Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin
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Читать онлайн книгу Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter Benjamin страница 166

СКАЧАТЬ blickte ins Zimmer herein.

      »Nun, Mr. Michael«, sagte er, »bevor wir uns trennen, möchte ich in deiner Gegenwart ein Wort mit diesen Damen sprechen.«

      »Wie Sie wünschen, Sir«, erwiderte ich. »Aber Sie täuschen sich und tun uns bitter unrecht, wenn Sie glauben, daß irgendein anderes Gefühl als reine, selbstlose, treue Liebe bei unserer Übereinkunft eine Rolle gespielt hat.«

      Darauf erwiderte er bloß: »Du lügst!« – kein Wort weiter.

      Wir gingen durch halbgetauten Schnee und halbgefrorenen Regen nach dem Hause, wo Christiana und ihre Mutter wohnten. Mein Onkel war gut mit ihnen bekannt. Sie saßen gerade beim Frühstück und waren überrascht, uns zu dieser Stunde zu sehen.

      »Ihr Diener, Ma'am«, sagte mein Onkel zu der Mutter. »Sie erraten wohl den Zweck meines Besuchs, Ma'am. Wie ich höre, schließt dieses Haus eine Welt von reiner, selbstloser, treuer Liebe ein. Ich bin glücklich, das zu bringen, was zur Vervollständigung dieser Welt einzig noch nötig ist. Ich bringe Ihnen Ihren Schwiegersohn, Ma'am, und Ihnen, Miß, Ihren Gatten. Der Gentleman ist ein vollkommen fremder Herr für mich, aber ich wünsche ihm Glück zu seinem weisen Handel.«

      Er zeigte mir die Zähne, als er das Zimmer verließ, und ich habe ihn nie wiedergesehen.

      Es ist eine ganz falsche Annahme (fuhr der arme Verwandte fort), daß meine teure Christiana sich von ihrer Mutter überreden ließ und einen reichen Mann heiratete; daß sie jetzt oft an mir vorbeifährt und ihre Wagenräder mich mit Kot bespritzen. Nein, nein. Sie heiratete mich.

      Wir heirateten sogar früher, als wir beabsichtigt hatten, und das kam so: Ich hatte mir eine bescheidene Wohnung gemietet und sparte und entwarf Pläne um ihretwillen, als sie eines Tages sehr ernst zu mir sagte:

      »Mein lieber Michael, ich habe dir mein Herz geschenkt. Ich habe dir gestanden, daß ich deine Liebe erwidere, und ich habe dir mein Wort gegeben, dein Weib zu werden. Ich gehöre dir schon jetzt in guten und in bösen Tagen, als ob wir an dem Tag, als diese Worte zwischen uns gesprochen wurden, geheiratet hätten. Ich kenne dich gut und weiß, daß dein ganzes Leben verdunkelt würde, wenn wir uns trennen. Dein ganzes Wesen, das selbst jetzt für den Kampf mit dem Leben kräftiger gerüstet sein sollte, würde dann nur noch ein Schatten seiner selbst sein!«

      »Gott helfe mir, Christiana!« sagte ich. »Du sprichst die Wahrheit.«

      »Michael!« sagte sie, mit ihrer ganzen mädchenhaften Hingabe ihre Hand in die meine legend, »wir wollen nicht länger getrennt leben. Ich brauche nur zu sagen, daß ich mit dem, was du mir bieten kannst, zufrieden bin, und ich weiß, daß du glücklich sein wirst. So sage ich es denn von ganzem Herzen. Mühe dich nicht mehr allein; wir wollen gemeinsam die Mühe tragen. Mein lieber Michael, es wäre nicht recht von mir, dir das zu verheimlichen, was du nicht ahnst, was aber mein ganzes Leben verbittert. Meine Mutter bedenkt nicht, daß du alles, was du verloren hast, nur um meinetwillen einbüßtest, nur weil ich dir Treue geschworen hatte. Sie setzt ihr Herz auf Reichtum und will mich zu meinem tiefsten Kummer zu einer anderen Ehe drängen. Ich kann das nicht ertragen, denn es ertragen, hieße treulos gegen dich sein. Ich will lieber deine Sorgen teilen als ihnen nur zuzusehen. Ich wünsche mir kein besseres Heim, als du mir geben kannst. Ich weiß, daß du mit erhöhtem Mut streben und arbeiten wirst, wenn ich ganz dein bin, und so mag es denn sein, sobald du willst!«

      Ich war unendlich glücklich an jenem Tage und eine neue Welt öffnete sich vor mir. Wir heirateten ganz kurze Zeit darauf und ich führte mein Weib in mein glückliches Heim. Damals bezogen wir zuerst das Haus, von dem ich gesprochen habe; das Schloß, das wir seitdem stets zusammen bewohnt haben, stammt aus dieser Zeit. Alle unsere Kinder sind darin geboren worden. Unser erstes Kind, das jetzt verheiratet ist, war ein Mädchen, das wir Christiana nannten. Ihr Sohn ist dem kleinen Frank so ähnlich, daß ich sie kaum auseinanderhalten kann.

