Название: Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte
Автор: Wilhelm Hauff
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027205844
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Island gehörte wohl auch zum deutschen Reich, wahrhaftig unter allen deutschen Helden ist doch keiner, der dem Thiodolf das Wasser reicht. Stark wie Simson, ohne Falsch wie eine Taube, fromm wie ein Lamm, im Zorn ein Berserker, es kann nicht fehlen, er ist der größte Deutsche.
Ich setzte mich hin und schrieb voll Begeisterung diese Rangordnung nieder; wohl zehnmal sprang ich auf, meine Brust war zu voll, ich konnte nicht alles sagen, die Feder, die Worte versagten mir, wohl zehnmal las ich mir mit lauter Stimme die gelungensten Stellen vor; wie erhaben lautete es, wenn ich von der Stärke des Isländers sprach, wie er einen Wolf zähmte, wie er in Konstantinopel ein Pferd nur ein wenig auf die Stirne klopfte, daß es auf der Stelle tot war, wie großmütig verschmäht er alle Belohnung, ja er schlägt einen Kaiserthron aus, um seiner Liebe treu zu bleiben, wie kindlich fromm ist er, obgleich er die christliche Religion nicht recht kannte, wie schön beschrieb ich das alles; ja! es mußte das harte Herz des alten Rektors rühren!
Ich konnte mir denken, wie er meine Arbeit mit steigendem Beifall lesen, wie er morgens in die Klasse kommen würde, um unsere Aufsätze zu zensieren; dann sendet er gewiß einen milden, freundlichen Blick nach dem letzten Platze, wohin er sonst nur wie ein brüllender Löwe schaute, dann liest er meine Arbeit laut vor und spricht: ›Kann man etwas Gelungeneres lesen als dies, und ratet, wer es gemacht hat? Die Letzten sollen die Ersten werden; der Stein, den die Bauleute verworfen haben, soll zum Eckstein werden; tritt hervor, mein Sohn, Garnmachere! Ich habe immer gesagt, du seiest ein bête, konnte ich ahnen, daß du mit so vielem Eifer Geschichten studierst? Nimm hin den Preis, der dir gebührt.‹
So mußte er sagen, er konnte nicht anders, ohne das schreiendste Unrecht zu tun. Eifrig schrieb ich jetzt meinen Aufsatz ins reine, und um zu zeigen, daß ich auch in den neueren Geschichten nicht unbewandert sei, sagte ich am Schluß, daß ich nach Erfindung des Pulvers den deutschen Alcibiades, und nächst ihm Hermann von Nordenschild für die größten Männer halte. Man könne ihnen den Ritter Euros, welcher nachher als Domschütz mit seinen Gesellen so großes Aufsehen gemacht habe, was die Tapferkeit betreffe, vielleicht an die Seite stellen, doch stehen jene beiden auf einem viel höheren Standpunkt.
Ich brachte dem Rektor triumphierend den Aufsatz und mußte ihm beinahe ins Gesicht lachen, als er mürrisch sagte: ›Er wird wieder ein schönes Geschmier haben, Garnmacher!‹
›Lesen Sie, und dann – richten Sie‹, gab ich ihm stolz zur Antwort und verließ ihn.
Wenn in Ihrem Vaterlande, Mylord, eine Preisfrage gestellt würde, über den würdigsten englischen Theologen, und es würden in einer gelehrten, mit Phrasen wohldurchspickten Antwort die Vorzüge des ›Vicar of Wakefield‹ dargetan, wer würde da nicht lachen? Wenn Sie, werter Marquis, nach der würdigsten Dame zu den Zeiten Louis XIV. gefragt würden und Sie priesen die ›Neue Heloise‹, würde man Sie nicht für einen Rasenden halten? Hören Sie, welche Torheit ich begangen hatte!
Der Samstag, an welchem man unsere Arbeiten gewöhnlich zensierte, erschien endlich. Sooft dieser Tag sonst erschienen war, war er mir immer ein Tag des Unglücks gewesen; gewöhnlich schlich ich da mit Herzklopfen zur Schule, denn ich durfte gewiß sein, wegen schlechter Arbeit getadelt, öffentlich geschmäht zu werden. Aber wieviel stolzer trat ich heute auf, ich hatte meinen besten Rock angezogen, den schönsten, feingestickten Hemdkragen angelegt, mein wallendes Haar war zierlich gescheitelt und gelockt, ich sah stattlich aus und gestand mir, ich sei auch im Äußeren des Preises nicht unwürdig, welcher mir heute zuteil werden sollte.
Der Rektor fing an, die Aufsätze zu zensieren; wie ärmliche, obskure Helden hatten sich meine Mitschüler gewählt: Hermann, Karl der Große, Kaiser Heinrich, Luther und dergleichen – er ging viele durch, immer kam er noch nicht an meine Arbeit; ja es war offenbar, meine Helden hatte er auf die Letzt aufgespart – als die besten!
