Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin
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СКАЧАТЬ schwöre es Euch, daß ich diese Lichtflamme nach Florenz bringen werde!« rief Raniero. »Ich werde etwas vollbringen, was kein anderer auf sich nehmen wollte.«

      Der alte Waffenträger verteidigte sich. »Herr, für Dich ist es ein ander Ding. Du kannst ein großes Gefolge mitnehmen, mich aber wolltest Du allein aussenden.«

      Doch Raniero war wie außer sich und überlegte seine Worte nicht mehr. Er sprach: »Auch ich werde allein hinziehen.« Und damit hatte Raniero seinen Zweck erreicht. Alle im Zelt Anwesenden hörten auf zu lachen. Entsetzt saßen sie da und starrten ihn an.

      »Warum lacht Ihr nun nicht mehr?« fragte Raniero. »Dieses Vorhaben ist doch nur ein Kinderspiel für einen tapferen Mann.«

      3

       Inhaltsverzeichnis

      In der Morgendämmerung des nächsten Tages stieg Raniero zu Pferde. Er war in voller Rüstung, hatte aber einen groben Pilgermantel um die Schultern geworfen, damit der Panzer nicht gar zu sehr von den Sonnenstrahlen durchglüht würde. Er war mit Schwert und Keule bewaffnet und ritt ein gutes Pferd. In der Hand hielt er eine brennende Kerze, und am Sattel hatte er ein mächtiges Bündel langer Wachskerzen befestigt, um die Flamme nicht aus Mangel an Nahrung hinsterben Zu lassen.

      Raniero ritt langsam durch die von Zelten dicht besetzte Lagergasse, und alles ging soweit gut. Es war so früh, daß die Nebel, die aus den tiefen Tälern rings um Jerusalem emporstiegen, sich noch nicht zerteilt hatten, und Raniero ritt wie durch eine mattweiße Nacht. Das ganze Lager schlief noch, und Raniero kam leicht an den Wachtposten vorüber. Niemand rief ihn an, denn der dichte Nebel machte ihn unsichtbar, und die fußhohe, dichte Staubschicht ließ nichts von den Hufschlägen des Pferdes vernehmen.

      Raniero gelangte bald aus dem Bereich des Lagers und schlug den Weg nach Jaffa ein. Der Weg war hier besser, aber um der Lichtflamme willen ritt er beständig ganz langsam. In dem dichten Nebel brannte die Flamme mit einem rötlichen, zitternden Schein. Fortdauernd schwirrten große Insekten herbei, die sich mit zuckenden Flügelschlägen gerade ins Licht hineinstürzten. Raniero hatte viel Mühe, es zu schützen. Er war aber in bester Stimmung und fand noch immer, daß dieses ganze Unternehmen das reine Kinderspiel sei.

      Indessen ermüdete das Pferd durch diesen verlangsamten Ritt und setzte sich in Trab. Sofort begann die Lichtflamme in dem stärkeren Luftzug heftig zu flackern. Es nützte nichts, daß Raniero sie mit Hand und Mantel zu decken suchte. Er merkte, daß sie ganz nahe daran war, zu erlöschen.

      Doch hatte er gar keine Lust, die Sache so bald aufzugeben. Er hielt das Pferd an und überlegte eine ganze Weile, was wohl zu tun wäre. Schließlich schwang er sich aus dem Sattel und versuchte rücklings zu reiten, um mit seinem Leibe die Flamme vor Wind und Luftzug schützen zu können. Es gelang ihm auch so, sie brennend zu erhalten, doch überzeugte er sich, daß die Reise beschwerlicher sein würde, als er anfangs geglaubt hatte. Sobald er die Berge, die Jerusalem umgeben, hinter sich gelassen hatte, schwand der Nebel. Er ritt nun durch tiefste Einsamkeit dahin. Es gab dort weder Menschen noch Behausungen, weder grüne Bäume noch Pflanzen, man sah nur kahle Berghöhen.

      Auf dem weiteren Wege wurde Raniero von Räubern angefallen. Es war lockeres Gesindel, das unbefugt dem Heere folgte und von Raub und Plünderung lebte. Sie hatten sich hinter einem Berghügel verborgen, und Raniero, der rücklings auf seinem Pferde saß, wurde ihrer erst gewahr, als sie ihn bereits umringt hatten und ihre Schwerter schwangen.

      Es waren zwölf Männer. Sie sahen sehr verkommen aus und ritten jämmerliche Klepper. Raniero erkannte sogleich, daß es ihm keinerlei Schwierigkeiten bereiten würde, diese Schar zu durchbrechen und von dünnen zu reiten. Aber er wußte auch, daß dies nur zu bewerkstelligen wäre, wenn er die Kerze von sich würfe. Und er fand doch, daß er nicht so leicht von seinem Vorhaben ablassen konnte, nachdem er in der vergangenen Nacht so stolze Worte gesprochen hatte.