      Auch die herrschende Meinung über die Handlungsweise meines Partners gegen mich ist vollkommen irrig. Er begann mich nicht von oben herab zu behandeln, wie einen armen Schwachkopf, als das unheilvolle Zerwürfnis zwischen mir und meinem Onkel eintrat. Auch bemächtigte er sich nicht allmählich unseres Geschäfts und drängte mich hinaus. Im Gegenteil, er verfuhr gegen mich wie ein vollendeter Ehrenmann.

      Die Dinge zwischen uns spielten sich folgendermaßen ab: An dem Tag der Trennung von meinem Onkel, und sogar bevor noch meine Koffer in unserem Kontor anlangten (er hatte sie mir nachgeschickt, ohne den Wagen zu bezahlen), ging ich in unser Geschäftslokal auf unserem kleinen Kai am Fluß. Dort teilte ich John Spatter den Vorfall mit. John gab nicht zur Antwort, daß reiche alte Verwandte greifbare Tatsachen, Liebe und schöne Gefühle aber Mondschein und Phantasterei seien. Er sprach folgendermaßen zu mir:

      »Michael«, sagte John, »wir sind zusammen zur Schule gegangen, und ich brachte es in der Regel fertig, besser voranzukommen als du und mir größeres Ansehen zu verschaffen.«

      »Das tatest du, John«, erwiderte ich.

      »Obgleich«, sagte John, »ich deine Bücher borgte und sie verlor; dein Taschengeld borgte und es verlor; dir meine schadhaften Messer zu einem höheren Preis verkaufte, als der war, den ich neu für sie gegeben hatte; und dich die von mir zerbrochenen Fenster auf deine Kappe nehmen ließ.«

      »Alles nicht der Rede wert, John Spatter«, sagte ich; »aber zweifellos wahr.«

      »Als du zuerst dieses Geschäft anfingst, das sich so verheißungsvoll anläßt«, fuhr John fort, »kam ich, eine Beschäftigung suchend und bereit, fast jede anzunehmen, zu dir, und du machtest mich zu deinem Angestellten. «

      »Ebensowenig der Rede wert, mein lieber John Spatter«, sagte ich; »aber ebenso wahr.«

      »Und da du fandest, daß ich gute Fähigkeiten für das Geschäft besaß und dem Geschäft wirklich nützlich war, so wolltest du mich nicht in dieser Stellung belassen, sondern hieltest es für ein Gebot der Gerechtigkeit, mich bald zu deinem Partner zu machen.«

      »Noch weniger der Rede wert als die anderen kleinen Umstände, an die du erinnertest, John Spatter«, sagte ich; »denn ich kannte und kenne deine Verdienste und meine Mängel.«

      »Nun, mein lieber Freund«, sagte John, meinen Arm durch den seinen ziehend, wie er es in der Schule zu tun pflegte – draußen vor den Fenstern unseres Kontors, die wie die Heckluken eines Schiffes geformt waren, schwammen zwei Fahrzeuge mit der Flut leicht den Fluß hinab, so wie John und ich in diesem Augenblick gemeinsam und voll gegenseitigen Vertrauens auf unsere Lebensreise hätten ausfahren können –, »unter diesen freundlichen Umständen soll in jeder Beziehung Klarheit zwischen uns herrschen. Du bist zu gutmütig, Michael. Du bist niemandes Feind als dein eigener. Wenn ich unter unserer Kundschaft diesen schädlichen Ruf über dich mit einem Achselzucken und einem Kopfschütteln und einem Seufzer verbreitete, und wenn ich ferner dein Vertrauen mißbrauchte ...«

      »Aber du wirst es niemals mißbrauchen, John«, bemerkte ich.

      »Niemals!« sagte er. »Aber ich setze den Fall. Ich sage also, wenn ich ferner dein Vertrauen mißbrauchte, indem ich die eine unserer gemeinsamen Geschäftsangelegenheiten im Dunkeln ließe und eine andere im Licht und noch eine andere im Zwielicht und so fort, so könnte ich Tag für Tag meine starke Stellung verstärken und deine Schwäche vergrößern, bis ich mich schließlich auf dem Wege nach dem Glück befände, während du auf irgendeiner kahlen Wiese in hoffnungsloser Entfernung zurückgeblieben wärst.«

      »Ganz richtig«, sagte ich.

      »Uni dies oder die leiseste Möglichkeit dazu zu verhindern, Michael«, sagte John Spatter, »müssen wir vollkommen offen gegeneinander sein. СКАЧАТЬ