„Ich — na — ich weiß doch nicht! ‘s hätt‘ ja alles verraten!“
„Tom, ich hätt‘ doch gedacht, du hättst mich zu lieb für so was,“ seufzte Tante Polly traurig, in einem Ton, bei dem Tom sehr ungemütlich wurde. „‘s wär‘ doch etwas gewesen, wenn du dir die Mühe genommen hättst, dran zu denken — wenn du‘s schon nicht tatst.“
„Na, Tantchen, gräm, dich nur nicht darüber,“ beruhigte Mary. „‘s ist mal so Toms flüchtige Art — er ist ja immer so zerstreut, daß er nie an was denkt.“
„Um so schlimmer. Sid hätt‘ dran gedacht. Und Sid würd‘ auch gekommen und ‘s getan haben. Tom, du wirst eines Tages noch mal zurückdenken, wenn‘s zu spät ist, und wünschen, daß du dich ‘n bißchen mehr um mich gekümmert hättst, wo‘s dir doch so leicht gewesen wär‘.“
„Na, Tantchen, du weißt doch, ich hab‘ dich lieb,“ schmeichelte Tom.
„Ich würd‘s besser wissen, wenn du‘s mehr zeigtest.“
„Wollt‘, ich hätt‘ dran gedacht,“ sagte Tom in reuevollem Ton. „aber — ich hab‘ wenigstens geträumt von dir. ‘s ist doch was, nicht?“
„‘s ist nicht viel — ‘s ist für ‘ne Katze viel — aber ‘s ist mehr als nichts. Was hast du denn geträumt?“
„Na, in der Mittwochnacht träumte mir, ihr säßet zusammen, dicht beim Bett, Sid saß auf der Holzkiste und Mary dicht bei ihm.“
„So war‘s — so war‘s ganz genau! Bin doch froh, daß du wenigstens von uns zu träumen dich bequemt hast.“
„Und ich träumte, Joe Harpers Mutter wär‘ hier.“
„Na — sie war hier! Träumtest du noch mehr?“
„O — ‘nen Haufen! Aber ‘s ist jetzt alles verschwommen.“
„Na, versuch‘s nur — besinn‘ dich — geht‘s nicht?“
„‘s scheint mir so was, als wenn der Wind — der Wind ausgeblasen hätt‘ — —“
„Denk‘ besser nach, Tom! Der Wind hat nichts ausgeblasen — na!“
Tom preßte während eines Augenblicks gespannten Nachdenkens die Finger gegen die Stirn und sagte dann: „Na — jetzt weiß ich‘s! Jetzt hab‘ ich‘s wieder! Er ließ das Licht flackern —“
„Gott erbarm‘ dich! Weiter. Tom, weiter!“
„Und mir kam‘s vor, als hättst du gesagt: ‚Na — ich glaub‘ gar, die Tür —‘“
„Weiter, Tom!“
„Laß mich ‘nen Augenblick nachdenken! Nur ‘nen Augenblick. — Richtig, ja, — du sagtest, du meintest, die Tür wär‘ offen.“
„So wahr ich hier sitz‘ — ich sagte so! Sagt‘ ich‘s nicht, Mary? Weiter!“
„Und dann — und dann — — ja, ich weiß nicht ganz gewiß, aber ‘s ist mir doch, als hättst du Sid hingehen lassen und — und — —“
„Na, na? Wohin ließ ich ihn gehen? Was ließ ich ihn tun, Tom?“
„Du ließest ihn — du, — ach, du ließest, ihn die Tür zumachen!“
„Beim Himmel, ‘s ist so! So was hab‘ ich doch mein‘ Tag‘ noch nicht gehört! Sag‘ mir keiner mehr, Träume bedeuten nichts! Die überkluge Harper soll davon zu wissen bekommen, eh ich ‘ne Stunde älter bin. Möcht‘ doch sehen, wie sie mit ihrem Geschwätz von Aberglauben um das ‘rum kommt! Weiter, Tom!“
„O, jetzt ist mir alles so klar wie der Tag! Dann sagtest du, ich wär‘ nicht schlecht, nur leichtsinnig und gedankenlos, und dächte nie an irgend was — wie — wie — glaub‘, ‘s war ‘n Füllen — oder so.“
„Na, so war‘s, ja! Na — Gottes Wunder! Weiter, Tom!“
„Und dann fingst du an zu weinen.“
„Ja, ich tat‘s ich tat‘s! Und wahrhaftig nicht zum erstenmal. — Und dann —“
„Dann begann Mrs. Harper zu weinen und sagte, Joe wär‘ grad‘ so einer, und sie wollte, sie hätt‘ ihn nicht gehaun deswegen, daß er den Rahm genommen haben sollte, den sie doch selbst weggeschüttet gehabt hätt‘ —“
„Tom! Der Geist war über dir! Du hattst Sehergabe — ja, gewiß, das hattst du! Herrgott! Weiter, Tom!“
„Dann sagte Sid — — er sagte —“
„Glaub‘, ich sagte gar nichts,“ warf Sid schnell ein.
„Doch, du tatst es Sid,“ entgegnete Mary.
„Laßt das Zanken und laßt Tom sprechen. Was sagte er, Tom?“
„Er sagte — ich denk‘, er sagte, er hoffe, ich wär besser dran, wo ich setzt sei, aber wenn ich manchmal besser gewesen wär‘ —“
„Da — hört ihr‘s? ‘s waren seine eigenen Worte!“
„Und du leuchtetest ihm ordentlich heim.“
„Ich denke wohl, daß ich‘s tat! ‘s muß ein Engel hier gewesen sein! Ein Engel war hier, ‘s ist zweifellos!“
„Und Mrs. Harper erzählte von Joe, wie er ihr durch ‘nen Schwärmer ‘nen Schrecken eingejagt hätte, und du erzähltest von Peter und dem ‚Schmerzenstöter‘ —“
„So wahr ich leb‘!“
„Und dann schwatztet ihr alle durcheinander, daß der Fluß nach uns durchsucht worden sei und daß am Sonntag unsere Leichenfeier sein sollt‘, und dann fielst du und die alte Mrs. Harper euch in die Arme und weintet, und dann ging sie fort.“
„‘s war ganz genau so! ‘s war genau so, so gewiß, wie ich hier aus dem Stuhl sitz‘. Tom, hättst es nicht besser erzählen können, wenn du hier gewesen wärst! Und was dann? Weiter, Tom!“
„Dann träumte ich, daß du für mich betetest — und ich konnt dich sehen und jedes Wort hören, das du sagtest. Und dann gingst du zu Bett, und ich war so traurig, daß ich auf ‘n Stück Sykomorenrinde schrieb: ‚Wir sind nicht tot — wir sind nur fort, um Piraten zu werden,‘ und legte das auf den Tisch neben den Leuchter. Und dann sahst du so lieb aus, wie du dalagst und schliefst, daß ich träumte, ich beugte mich über dich und küßte dich.“
„Tatst du‘s, Tom? Tatst du‘s? Dafür vergeb‘ ich dir wahrhaftig alles!“
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