      Er sah also keinen anderen Ausweg, als mit den Räubern ein Uebereinkommen zu treffen. Er sagte ihnen, daß sie ihn wohl schwerlich überwältigen würden, falls er sich verteidige, denn er sei stark bewaffnet und reite ein gutes Pferd. Da er aber durch ein Gelübde gebunden sei, wolle er ihnen nicht Widerstand leisten, sondern sie kampflos nehmen lassen, wonach sie gelüstete, nur sollten sie geloben, seine Kerze nicht zu verlöschen. Die Räuber hatten einen harten Kampf erwartet. Sie waren mit Ranieros Vorschlag sehr zufrieden und begannen sofort, ihn auszuplündern. Sie nahmen ihm die Rüstung und das Roß, Waffen und Geld. Nur den groben Mantel und die beiden Kerzenbündel ließen sie ihm. Doch ihr Versprechen, die Lichtflamme nicht zu verlöschen, hatten sie ehrlich gehalten.

      Einer von ihnen hatte sich auf Ranieros Pferd geschwungen. Als er merkte, welch ein prächtiges Tier es war, schien er ein wenig Mitleid für den Ritter zu empfinden und rief ihm zu: »Sieh, wir wollen nicht gar zu hart gegen einen Christen verfahren. Du sollst mein altes Pferd zum Weiterreiten bekommen.« Es war eine erbärmliche Kracke, die sich so starr und steif bewegte, als wäre sie aus Holz.

      Als die Räuber endlich weggeritten waren und Raniero sich bereit machte, die elende Mähre zu besteigen, sagte er sich: »Diese Lichtflamme muß mich wirklich behext haben. Nur um ihretwillen reite ich jetzt wie ein verrückter Bettler meines Wegs.«

      Er fand selber, daß er am klügsten daran täte, umzukehren, weil sein Vorhaben ja doch unausführbar sein würde. Aber ein so sehnsüchtiges Verlangen überkam ihn, es dennoch zu vollbringen, daß er der Lust, es weiter zu versuchen, nicht widerstehen konnte.

      Er ritt also seines Weges dahin. Noch immer sah er ringsumher dieselben kahlen, hellgelben Höhen.

      Nach einer Weile kam er an einem jungen Hirten vorüber, der vier Ziegen hütete. Als Raniero die Tiere auf dem kahlen Felde weiden sah, fragte er sich, ob sie etwa Erde fräßen.

      Jener Hirt hatte wohl einst eine größere Herde besessen, die die Kreuzfahrer ihm geraubt haben mochten. Als er nun einen Christen allein heranreiten sah, suchte er ihm alles erdenkliche Böse anzutun. Er stürzte auf ihn zu und schlug mit seinem Hirtenstabe nach der Kerze.

      Raniero war durch die Lichtflamme so behindert, daß er sich nicht einmal gegen den Hirten verteidigen konnte. Er zog nur die Kerze dichter an sich heran, um sie zu schützen. Der Hirt schlug noch einigemal danach, blieb dann aber höchst verwundert stehen und hörte auf, nach der Kerze zu schlagen. Er sah, daß Ranieros Mantel in Brand geraten war, ohne daß dieser etwas tat, das Feuer zu ersticken, solange die Lichtflamme in Gefahr schwebte. Da schien der Hirt sich seiner Tat zu schämen. Lange folgte er Raniero nach, und an einer Stelle, wo der Weg sehr schmal war und sich zwischen zwei Abgründen hinzog, trat er hinzu und führte das Pferd am Zügel.

      Raniero dachte lächelnd, daß der Hirt ihn sicher für einen heiligen Mann halte, der Buße tue.

      Gegen Abend traf Raniero auf seinem Wege viele Menschen. Es hatte sich nämlich bereits in der Nacht an der Küste entlang das Gerücht von Jerusalems Fall verbreitet, und gar viele Leute hatten sich sofort angeschickt, hinauf zu wandern. Es waren Pilger, die schon jahrelang die Gelegenheit erharrt hatten, nach Jerusalem zu gelangen, und es waren frischgelandete Truppen und vor allem waren darunter Kaufleute, die mit ganzen Fuhren von Lebensmitteln dorthin eilten.

      Als diese Scharen Raniero begegneten, der rücklings, mit einer brennenden Kerze in der Hand, angeritten kam, riefen sie: »Ein Wahnsinniger, ein Wahnsinniger!«

      Die meisten dieser Leute waren Italiener, und Raniero vernahm es, wie sie in seiner eigenen Muttersprache riefen: Pazzo, pazzo! was bedeutet: ein Verrückter, ein Verrückter!

      Raniero, СКАЧАТЬ