Gesammelte Erzählungen von Klabund. Klabund
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Название: Gesammelte Erzählungen von Klabund

Автор: Klabund

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027208135

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СКАЧАТЬ die Bahn nach Oberammergau ab. Schon fünf Jahre ist es her, daß sie die Passion spielten. Damals sprach man nur englisch in Oberammergau. Johannes, der Lieblingsjünger des Herrn, ging mit einem Buch herum: Do you speak english? und deklinierte: die Lady, der Lady ... Pontius Pilatus versuchte sich in einem verstörten Hochdeutsch. Christo hätten die Gentlemen nach der Vorstellung am liebsten die Pferde seiner Droschke ausgespannt, wenn er eine gehabt hätte.

      Jetzt liegt Johannes vor Ypern und verwertet in anderer Weise wie früher seine englischen Sprachkenntnisse. Petrus hört in Petrikau die Hähne krähen ... und Magdalena weint ...

      Mittenwald

       Inhaltsverzeichnis

      Man liegt in Decken gehüllt auf der Veranda. Es ist zehn Uhr abends. Das Karwendel schwimmt wie ein großer Dampfer in Dunkel und Wolken. Am Tage sieht es wie ein Tier aus: wie eine riesige ruhende Kuh. Aus Mittenwald, aus dem Tale herauf, äugen zwischen niedrigen steinbelegten Dächern ein paar verschlafene goldene Lichter. Zuweilen leuchtet ein kleiner Mond wie mit einer elektrischen Taschenlampe über die Felsen am Karwendelabsturz. Als wolle er einen Verstiegenen suchen. Oder ein verscheuchtes Reh.

      Von fern klingt eine Glocke: sehr hoch und leise. Wie ein Vogel zwitschert sie aus den Wäldern. Sie läutet schon jenseit der Grenze. Aus Scharnitz vielleicht. Oder ist es die Eisenbahn?

      Ein Bach, eine Grille und ein Stern tönen.

      Nebenan im Zimmer lacht ein Kind. Scheppernd und fast wie ein alter Herr.

      Es wird immer dunkler, und man denkt an seine Mutter. So oft es dunkel wird, denkt man an seine Mutter. Am Morgen, wenn es wieder hell wird, denkt man an seinen Sohn. Daß man einen haben möchte: einen schlanken, blonden. Eine Brille soll er nicht tragen. Und Förster soll er werden. Oder Steward auf einem Ozeandampfer.

      Ein Wind weht in den Bäumen auf. Die schmale Fahne am Giebel knattert.

      Um vier Uhr kam die Nachricht, daß Brest-Litowsk fiel. Von den Hügeln wurde über das Tal hin Salut geschossen, den die Wände des Karwendel knallend zurückgaben. Dann läuteten alle Glocken im Tal. Das große Geläut! Es vermischte sich mit dem Geläut der vom Lautersee heimkehrenden Herden. So läutete es zugleich Krieg und Frieden.

      Es schlägt elf Uhr. Ein paar Wolken fallen von den Bergen und es beginnt zu regnen ...

      Neun Monate bist Du schon im Krieg, mein Bruder, neun Monate, und wir wissen so wenig von Dir. Siebzehn Jahre bist Du alt. Bei den ...ern stehst Du. Im Osten. Als Gefreiter. Von der Sekunda in den Krieg.

      Deine Karten sind kurz wie Telegramme.

      »Heute habe ich in der Bzura gebadet. Gruß, Hans.«

      Oder:

      »Auf der Verfolgung. Gestern 1600 Russen gefangen. Ganz Polen steht in Rauch und Brand. Hans.«

      Lieber Bruder – wen hab ich wohl lieber als Dich! Du weißt es nicht, denn Du bist zu jung, es zu wissen. Nun hast Du den Sturm auf Warschau mitgemacht und liegst verwundet in einem Warschauer Lazarett. »Leicht verwundet an Kopf und Auge durch Schrapnellschuß,« schreibst Du.

