Damals bei uns daheim. Hans Fallada
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Название: Damals bei uns daheim

Автор: Hans Fallada

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Hans-Fallada-Reihe

isbn: 9783961188840

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      Damals bei uns daheim

Hans FalladaDamals bei uns daheimErlebtes, Erfahrenes und ErfundenesHans-Fallada-Reihe Nr. 5

      Impressum

      Covergestaltung: Olga Repp

      Digitalisierung: Gunter Pirntke

      2018 andersseitig.de

      ISBN

      9783961188840 (ePub)

      9783961188857 (mobi)

      andersseitig Verlag

      Helgolandstraße 2

      01097 Dresden

      [email protected]

      (mehr unter Impressum-Kontakt)

      Liebe Verwandtschaft!

      Meinen andern Lesern in der weiten Welt macht es nicht viel aus, ob auf den folgenden Blättern die vollkommene Genauigkeit vom Verfasser gewahrt ist. Ihnen ist Tante Gustchen Hekuba. Wie aber bestehe ich vor Dir, sehr liebe Verwandtschaft –?! Wenn Du findest, dass ich eine Geschichte von Tante Gustchen der Tante Wieke in die Schuhe geschoben habe – wenn Du eine ganz neue Anekdote vom Vater hörst, und sie ist bestimmt erlogen! – und wenn der Schluss meines Berichtes von Großmutter nicht der familienkundigen Wahrheit entspricht – wie werde ich da vor Dir bestehen? Werdet Ihr mich nicht einen Erzlügner schelten, einen gewissenlosen Verfälscher heiliger Familienüberlieferung? Werdet Ihr mich nicht mehr auf der Straße grüßen, und werden meine Briefe keine Antwort mehr bei Euch finden –? Ich denke doch nicht! Denn wenn ich im Kleinen sündige, so bin ich doch im Großen getreu gewesen. Wenn ich bei den Taten erfand, so habe ich doch den Geist, so gut ich es vermochte, geschildert. Ja, ich glaube sogar, dass meine Freiheiten im Kleinen mir erst die Treue im Großen möglich gemacht haben. So habe ich die Eltern gesehen, so die Geschwister, so die gesamte Verwandt- und Bekanntschaft! Ihr seht sie anders? Geschwind, schreibet Euer Buch! Meines bleibt mir darum doch lieb – als ein Gruß an die versunkenen Gärten der Kinderzeit.

      Euer getreuer Sohn, Bruder, Neffe, Onkel und Schwager, dermaleinst hoffentlich auch Großvater

H. F.

      Festessen

      Feierliche Abendessen, zu jenen grauen Vorzeiten um das Jahr 1905 herum »Diners« genannt, waren der Schrecken meiner Eltern, aber die Wonne von uns Kindern. War das Weihnachtsfest vorüber, hatten zu Neujahr Portier, Briefträger, Schornsteinfeger, Waschfrau, der Milch- wie der Bäckerjunge ihren meist sowohl hinten gereimten wie auf buntes Papier gedruckten Neujahrswunsch abgegeben und dafür nach einer geheimnisvollen Preisskala Beträge von zwei bis zu zehn Mark empfangen, so fing meine gute Mutter erst sachte, bald dringlicher an zu mahnen: »Arthur, wir müssen wohl allmählich an unser Diner denken!«

      Zuerst sagte mein Vater nur leichthin: »Das hat gottlob noch ein bisschen Zeit!« Später seufzte er, schließlich stimmte er bei: »Dann werden wir also wieder einmal in den sauren Apfel beißen müssen. Aber das sage ich dir, Louise: mehr als fünfundzwanzig Personen laden wir diesmal nicht ein! Das vorige Mal war eine Fülle, dass keiner bei Tisch die Ellbogen bewegen konnte!«

      Worauf Mutter ihm zu bedenken gab, dass wir, bloß um uns zu »revanchieren«, mindestens vierzig Personen einladen müssten. »Sonst müssen wir eben zwei Diners geben, und zweimal diesen Aufstand im Hause zu haben, das bringt dich und mich um! Außerdem würden die zum zweiten Diner Eingeladenen alle gekränkt sein, denn ein zweites Diner gilt doch nur als Lumpensammler!«

