„Ich geh‘ nicht! Du kannst ja gehen, wenn du willst. Ich bleib‘!“
„Tom — ich will lieber gehen.“
„Na, ‘s ist gut, so geh‘ doch! Wer hindert dich denn?“
Huck fing an, seine zerstreuten Kleider aufzusammeln.
„Tom,“ sagte er, „wollt‘, du gingst mit. Denk mal drüber nach. Wir wollen drüben am Ufer auf dich warten.“
„Da, da könnt ihr ‘ne hübsch‘ lange Zeit warten, sag‘ ich dir.“
Huck schlich kummervoll davon, und Tom schaute ihm nach, während ein heftiges Verlangen, seinem Stolz zum Trotz hinterher zu laufen, an seinem Herzen riß. Er hoffte, sie würden stehen bleiben, aber sie wateten langsam weiter.
Plötzlich überkam Tom das Bewußtsein, wie einsam und still es dann sein würde. Er kämpfte einen letzten Kampf mit seinem Stolz und dann rannte er seinen Kameraden nach, brüllend: „Wartet, wartet doch! Will euch was sagen!“
Sie blieben sofort stehen und drehten sich um. Als er bei ihnen angelangt war, begann er, sein Geheimnis auszukramen, und sie hörten mürrisch zu, bis sie zuletzt begriffen, was die Pointe bei der Sache sei, und in ein wahres Kriegsgeheul von Beifall ausbrachen und sagten, ‘s wäre großartig, und wenn er ihnen das früher gesagt hätte, würden sie nicht fortgegangen sein. Tom brachte eine plausible Entschuldigung vor; in Wahrheit aber hatte er gefürchtet, daß nicht einmal sein Geheimnis sie veranlassen würde, noch länger bei ihm zu bleiben, und darum hatte er es als letztes Auskunftsmittel zurückgehalten.
Die Ausreißer kehrten vergnügt zurück und nahmen mit Feuereifer ihre Spiele wieder auf, fortwährend mit staunender Bewunderung über Toms fabelhaften Plan und seine Genialität sich unterhaltend.
Nach einem opulenten Eier- und Fischschmaus erklärte Tom, er wolle rauchen lernen. Joe gefiel die Idee, und er sagte, er wolle es auch lernen. So machte Huck Pfeifen und füllte sie. Die beiden Neulinge hatten bisher noch nie etwas anderes geraucht als Schokoladezigarren, und die haben niemals als männlich gegolten.
Nun streckten sie sich aus, stützten sich auf die Ellbogen und begannen zögernd zu paffen und mit wenig Vertrauen. Der Rauch hatte einen unangenehmen Geschmack, und sie räusperten sich ein wenig, aber Tom sagte:
„Pah! ‘s ist ja so leicht! Hätt‘ ich gewußt, daß das alles sei, hätt ich‘s schon längst gelernt!“
„Ich auch,“ meinte Joe. „‘s ist ja gar nichts.“
„Gott, wie oft hab‘ ich ‘nen Mann rauchen gesehen, und gedacht: wollt‘, ich könnt‘s auch. Aber ich hab‘ nie gedacht, ich könnt‘s. So geht‘s mir immer, nicht, Huck? Du hast‘s mich oft sagen hören, nicht, Huck? Huck weiß, daß ich‘s gesagt hab‘.“
„Ja, oft genug,“ sagte Huck.