      Aber Du schreibst keine Adresse. Wie soll ich wissen, wo Du liegst, in welchem Lazarett und ob man Dir etwas schicken darf. Zigaretten. Oder Schokolade. (Die hast Du ja doch lieber.)

      Wenn Dir diese Zeilen zu Gesicht kommen sollten, so schreib sofort Deine Adresse. Vergeßlicher Junge! Und denk einmal an Deinen Bruder, der immer an Dich denkt. Und dem Krieg und Du dasselbe ist ...

      Herbst

       Inhaltsverzeichnis

      Die vierzehn Tage, daß ich nicht draußen war, ist es Herbst geworden.

      Knallgelbe Bäume stehen an den Wegen. Und andere ockerhell, wie Indianer. Sträucher blühen über und über violett oder brombeerblau oder ziegelrot.

      Die waldigen Berge liegen braun wie verrostete Ritterhelme im Lande.

      Die Zugspitze und der Wetterstein haben weiße Schneekappen auf.

      Winde spielen, und man ist so müde wie jene Wolke, die wie das Haupt eines schlaftrunkenen Kindes am Karwendel hingesunken ist und nicht weiter kann.

      Vor drei Wochen stand man auf der kleinen Isarbrücke, sah stromaufwärts, nach Tirol hinein, und dachte: Woher kommt das Wasser?

      Jetzt zögert man den Schritt auf derselben Brücke, blickt stromabwärts, dem Tal nach und fragt: Wohin fließt das Wasser?

      Und wenn man tausendmal weiß: die Isar fließt nach München. München ist nicht weit. München ist eine schöne Stadt. Man hat Freunde in München. Eine nette Wohnung. Bald wird man wieder in München sein ...

      Ist München unsere Heimat? Hast du überhaupt eine Heimat: trauriger Reiter zu Fuß?

      Wo fließt die Isar dann hin? Von München ...?

      *

      Im Warenhaus in der Hauptstraße von Mittenwald liegt ein Karton mit Franzosen aus. Ganz richtige Franzosen: mit roten Hosen, blauen Fräcken, Käppis und echt französischen Visagen.

      Sie stammen aus einer Nürnberger Spielwarenfabrik, sind sehr dauerhaft genäht und kosten Stück für Stück fünfzig Pfennig.

      Sie sind beinah echter als die wirklichen Franzosen und sind gar nicht entsetzlich anzusehen: ein wenig melancholisch, ein wenig grotesk, aber voll Charme.

      Die Ladeninhaberin sagte: sie habe schon ein paar Schachteln verkauft.

      Die Kinder gehen sehr zart mit ihren kleinen Gefangenen um. Sie lassen ihnen viel Freiheit. Sie werden sogar in einem Wagen mit ihren feldgrauen Brüdern spazieren gefahren und ganz wie Brüder, zum mindesten wie Vettern behandelt.

      Es ist gut, daß die Kinder wieder anfangen, mit Franzosen zu spielen ....

      *

      Auf einem Starnbergerseedampfer traf ich vorgestern als einzigen Passagier außer mir eine junge Dame, die ich Winter 1913 in Arosa kennen gelernt hatte.

      Wir gaben uns die Hand und sahen uns ein wenig verwundert an.

      »Wir sind uns doch nicht fremd,« sagte die junge Dame gequält, »wir haben uns doch einmal gut gekannt. Wann war das? Bitte helfen Sie mir ...«

      »Das war vor dem Kriege ... 1913 ...«

      »1913 ... vor dem Kriege ... ich habe im Kriege mein Gedächtnis verloren ... aber soviel weiß ich noch, daß wir bei dem Faschingsfest in der Aroser Pension die beiden Siouxindianer waren ... wir erklärten damals der ganzen Welt den Krieg. Jetzt hat die Welt uns den Krieg erklärt ... ich werde nie mehr lachen können ... ich bin wie jener Baum am Ufer dort ... sehen Sie ... ganz mit braunen Laub bedeckt ... es gibt nur noch Herbst auf der Welt ...«

      Allerseelen

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