Название: G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr
Автор: Гилберт Кит Честертон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027207428
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Syme fiel der Stockdegen aus der Hand und fiel so laut hin, daß er laut von seinem Inhalt beichtete. Aber der Professor – der sah sich absolut nicht um. Syme, der ansonsten ein kaltblütiger Bursche war, sperrte das Maul auf wie ein Bauernlümmel bei einem Geistererscheinungstrick. Er hatte doch keine Kutsche sich nachfahren sehen; er hatte auch nicht gehört, daß eben jetzt draußen etwas angefahren wäre; so hatte es allen irdischen, menschlichen, sterblichen Anschein: der Mann war zu Fuß hergekommen. Aber dieser alte Mann kroch doch nur wie eine Schnecke; und er – Syme – war geflogen wie der Wind … Und er stand auf, griff eilends nach seinem Stock und drehte sich – halb verrückt über die Rechnung, die doch unmöglich stimmen konnte – aus der Drehtür … den Kaffee unberührt stehen lassend. Ein Omnibus, der nach der Bank führte, kam ratternd daher – fuhr mit einer unüblichen Rapidität vorüber. Syme mußte ein Rennen über hundert Yards laufen, ehe er ihn einholte. Aber er war geschickt im Springen, schwang sich auf das Spritzbrett und nachdem er sich eine Sekunde lang ausgeschnauft, erklomm er den Juchhe. Und als er dann ungefähr eine halbe Minute saß, hörte er hinter sich ein schweres asthmatisches Keuchen.
Jäh riß es ihn herum: und da sah er hoch und immer höher die Stufen zum Verdeck einen Zylinderhut heraufkommen, einen beschmutzten und triefend von Schnee, und unter dem Schatten der Krempe das kurzsichtige Gesicht und die zitternden Schultern von – Professor de Worms. Und dann saß der mit seiner charakteristischen umständlichen Sorgfalt nieder und wickelte sich bis ans Kinn in seinen wasserdichten Mantel. Jede Bewegung dieses wackelnden Greisenleibes und dieser Zitterhände, jede wie blinde Geste und jede Pause, die wie ein neuer Anfall war – es stand doch wahrlich außer aller Frage, daß der Mann unendlich hilflos war und im letzten schlimmsten Stadium von Körperschwäche. Er kam nur Zoll für Zoll vorwärts und schnappte dabei gewaltig nach Luft. Und dennoch – wofern nicht die philosophischen Wesenheiten, Zeit und Raum genannt, ohne jede Spur von wirklicher Existenz sind – wars fraglos: der – der – der war dem Omnibus nachgelaufen – ! Aufsprang Syme auf dem Schaukelbus, starrte wild zum winterlichen Himmel empor, der in jedem Augenblick dunkler wurde, und raste die Stufen hinab. Wobei er einem elementaren Impuls, direkt übers Geländer hinunterzuspringen, gerade noch widerstehen konnte. Zu sehr verwirrt, um noch einmal hinter sich zu schauen oder überhaupt noch richtig zu überlegen, stürzte er aufs Geratewohl in eine jener schmalen Quergassen von Meet Street hinein – gerad wie ein Kaninchen in ein Loch. Er hatte nur noch den ganz vagen Gedanken: wenn dieses unbegreifliche alte Schachtelmännchen ihn wirklich verfolgte, dann konnte er ihn in diesem Labyrinth von Gäßchen am ehesten von der Spur abbringen. Also flitzte er da hinein und dort heraus in diesen krummen Gäßchen, die schon mehr Kratzwunden als Verkehrsadern am Leibe Londons zu nennen waren. Und als er so um die zwanzig Ecken umgebogen war und auf die Weise ein unaussinnbares Vieleck beschrieben hatte, blieb er stehen und horchte, ob ihm wer nachkäme. Nichts. Aber das hätte auch zu nichts taugen können, denn zu gehen war unhörbar vor Schnee. Hinter Red Lion Court aber, da hatten ein paar energische Bürger die Straße auf zwanzig Yards etwa von allem Schnee gesäubert, daß das nasse glänzende Steinpflaster bloßlag. Er achtete dessen aber wenig im Vorbeilaufen, er wollte nur so geschwind als möglich wieder in eine andere Richtung dieses seines Irrgartens einbiegen. Aber als er ein paar hundert Yards weiter aufs neue stillstand um zu lauschen, da stand ihm auch das Herz still – – denn auf den holperigen Steinen von vorhin hörte er: die lärmende Krücke, die walzenden Sohlen des infernalischen Krüppels…
Der Himmel hing schwer von Wolken Schnees, daß London vorzeitig dunkel und bleiern lag an diesem Abend. Rechts und links von Syme die Mauern blind und formlos. Kein Fenster, kein Auge. Da triebs ihn, wie durch diese toten Wände auszubrechen und in freiere erleuchtetere Straßen zu gelangen. Doch strich und streunte und stromerte er noch eine ganze Weile umher, bis er den richtigen Durchlaß fand. Und kam endlich auf etwas heraus, das wie der weite leere Ludgate Circus war und sah St. Paul’s Cathedral gen Himmel ragen.
