Название: Gesammelte Werke von Gustave Flaubert
Автор: Гюстав Флобер
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027209903
isbn:
»Leo ist heute zeitig gegangen«, erzählte Karl.
Sie mußte lächeln, und mit dem Gefühl einer ungeahnten Glückseligkeit schlummerte sie ein.
Am andern Tage, gegen Abend, empfing sie den Besuch des Herrn Lheureux, des Modewarenhändlers. Der war, wie man zu sagen pflegt, mit allen Hunden gehetzt. Obgleich ein geborener Gascogner, war er doch ein vollkommener Normanne geworden; er einte in sich die lebhafte Redseligkeit des Südländers und die nüchterne Verschlagenheit seiner neuen Landsleute. Sein feistes, aufgeschwemmtes und bartloses Gesicht sah aus, als sei es mit Süßholztinktur gefärbt, und sein weißes Haar brachte den scharfen Glanz seiner munteren schwarzen Augen noch mehr zur Wirkung. Was er früher getrieben, wußte man nicht. Manche munkelten, er sei Hausierer gewesen, andre sagten, Geldwechsler in Routot. Etwas aber stand fest: er konnte im Kopfe die schwierigsten Berechnungen ausführen. Selbst Binet kam dies unheimlich vor. Dabei war er kriechend höflich; er lief in immer halb gebückter Haltung herum, als ob er jemanden grüßen oder einladen wollte.
Seinen mit einem Trauerflor versehenen Hut legte er an der Türe ab, stellte einen grünen Pappkasten auf den Tisch und begann sich dann unter tausend Floskeln bei Frau Bovary zu beklagen, daß er ihre Kundschaft noch immer nicht gewonnen habe. Allerdings sei eine »armselige Butike« wie die seine nicht gerade verlockend für eine »elegante Dame«. Diese beiden Worte betonte er ganz besonders. Aber sie brauche nur zu befehlen, er mache sich anheischig, ihr alles nach Wunsch zu besorgen, Kurzwaren, Wäsche, Strümpfe, Modewaren, was sie brauche. Er fahre regelmäßig viermal im Monat nach der Stadt und stehe mit den ersten Firmen in Verbindung. Sie könne sich überall nach ihm erkundigen. Heute komme er nur ganz im Vorübergehen, um der gnädigen Frau ein paar feine Sachen zu zeigen, die er durch einen ganz besonders günstigen Gelegenheitskauf erworben hätte. Dabei packte er aus dem Kasten ein halbes Dutzend gestickter Halskragen.
Frau Bovary besah sie sich.
»Ich brauche nichts«, bemerkte sie.
Nunmehr kramte der Händler behutsam drei algerische Seidentücher aus, mehrere Pakete englischer Nähnadeln, ein paar strohgeflochtne Pantoffeln und schließlich vier Eierbecher aus Kokosnußschale, filigranartige Schnitzarbeiten von Sträflingen. Sich mit beiden Händen auf den Tisch stützend, mit langem Hals und offnem Mund, beobachtete er Emmas Augen, die unentschlossen in all diesen Gegenständen herumsuchten. Von Zeit zu Zeit strich er mit dem Fingernagel über die lang hingebreiteten Tücher, als wolle er ein Stäubchen entfernen; die Seide knisterte leise, und das grünliche Dämmerlicht glitzerte auf den Goldfäden des Gewebes in sternigen Funken.
»Was kostet so ein Tuch?« fragte Emma.
»Ein paar Groschen!« antwortete er. »Ein paar Groschen! Aber das eilt ja nicht. Ganz wanns Ihnen paßt! Unsereiner ist ja kein Jude!«
Sie dachte einen Augenblick nach, schließlich dankte sie dem Händler, der gelassen erwiderte:
»Na ja, dann ein andermal! Ich habe mich bisher mit allen Damen vertragen, mit meiner nur nicht.«
Emma lächelte. Er sah es und fuhr mit der Maske des Biedermannes fort:
»Ich wollte damit nur gesagt haben, daß Geld Nebensache ist. Wenn Sie mal welches brauchten, könnten Sie es von mir haben.«
Sie machte eine erstaunte Miene.
