich auf die Verletzung von Frau Maschnick. »Das sieht sehr gut aus. Ich bin wirklich froh, dass Sie neulich zu mir gekommen sind.«
Das war Helene Maschnick auch. Freudig berichtete sie ihrem Arzt, dass sie, bestärkt durch seinen Rückhalt, ihrem Sohn die Leviten gelesen und gedroht hatte, ihn zu enterben.
»Helmut weiß gar nicht, dass es bei mir nicht viel zu holen gibt«, kicherte sie vergnügt.
So war das Verhältnis zu ihrem Sohn zwar nicht liebevoller geworden, aber zumindest kümmerte er sich angemessen um seine Mutter und redete ihr nicht mehr in ihr Leben hinein, machte ihr keine Vorschriften mehr.
So war wieder einmal ein Fall zu aller Zufriedenheit abgeschlossen, und Wendy verstaute eben die Patientenkarte im Ablageschrank, als sie spürte, dass sie angestarrt wurde. Sie wusste auch genau, von wem. Mit zitternden Fingern steckte sie die Karte zurück an ihren Platz und drehte sich dann langsam um.
Wie geahnt stand Edgar von Platen am Tresen und schenkte ihr sein strahlendstes Lächeln, mit dem er ihr jeden Wind aus den Segeln nahm.
»Anna-Maria!«, rief er überschwänglich und breitete die Arme aus. »Wie schön, Sie endlich wiederzusehen. Ohne Sie, Ihr süßes Lächeln, Ihre zärtliche Stimme, werden Stunden zu Tagen …«
Vor Entsetzen schoss Wendy das Blut in die Wangen.
»Sind Sie verrückt geworden?«, zischte sie und schickte einen panischen Blick ins glücklicherweise fast leere Wartezimmer. »Hören Sie sofort auf damit! Ich bin in der Arbeit.«
Sofort ließ Edgar die Arme sinken und sah sie schuldbewusst an.
»Verzeihung«, murmelte er eine Entschuldigung. »Ich wollte Sie nicht kompromittieren.«
Er wirkte so zerknirscht, dass Wendy schlagartig die Standpauke vergaß, die sie ihm hatte halten wollen. Sie trat an den Tresen und sah ihn forschend an. Er sah immer noch unverschämt gut aus mit seinen grauen Schläfen und den freundlichen Augen hinter der Brille.
»Wo haben Sie in den vergangenen Tagen gesteckt?«, fragte sie leise. »Ich dachte schon, Sie hätten sich aus dem Staub gemacht.« Mit meinem Geld!, fügte sie in Gedanken hinzu.
Entsetzt riss Edgar die Augen auf.
»Was? Sie halten mich für so einen Schurken?«
Jetzt musste Wendy doch schmunzeln.
»Na ja, nachdem ich festgestellt habe, dass in der Behnisch-Klinik kein Diebstahl bekannt geworden ist und Sie wie vom Erdboden verschluckt waren …«, begann sie zögernd, als Edgar sie empört unterbrach.
»… da dachten Sie, dass ich Sie nur ausgenutzt und mich aus dem Staub gemacht habe.«
»Na ja …« In Erwartung einer wütenden Schimpftirade hielt sie die Luft an.
Doch nichts dergleichen geschah. Sie riskierte einen vorsichtigen Blick und bemerkte das tiefe Mitgefühl, das auf einmal in Edgars Augen stand.
»Meine arme Anna-Maria! Wie grausam muss das Schicksal und vor allen Dingen die Männer Ihnen mitgespielt haben, dass Sie so misstrauisch sind«, bemerkte er mit weicher Stimme.
Fassungslos sah Wendy dabei zu, wie er sein Portemonnaie aus der Tasche zog und ihr das schuldige Geld Schein für Schein hinblätterte.
»Haben Sie wirklich gedacht, ich hätte das nötig? So eine lächerliche Summe?«
An dieser Stelle wünschte sich Wendy ein Loch, das sich im Erdboden auftun würde, damit sie darin verschwinden konnte.
»Ich …, es …, ich …«
Sie verstummte, als sie spürte, wie er seine Hand federleicht auf die ihre legte.
»Tut mir leid. Das ist meine Schuld«, räumte er plötzlich ein. »Meine Kreditkarten wurden gar nicht gestohlen. Ich hatte vergessen, dass ich mein Portemonnaie vor dem Klinikbesuch ausgeräumt hatte.«
Wendy starrte ihn ungläubig an. Ein Glück, dass sie das nicht an die ganz große Glocke gehängt hatte.
»Und warum haben Sie sich nach dem Abend nicht mehr bei mir gemeldet?«, fragte sie irritiert.
»Geschäfte, meine Liebe. Dringende Geschäfte!«, versicherte er versöhnlich lächelnd. »Aber ich habe gute Nachrichten. Alles ist perfekt gelaufen und ich werde noch eine Weile in München bleiben. Zur Feier des Tages wollte ich Sie in die Oper einladen.« Triumphierend lächelnd griff er in sein Sakko und zog zwei Eintrittskarten heraus. »La Traviata! Sie haben mir doch erzählt, dass das Ihre Lieblingsoper ist, nicht wahr?«
Wendy machte den Mund auf und wieder zu. Sie konnte nichts sagen. Plötzlich war ihre kleine Welt wieder in Ordnung, fragte sie sich, wie sie so sehr an diesem wunderbaren Mann hatte zweifeln können. Er war ein Geschenk des Himmels. Sie sollte es endlich glauben.
»Und? Wie sieht es aus?«, fragte Edgar von Platen in ihre Gedanken hinein. »Begleiten Sie mich?«
»Sehr, sehr gerne«, sagte sie und konnte und wollte ihre Freude und Erleichterung nicht verbergen. Auf einmal freute sie sich auf diesen Abend. Und auf die Zukunft mit Edgar. So lange sie auch dauern mochte!