Erst war er entsetzt, diese großen Straßen so ausgestorben zu finden, als ob die Pest hier durchgezogen wäre. Aber dann sagte er sich: daß diese Leere einigermaßen erklärlich war. War nicht – erstlich – der scheußliche Schneesturm gewesen – und wars – zweitens – nicht Sonntag? Bei dem Wort Sonntag bissen sich ihm die Lippen aufeinander. Dies Wort war ihm von nun an wie ein obszöner Witz. Von der grellichten Schneedecke an bis hoch hoch auf in den Himmel füllte die ganze Luft etwas wie ein grünes Zwielicht an, als war das alles wohl unter dem Meer. Der fremde düstere Sonnenuntergang hinter der dunklen Kuppel von St. Paul’s hatte in seinen dampfenden und unheildrohenden Farben – Farben von krankem Grün, totem Rot und abzehrendem Bronze, die gerade licht genug waren, die solide Weiße des Schnees zu betonen. Aber rechts gegen dieses finstere Farbenspiel stand der schwarze Leib der Kathedrale auf – und über den höchsten Punkt war aufs Geratewohl eine große Wehe Schnee hingeweht, die gerad aussah, wie ein Alpengipfel. Die war natürlich ganz zufällig so hingeweht, doch machte es sichs nun just so, daß sie die Kuppel am höchsten Punkte halb verhüllte und vollkommen die große Brdkugel und das Kreuz darauf silberstrahlend heraushob … Als Syme das sah, reckte er sich auf und schwang mit seinem Stockdegen unwillkürlich einen feierlichen Gruß.
Er wußte es: jene scheußliche Gestalt, sein Schatten, kroch schneller oder langsamer hinter ihm her – aber er kümmerte sich nicht mehr darum. Ihm war ein Symbol menschlicher Treue und Stärke: daß, während die Himmel dunkelten, dieser hohe Erdenbau licht war. Mochten die Teufel den Himmel, den Himmel erobert haben – das Kreuz war doch noch nicht in ihrer Hand … Und da kam Syme eine neue Idee, wie er diesen walzenden, hopsenden, paralytischen Verfolger abschütteln könnte. Und bei dem Einlaßgäßchen am Zirkus blieb er stehen, drehte sich um und wartete so, mit dem Stock in der Hand, auf den Nachschleicher.
Professor de Worms kam nun die krumme Biegung langsam hinter ihm her – und also wars, mit der einsamen Gaslaterne inmitten, ganz jenes unvergeßliche Bild aus dem Ammenliedchen: »das bucklicht Männlein, das eine bucklichte Meile ging« … Und der Professor sah aus – wie an seinem ganzen Leibe recht sehr mitgenommen und nun noch viel krummer von all den gekrümmten Straßen, durch die er sich winden mußte. Und kam nah und näher, und das Laternenlicht fiel auf seine empor gerutschten Brillen und auf sein wie emporgerutschtes Patientengesicht. Und Syme ließ ihn herankommen, wie Sankt Georg den Drachen oder wie ein Mensch eine entscheidende Auseinandersetzung oder den Tod. Und der alte Professor kam richtig bis ganz zu ihm heran – – und ging an ihm vorüber wie ein Stockfremder, ohne ein Zucken seiner kummervollen Augenlider – –
In diesem schweigenden und total unerwarteten Ganzunschuldigtun lag für Syme etwas, das ihn nun in hellen Zorn brachte. Dieses Mannes farblos Gesicht wie Gehaben schien behaupten zu wollen: daß alles nur ein reiner Zufall gewesen sein sollte. Und das elektrisierte Syme nun mit einer Energie, die halb Bosheit war und halb jungenhafter Hohn. Er tat eine wilde Geste, als ob er dem alten Mann den Hut eintreiben wollte, rief etwas wie »Hasch mich doch, wenn du kannst«, und rannte voran über den freien weißen Platz hinüber. Nun wars ja kein Versteckspiel mehr; und wie er über die Schulter zurücksah, sah er, wie die schwarze Gestalt des alten Herrn ihm in langen hohen Sprüngen nachsetzte, wie einer, der ein Meilenrennen läuft. Aber das Haupt auf diesem hoch-und weitspringenden Körper war immer noch das blasse, ernste, berufsmäßige: das Haupt eben des Professors – auf dem Körper eines Bajazzo.
Diese wilde, wilde Jagd ging über СКАЧАТЬ