      So glitten die Eltern ganz von selbst in immer häufigere eifrige Debatten über »unser Diner«, Debatten, denen wir Kinder mit größter Anteilnahme lauschten. Noch nicht so wichtig war uns die Frage, wer geladen wurde, wer neben wem sitzen sollte, trotzdem grade diese Frage meinen Eltern besonderes Kopfzerbrechen machte. Denn einesteils waren Rangordnung und Dienstalter (unter Berücksichtigung etwaiger Ordensauszeichnungen) strengstens zu beachten, zum andern mussten auch persönliche Sym- und Antipathien bedacht werden. Und schließlich entstand die schwere Frage: Hatten die so für ein vierstündiges Essen aneinander Gebannten sich auch was zu erzählen? Frau Kammergerichtsrat Zehner schwärmte nur für den Tirpitzschen Flottenverein, und Herrn Kammergerichtsrat Siedeleben interessierten neben seiner Juristerei nur kirchliche Dinge – ein solches Paar würde nie guttun! Und der liebe Kammergerichtsrat Bumm war auf dem linken Ohre taub, wenn er es auch nicht wahrhaben wollte: schon fünfmal hatte in diesem Winter bei andern Kammergerichtsdiners Frau Kammergerichtsrat Elbe (Gutsbesitzerstochter vom Lande) neben ihm gesessen. Es machte ihr nichts aus, auch mal ein bisschen zu schreien, aber konnte man es ihr wirklich ein sechstes Mal zumuten –?

      Hatten die Eltern aber glücklich das kunstvolle Gebäude einer solchen Tischordnung errichtet und die Einladungen mit der mir sehr imponierenden Formel: U. A. w. g. (Um Antwort wird gebeten) durch Berlin versandt, so wurde unausbleiblich der Bau schon mit den ersten Antworten erschüttert bis in seine Grundfesten: der hatte die Influenza, dem war eben die Mutter gestorben, hier hatten die Kinder Diphtherie …

      »Nein!« seufzte dann mein Vater, der sich immer am wohlsten über seinen Akten fühlte, »diese Abfütterungen sind etwas Schreckliches! Keiner schätzt sie. Warum verabreden wir uns nicht eigentlich alle, mit dem Unsinn Schluss zu machen –?!« Aber dies war ein rein rhetorischer Ausruf. Mein Vater wusste wohl, solchen Gedanken auch nur zu hegen grenzte an anarchistischen Umsturz. Alles, was sich in der Juristerei kannte, lud sich alle Winter gegenseitig ein, wie das Offizierskorps sich untereinander einlud, wie die Geistlichkeit zu einem Teller Suppe bat, der auch vier Stunden dauerte – alles schön nach Ämtern und Klassen getrennt, dass nur kein neuer Gedanke in die altgewohnten Kreise kam!

      Doch, wie schon gesagt, diese Fragen interessierten uns Kinder nur als die Vorfragen der Hauptfrage: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? (Nämlich die Mama, für den Papa war Gehrock mit weiß pikierter Weste selbstverständlich.) Oh, diese wichtige Frage: Koch oder Köchin? Jeder Koch war nach einem alten Glaubenssatz tüchtiger als jede Köchin, aber er war auch teurer und ließ sich nie etwas sagen. Mit der Köchin ließ sich angenehmer arbeiten, aber das letztemal war das Filet zäh gewesen, und die Eisbombe war ihr zusammengefallen.

      Ganz Fortgeschrittene ließen das Essen auch schon aus einer Stadtküche kommen, das dann im Hause nur aufgewärmt wurde. Aber dafür war Mutter gar nicht: »Es ist nicht das richtige, Arthur. Es schmeckt eben doch aufgewärmt!«

      In unserm Hause fiel nach langen Erörterungen die Entscheidung unweigerlich für die Köchin, trotz des zähen Filets und der zusammengefallenen Bombe. Dann erschien Frau Pikuweit eines Nachmittags zu einer Vorbesprechung mit Mutter, und wenn ich es irgend so einrichten konnte, schmuggelte ich mich zu dieser Besprechung ein. (Von daher datiere ich meine nie nachlassende Liebe für die guten Speisen dieser Erde.)

      Da saß dann also die gute Frau Pikuweit vor meiner Mutter, sie sah in ihrer bürgerlichen Alltagstracht lange nicht so majestätisch aus wie am Tage ihres Wirkens in schneeigem Weiß mit einer immer rutschenden gestärkten Haube auf dem Kopf. Die beiden Frauen verhandelten immer eifriger und schließlich immer verzweifelter über die Gänge – nach einer heiligen Tradition mussten es sieben oder neun sein, ich weiß es so genau nicht mehr. Meine Mutter hatte alle Speisefolgen – sprich Menüs – dieses Winters, durch die sie sich schon hindurchgegessen hatte, aufbewahrt: es sollte doch auch etwas Abwechslung sein!

      Und nun fielen geheimnisvolle Worte: Haricots verts, Sauce Béarnaise, Sauce Cumberland, Soupe à la Reine, Cremor tartari, Aspik – Worte, die mir märchenhafter vorkamen als jedes Märchen! Schon wenn ich den Ausdruck »Krebsnasen« hörte – man denke Nasen von Krebsen, man aß Nasen! –, wurde mir ganz anders, und ich sah die fette, weißgelbliche Sauce vor mir, mit den СКАЧАТЬ