Endlich ruhte er einige Augenblicke, räusperte sich und nahm ein Heft mit rosenfarber Überdecke, das meinige, zur Hand; mein Herz pochte laut vor Freude, ich fühlte, wie sich mein Mund zu einem triumphierenden Lächeln verziehen wollte, aber ich gab mir Mühe, bescheiden bei dem Lob auszusehen; der Rektor begann:
›Und nun komme ich an eine Arbeit, welche ihresgleichen nicht hat auf der Erde (earth) ich will einige Stellen daraus vorlesen:‹ er deklamierte mit ungemeinem Pathos gerade jene Kraftstellen, welche ich mit so großer Begeisterung niedergeschrieben hatte; ein schallendes Gelächter aus mehr als vierzig Kehlen unterbrach jeden Satz, und als er endlich an den Schluß gelangte, wo ich mit einer kühnen Wendung dem furchtbaren Domschützen noch einige Blümchen gestreut hatte, erscholl Bravo! Ancora! und die Tische krachten unter den beifalltrommelnden Fäusten meiner Mitschüler. Der Rektor winkte Stille und fuhr fort: ›Es wäre dies eine gelungene Satire auf die Herren Spieß und Konsorten, wenn nicht der Verfasser selbst eine Satire auf die Menschheit wäre. Es ist unser lieber Garnmacher. Tritt hervor du dedecus naturae, hieher zu mir!‹
Zitternd folgte ich dem fürchterlichen Wink. Das erste war, als ich vor ihm stand, daß er mir das rosenfarbene Heft einmal rechts und einmal links um die Ohren schlug; und jetzt donnerte eine Strafpredigt über mich herab, von der ich nur so viel verstand, daß ich ein bête war, und nicht wußte, was Geschichte sei.
Es begegnet zuweilen, daß man im Traum von einer schönen, blumigen Sonnenhöhe in einen tiefen Abgrund herabfällt; man schwindelt, indem man die unermeßlichen Höhen herabfliegt, man fühlt die unsanfte Erschütterung, wenn man am Boden zu liegen glaubt, man erwacht und sieht sich mit Staunen auf dem alten Boden wieder; die Höhe, von der man herabstürzte, ist mit all ihren Blütengärten verschwunden, ach, sie war ja nur ein Traum!
So war mir damals, als mich der Rektor aus meinem Schlummer aufschüttelte, ein tiefer Seufzer war die einzige Antwort, die ich ihm geben konnte, ich war arm wie jener Krösus, als er vor seinem Sieger Cyrus stand, auch ich hatte ja alle meine Reiche verloren!!
Ich sollte bekennen, woher ich die Romane bekommen, wer mir das Geld dazu gegeben habe; konnte, durfte ich sie, die ich einst liebte, verraten? Ich leugnete, ich hielt den ganzen Sturm des alten Mannes auf, ich stand wie Mucius Scaevola.
Der langen Rede kurzer Sinn war übrigens der, daß ich von meinem Vater ein Attestat darüber bringen müsse, daß ich das Geld zu solchen Allotriis von ihm habe, und überdies habe ich am nächsten Montag vier Tage Karzer anzutreten. Verhöhnt von meinen Mitschülern, die mir Thiodolf, deutscher Alcibiades und dergleichen nachriefen; in dumpfer Verzweiflung ging ich nach Hause. Es war gar kein Zweifel, daß mich mein Vater, wenn er diese Geschichte erfuhr, entweder sogleich totschlagen, oder wenigstens zum Schneidersjungen machen würde. Vor beidem war mir gleich bange; ich besann mich also nicht lange, band etwas Weißzeug und einige seltene Dukaten und andere Münzen, welche mir meine Paten geschenkt hatten, in ein Tuch, warf noch einen Kuß, und den letzten Blick nach des Nachbars Garten, sagte meinem Dachstübchen Lebewohl, und eine Viertelstunde nachher wanderte ich schon auf der Straße nach Berlin, wo mir ein Oheim lebte, an welchen ich mich vors erste zu wenden gedachte.
In meinem Herzen war es öde und leer, als ich so meine Straße zog; meine Ideale waren zerronnen. Sie hatten also nicht gelebt, diese tapferen, frommen, liebevollen, biederen Männer, sie hatten nicht geatmet jene lieblichen Bilder holder Frauen; jene bunte Welt voll Putz und Glanz, alle jene Stimmen, die aus fernen Jahrhunderten zu mir herübertönten, die mutigen Töne der Trompete, Rüdengebell, Waffengeklirr, Sporenklang, süße Akkorde der Laute – alles, alles dahin, alles nichts als eine löschpapierene Geschichte, im Hirn eines Poeten gehegt, in einer schmutzigen Druckpresse zur Welt gebracht!
Ich sah mich noch einmal nach der Gegend um, die ich verlassen hatte; die Sonne war СКАЧАТЬ