Schnell flüsterte er:
»Oh! Ich verschaffte es Ihnen auf der Stelle! Darauf können Sie sich verlassen!«
Davon abspringend, erkundigte er sich flugs nach dem alten Tellier, dem Wirt vom Café Français, den Bovary gerade in Behandlung hatte.
»Was fehlt ihm denn eigentlich, dem alten Freunde? Er hustet, daß sein ganzes Haus wackelt. Ich fürchte, ich fürchte, er läßt sich eher zu einem Überzieher aus Fichtenholz Maß nehmen als zu einem aus Wintertuch. Na, solange er auf dem Damme war, da hat er schöne Zicken gemacht! Die Sorte, gnädige Frau, die wird nie vernünftig! Und dann der Schnaps, das ist allemal der Ruin! Aber es ist immer betrübend, wenn man sieht, wie es mit einem alten Bekannten zu Ende geht.«
Während er seine Siebensachen wieder in den Pappkasten packte, schwatzte er so von allen möglichen Patienten des Arztes.
»Das liegt am Wetter, ganz zweifellos!« erhärte er, indem er verdrießlich durch die Fensterscheiben sah. »Das bringt alle diese Krankheiten. Es geht mir ja selber so: ich fühle mich gar nicht recht au fait. Werde wohl demnächst auch mal zu Ihrem Herrn Gemahl in die Sprechstunde kommen müssen. Meiner Kreuzschmerzen wegen. Na, auf Wiedersehen, Frau Doktor! Stehe immer zu Ihrer Verfügung! Gehorsamster Diener!«
Und er schloß die Türe sacht hinter sich.
Emma ließ sich das Essen in ihrem Zimmer servieren, auf einem Tischchen am Kamin. Sie nahm sich mehr Zeit denn sonst, und es schmeckte ihr alles vorzüglich.
»Wie vernünftig ich doch war!« sagte sie bei sich und dachte an die Seidentücher.
Da hörte sie Tritte auf der Treppe. Es war Leo. Sie stand schnell auf und nahm von der Kommode von einem Stoß Wischtücher, die gesäumt werden sollten, das oberste zur Hand. Als der junge Mann eintrat, tat sie sehr beschäftigt.
Die Unterhaltung wollte nicht recht in Gang kommen. Frau Bovary schwieg immer wieder, und Leo war aus Schüchternheit einsilbig. Er saß nahe am Kamin auf einem niedrigen Sessel und spielte mit ihrem elfenbeinernen Nadelbüchschen.
Emma nähte oder glättete von Zeit zu Zeit mit dem Fingernagel den umgelegten Saum. Sie verstummte ganz, und er sagte nichts, weil ihn ihr Schweigen ebenso nachdenklich machte, als ob sie wer weiß was gesprochen hätte.
»Armer Junge!« dachte sie.
»Warum bin ich bei ihr in Ungnade?« fragte er sich.
Schließlich fing er an zu reden. Er müsse in den nächsten Tagen nach Rouen fahren. In einer Berufsangelegenheit.
»Ihr Musikalienabonnement ist abgelaufen. Darf ich es erneuern?«
»Nein«, entgegnete sie.
»Warum nicht?«
»Weil …«
Emma biß sich auf die Lippen. Umständlich zog sie den grauen Zwirn hoch. Leo ärgerte sich über ihre Emsigkeit. »Warum zersticht sie sich die Finger?« dachte er. Eine galante Bemerkung fuhr ihm durch den Sinn, aber er wagte nicht, sie auszusprechen.
»So wollen Sie es also aufgeben?«
»Was?« fragte sie nervös. »Die Musik? Ach, du mein Gott! Ich habe soviel in der Wirtschaft zu tun, meinen Mann zu versorgen und tausend andre Dinge. Mit einem Wort: erst die Pflicht!«
Sie blickte nach der Uhr. Karl hätte schon längst heim sein müssen. Sie stellte sich beunruhigt. Zwei-oder dreimal meinte sie im Gespräche:
»Mein Mann ist so gut!«
Der Adjunkt mochte Herrn Bovary sehr gut leiden. Aber diese Zärtlichkeit befremdete ihn auf das unangenehmste. Gleichwohl stimmte er in ihr Lob ein.
»Darüber СКАЧАТЬ