Название: Gesammelte Erzählungen von Klabund
Автор: Klabund
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027208135
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So sättigte sich der Bär Hugo von nun ab an den Abfällen edler Herrschaften, die ihm nicht so reichlich zukamen, daß sie ihn völlig befriedigten. Er saß auf dem Salzplatz, an seinen Pflock gebunden, unter Aufsicht der schwebenden Jungfrau, welche Wäsche ausbesserte, und der Herbstregen wusch seinen Pelz. Es wurde Spätherbst, und der Bär fror. Sein Pelz zitterte und seine müden Augen sahen furchtsam zum bleiernen Himmel empor. Die schwebende Jungfrau weinte.
Da kam Herr Salandrini auf einen guten Gedanken. Er war ja Koksarbeiter an der Gasanstalt. Er bat den Magistrat um Erlaubnis, den Bären in einen leeren warmen Raum der Gasanstalt, neben den großen Öfen, unterbringen zu dürfen. Der Magistrat, der sich von der Harmlosigkeit des halb verhungerten und schwächlichen kleinen Bären längst überzeugt hatte, gab die Einwilligung, und der Bär hockte nun hinter einer hölzernen Gittertür und blickte mit traurigen Augen in die feurige Glut der Öfen. Hin und wieder besuchten ihn die Kinder des Gasanstaltsinspektors und brachten ihm ein Stück Kriegsbrot oder Küchenreste. Er fraß alles, was ihm zwischen die Zähne gestopft wurde.
Eines Morgens aber lag er tot hinter dem Gitter, und das rosa Licht der Öfen tanzte über sein dunkelbraunes spärliches Fell.
Herr Salandrini war erschüttert, aber als Koksarbeiter hatte er keine Zeit zu langen Meditationen. Die schwebende Jungfrau warf sich schreiend über den toten Bären und das ganze sah aus wie ein Bild von Piloty.
Ob der Bär an Gasvergiftung oder an Unterernährung zugrunde ging, war nicht festzustellen.
Herr Rechtsanwalt K. kaufte Herrn Salandrini das Bärenfell samt dem Kopfe ab. Herr K. ist im Begriff, die Stadt zu verlassen und in Z. eine neue Praxis aufzunehmen. Er wird sich das Fell des wahrsagenden Bären Hugo in seinem Herrenzimmer an die Wand nageln, und wenn er Freunde bei sich zu Gast hat, wird er mit einer großen Gebärde auf das Fell deuten, seine Zigarrenasche nachlässig abschlagen und zerstreut zu erzählen beginnen:
»Als ich noch in den schwarzen Bergen Bären jagte…«
Der wohlhabende junge Mann
Es ist Sonntag nachmittag. Irgendwo ist Krieg. Draußen steht ein kalter, blauer Himmel. In zwei fast gleiche Hälften, eine graue, blaßgelbe und eine hellgoldene, teilt die Wintersonne das gegenüberliegende Haus. Die rostbraunen länglichen Fensterkreuze blicken steil und starr wie Kruzifixe. Jetzt wird eines – im dritten Stock – auseinandergerissen. Ein Mann mit dickem, kahlem Kopf und schmutzigrüner Lodenjacke schiebt sich heraus und sieht auf die Straße. Eine schwarzgekleidete Frau, das Staubtuch in der rechten Hand, beugt sich über ihn. Dann verschwinden sie beide, und die weiße Gardine zieht sich langsam zu. –
Ich liege auf dem Sofa und wühle meinen Kopf in das weiche, warme Samtkissen. Irgendwo ist Krieg. Ich brauche nicht zu denken, nicht zu fühlen, nicht zu handeln. Ohne Anstrengung träume ich beinah traumlos. Keine Erinnerung vergangener, kein Wille zukünftiger Taten. Kein unbewußtes Ich-sein wollen. Wie die Fackel im Sande bin ich im Raumlosen verlöscht. Ich schließe die Augen. Das Licht zwängt sich durch die Fenster. Es löst alle Gestalten im Zimmer und verschlingt sie: den großen Schrank, die Bilder an der Wand, die Sessel, jetzt tappt es am Spiegel vorbei, jetzt greift es an die messingne Türklinke. Wie ein Körper ist das Licht. Wie ein Körper, aus dem alle Dinge erst sind. Wie ein Schaffender. Es streicht über den weißen Kachelofen. Und der Ofen ist. Ich spüre den Atem des Lichtes auf den weißblauen Fliesen. Zu mir kommt das Licht nicht. Ich rolle mich zusammen und blinzle durch die Lider. Als ein Andrer, Feindlicher liege ich außerhalb des Lichtes in einer engen, wohligen Dunkelheit wie in einer Wiege, die sich selber.. lang.. langsam.. hin.. und.. her.. wiegt.. hin.. und her. Die Uhr schlägt. Einmal. Ich sehe, wie der dumpfe, schöne Klang in das lichtvolle Zimmer rollt.. wie er nachzittert.. unruhig.. leise.. leise weinend, gleich einem Kind, das den Weg verloren hat. Wie die Strahlen nach ihm haschen, ihn tragen auf den silbrig goldenen Fittichen, ihn fallen lassen und wieder heben. Ich weiß nicht wie spät es ist, ich weiß es nie. Ich habe die Uhr falsch gestellt. Ich liebe das Leben zwischen den Zeiten. Eine Uhr, die pünktlich und zeitsicher in meinen Räumen die Stunden schlägt, wäre mir ärgerlich und unerträglich, eine klägliche Mahnerin. Ich habe auch keinen Abreißkalender. Die Tage sind mir so gleichgültig, der erste und der sechste und zehnte. Was sollen sie? Gewißheit ist eine unanständige Tugend, nicht einmal dem Tode steht sie an.
