Название: Der Herr der Welt
Автор: Robert Hugh Benson
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Science Fiction & Fantasy bei Null Papier
isbn: 9783954185498
isbn:
Für Oliver war die Sache einfach zum Verstandesverlieren. Wenn er aus seinem Fenster herniederblickte und, soweit der Horizont reichte, dieses London so friedlich vor sich liegen sah, wenn seine Gedanken über Europa hinflogen und überall dem vollkommenen Triumph des Menschenverstandes und seiner Werke über die ungenießbaren Ammenmärchen des Christentums begegneten, da schien es ihm unerträglich, dass es auch nur eine Möglichkeit geben sollte, all das wieder zurückzuwerfen in das unmoderne, ja barbarische Gestreite der Sekten und Dogmen, denn nichts anderes als dieses würde die Folge sein, wenn der Osten seine Hand auch noch auf Europa legte. Ja, selbst der Katholizismus würde wieder aufleben, sagte er sich, dieser eigentümliche Glaube, der stets neu aufgeflammt war, so oft die Verfolgung zum vernichtenden Schlage gegen ihn ausgeholt hatte; und nach Olivers Dafürhalten war von allen Glaubensformen der Katholizismus die groteskeste und erniedrigendste. Diese Aussicht beunruhigte ihn in seinem Innersten weit mehr als der Gedanke an die physische Katastrophe und das Blutvergießen, das über Europa hereinbrechen musste mit dem Heraufziehen des Ostens. Es gab nur eine Hoffnung, von religiöser Seite her, wie er Mabel dutzendmal auseinandergesetzt hatte, und sie bestand darin, dass es dem quietistischen Pantheismus, der im Verlaufe des letzten Jahrhunderts im Osten wie im Westen, unter Mohammedanern, Buddhisten, Hindus, unter den Anhängern des Konfuzius und anderer Religionen solche Riesenfortschritte gemacht hatte, gelingen würde, den religiösen Wahnsinn, von dem diese exoterischen Brüder des Ostens befallen waren, zu besiegen. Pantheismus war nach Olivers Begriffen das, was er selbst war; ihm war »Gott« die Summe des in steter Weiterentwicklung begriffenen, geschaffenen Lebens, und unpersönliche Einheit war das Wesen des Seins dieses »Gottes«. Ehrgeiz war ihm die große Häresie, welche die Menschen im Gegensatz zueinander brachte und den Fortschritt hinderte, denn nach seiner Meinung lag der Fortschritt in dem vollkommenen Aufgehen des Einzelnen in der Familie, der Familie im Gemeinwesen, im Staate, des Staates im Kontinent, und des Kontinents in der Welt. Die Welt endlich war selbst und zu jeder Zeit nicht mehr als der Ausdruck unpersönlichen Lebens. Es war in der Tat der katholische Gedanke unter Beiseitelassung des übernatürlichen, eine Zusammenfassung irdischer Schicksale, ein Aufgeben des Individualismus auf der einen Seite und des übernatürlichen auf der ändern. Es war ein Verrat, ein Appell von dem immanenten an den transzendenten Gott. Es gab keinen transzendenten Gott, Gott war, soweit er erkannt werden konnte — der Mensch.
Und doch waren diese beiden Ehegatten in gewissem Sinne — sie hatten den nunmehr vom Staate ausdrücklich als lösbar anerkannten Vertrag eingegangen — sehr weit entfernt von der dumpfen Trägheit, die man bei reinen Materialisten zu finden pflegt. Für sie pulsierte in der Welt ein einziges heißes, glühendes Leben, das, je nachdem, zu Blumen und Tieren und Menschen erblüht, ein Strom herrlicher Lebenskraft, der, einer tiefen Quelle entspringend, alles bewässert, was Bewegung und Gefühl in sich trägt. Diese Weltanschauung war umso bestechender, fand umso mehr Anklang, als sie den Sinnen derer verständlich war, die aus ihr geboren waren. Wohl hatte auch sie Geheimnisse aufzuweisen, aber es waren Geheimnisse, die eher anlockten als abschreckten, denn aus ihnen förderte jede neue Entdeckung, die der Mensch machen konnte, stets neue Herrlichkeiten zutage. Selbst unbeseelte, leblose Objekte, wie die Fossilien, der elektrische Strom, die fernen Sterne, all dies wurde vom Weltgeiste als Staub einfach beiseite geworfen, alles, was für Gottes Allgegenwart zeugte und seine Natur verkündete. Wie gründlich hatte z. B. nur die von dem Astronomen Klein vor zwanzig Jahren gemachte Ankündigung, dass das Bewohntsein gewisser Planeten eine feststehende Tatsache geworden sei, die Meinung der Menschheit von sich selbst geändert! Aber die einzige Bedingung des Fortschrittes und des Wiederaufbaues von Jerusalem war für den Planeten, den der Zufall zur Wohnstätte der Menschheit bestimmt hatte, nicht das Schwert, das Christus gebracht oder das Mohammed schwang, sondern der Friede, der ein Produkt der Vernunft, deren Grenzen er nicht überstieg, der Friede, der aus dem Bewusstsein hervorging, dass der Mensch alles sei und nur durch gegenseitiges Vertragen und Entgegenkommen imstande sei, sich weiter zu entwickeln. Für Oliver und sein Weib erschien das abgelaufene Jahrhundert wie eine Offenbarung; immer mehr waren die alten, abergläubischen Vorstellungen abgebröckelt, immer weiter war das neue Licht gedrungen; der Geist der Welt war aufgegangen, die Sonne war im Westen versunken und nun — mit Schrecken und Abscheu mussten sie von Neuem die Wolken sich zusammenziehen sehen, dort, von wo aller Aberglaube ausgegangen war.
Mabel stand plötzlich auf und kam zu ihrem Manne herüber.
»Mein Lieber«, sagte sie, »du musst nicht verzagt sein; es wird auch das vorübergehen, wie alles andere vorübergegangen ist. Es ist schon sehr viel gewonnen, dass sie auf Amerika überhaupt hören, und dieser Mr. Felsenburgh scheint mir auf der richtigen Seite zu stehen.«
Oliver ergriff ihre Hand und küsste sie.
2.
Oliver schien während des Mittagstisches eine halbe Stunde später in sehr gedrückter Stimmung zu sein. Seine Mutter, eine alte Frau von nahezu achtzig Jahren, die sich nie vor Mittag sehen ließ, schien es sofort zu bemerken, denn, nachdem sie ihn ein paarmal angesehen und einige Worte mit ihm gewechselt, versank sie in Schweigen und widmete sich ihrem Teller.
Ein angenehmes, kleines Zimmer war es, in dem sie saßen, dicht hinter jenem Olivers und, dem allgemeinen Brauch zufolge, ganz in Grün gehalten. Die Fenster gingen auf einen kleinen Garten hinter dem Hause und auf die mit wildem Wein bewachsene Mauer, welche dieses Besitztum von dem nächsten trennte. Auch die Möbel waren ganz dem allgemeinen Gebrauch entsprechend; ein bequemer, СКАЧАТЬ