Ich rekle mich und strecke mich. Es hat halb geschlagen. Irgendwie halb. Halb drei oder halb vier. Und dann geht die Uhr noch zwei oder drei Stunden und soundsoviel Minuten und soundsoviel Sekunden nach oder vor. Wie schön, wie töricht schön, gar keine Wünsche, keine Hoffnung, kein Hasten, kein erzwungenes Lachen des Glaubens mehr zu haben. Nur ein Gaukeln und Treiben auf dunklen Wellen, bald auf Wellenbergen, bald in Wellentälern.
Der Widerschein eines Fensters kriecht mir aufdringlich über das Gesicht.
Ich werde wach. Was tu ich nun nachher? Geh ich ins Café? Ich wollte ja noch mit dem Geschäftsführer sprechen. Das Büffetfräulein hatte gestern eine schmutzige Schürze um. Dabei ist sie hübsch. Daß den abstrakten Dingen keine Reinlichkeit innewohnt. Daß wir sie immer erst waschen müssen.
Oder ich steige in die Stadtbahn – die erste beste – und setze mich an das Fenster – ich habe es lange nicht getan – und blicke nach einem Haus, einem Wiesenstück, einem Schornstein, einem Hinterhof. Und gefällt mir ein Bild oder Klang, steige ich auf der nächstgelegenen Station aus und suche nach diesem Fleck, der mir gefiel, in seiner traumlosen, vielleicht verlorenen Dämmerung, die niemand empfinden kann als ich, der ihm verwandte. Dieses Suchen spannt köstlich, reizt, erregt. Man weiß ja nie, ob man den Platz findet, wie man sich seiner erinnert. Inzwischen kann die Luftspiegelung anders geworden sein ... oder das Fenster an jenem Haus, wo ein Kind oder ein Mädchen oder eine Mutter heraussah, hat sich geschlossen ... oder der Veteran mit seinem Stelzbein, seinem verbogenen Grammophon und den schmutzigen Ordensbändern läßt längst in einem anderen Hofe sein knirschendes Instrument und seine kreischende Stimme erschallen. Ich suche gern nach zwecklosen Erinnerungen. Und ist uns denn ein anderes Glück gegeben, als Worte und Bilder zu sammeln?
Zwischen zwei Vorortbahnhöfen, ungefähr in der Mitte, steht im Sande am Eisenbahndamm, unsern eines Neubaus, eine verkrüppelte Kiefer. Ich sah sie zum ersten Male, als ein Gewitter über ihr hing. Im strömenden Regen bin ich zu ihr gegangen. Ich habe ihre rauhe braune Rinde gestreichelt, sie umarmt und mir von ihr die Stirn wund ritzen lassen. Als wäre ich ihr Blutsfreund. Immer und immer wieder besuchte ich sie. Am schönsten ist sie, wenn am grellsonnigen Himmel eine nachtschwarze Wolkenwand steht oder im Winter, wenn Neuschnee fiel.
Es klingelt. Scharf. Zweimal. Was ist? – ..., der Depeschenbote ... »Komme heute abend. Selma.«
Wie kann man nur ein Verhältnis haben, das Selma heißt? Der Name tut weh. Ihr selber auch. Er riecht so entsetzlich nach wollener Unterwäsche und ungelüfteter Stube, die zugleich Küche, Wohnstube und Werkstätte ist, wo Mutter die Bratkartoffeln brät, die ungewaschenen Kleinen sich herumbalgen und Vater Kürschnermeister und Mützenmacher die Pelze aufbewahrt und Hutkrempen näht.
Dazwischen Selma. Es steckt Altjüngferlichkeit und glatte Gemeinheit zugleich in diesem verfluchten Namen. Ich habe sie Fritzi getauft. Ich taufe überhaupt alle Mädchen. Es ist ein unterhaltendes Geschäft und für einen Laien in der Psychologie sehr lohnend. Sie hat mich sehr lieb. Am nächsten Morgen habe ich immer Lungen- und Rippenschmerzen. Ich liebe sie nicht. Ich will nur, daß meine Freunde mich um das schöne Mädchen beneiden. Ich bin überhaupt nur für Mädchen, wenn man sich mit ihnen sehen СКАЧАТЬ