„Na, ich hab‘s auch,“ fing Tom nochmals an. „Hundertmal. Mal da unten beim Schlachthaus. Erinnerst du dich nicht, Huck? Bob Tanner war da und Johnny Miller und Jeff Thatcher, damals, als ich‘s sagte. Erinnerst du dich nicht, Huck, daß ich‘s gesagt hab‘?“
„Ja, ‘s ist an dem,“ entgegnete Huck. „‘s war den Tag, als ich ‘ne weiße Murmel verloren hatte — nee, ‘s war den Tag vorher.“
„Da sagt‘ ich‘s dir,“ bestätigte Tom. „Huck erinnert‘s.“
„Glaub‘, ich könnt‘ die Pfeife rauchen — alle Tage,“ sagte Joe. „Fühl‘ mich gar nicht schlecht.“
„Na, ich auch nicht. Ich könnt‘ alle Tage rauchen, aber ich wette, Jeff Thatcher könnt‘s nicht.“
„Jeff Thatcher! Lieber Gott — keine zwei Züge könnt‘ der vertragen! Laß ‘s ihn nur einmal versuchen — er soll schon sehen.“
„Ich wollt‘, er tät‘s, und Johnny Miller — wollt‘, ich könnt‘ Johnny Miller ‘s versuchen sehen.“
„Meinst du, ich nicht? Na, der Johnny Miller würd‘s grad so wenig können wie sonst was! Bloß ‘n bissel Rauch würd‘ den schon umschmeißen!“
„Natürlich würd‘s das, Joe! Du, ich wollt‘, die Jungens könnten uns jetzt mal sehen.“
„Na, das mein‘ ich auch!“
„Wißt ihr was! Sagt nichts davon, und wenn sie dann mal dabei sind, geh‘ ich auf dich zu und sag‘: ‚Joe, hast du ‘ne Pfeife? Möcht‘ mal rauchen!‘ Und du sagst, so ganz beiläufig, als wenn‘s nichts wär‘, du sagst: ‚Ja, ich hab‘ meine alte Pfeife, und dann noch eine, aber mein Tabak ist nicht sehr gut.‘ Und ich sag‘: ‚O, ‘s ist schon recht, wenn er uns stark genug ist.‘ Und dann du raus mit den Pfeifen und wir ordentlich drauf los, und dann die Augen, die die machen werden!“
„Verdammt, das ist famos, Tom! Wollt, ‘s wär‘ jetzt!“
So plauderten sie noch ‘ne Weile; aber plötzlich begann das Gespräch zu stocken, und dann hörte es ganz auf. Das Stillschweigen wurde drückend; das Ausspucken nahm wunderbar zu. Jede Pore im Innern des Mundes schien bei den beiden sich in einen spuckenden Springbrunnen zu verwandeln. Kaum konnten sie die Behälter unter der Zunge oft genug entleeren, um eine Überschwemmung zu vermeiden; trotz aller Anstrengungen aber gelangten kleine Ergüsse den Hals hinunter — und jedesmal folgte plötzliches Aufschlucken darauf. Beide sahen blaß und elend aus. Joes Pfeife fiel aus seinen kraftlosen Händen. Toms folgte. Beider Springbrunnen waren in voller Tätigkeit, und beider Pumpen arbeiteten fieberhaft.
Joe sagte mit schwacher Stimme: „Hab‘ mein Messer verloren. Denke, ‘s wird gut sein, hinzugehen und zu suchen.“
Tom, mit zitternden Lippen und ebenso schwacher Stimme sagte: „Ich helf dir. Du gehst nach der Seite, und ich will nach der andern gehen — zur Quelle. — Nein — du brauchst — nicht zu — kommen — — Huck, — wir — wir finden‘s — schon —“
So setzte sich Huck nieder und wartete ‘ne Stunde. Dann fand er, es sei sehr einsam und ging, seine Kameraden zu suchen. Sie waren weit weg im Walde, beide sehr blaß, beide schliefen fest. Aber etwas belehrte ihn, daß, hatten sie irgend welche Beschwerden gehabt, sie sich davon befreit hatten.
Beim Nachtessen waren sie eben nicht redselig; sie hatten einen hohlen Blick. Und als Huck nach der Mahlzeit seine Pfeife wieder stopfte und ihnen die ihrigen geben wollte, sagten sie: nein, sie fühlten sich nicht recht wohl — irgend etwas beim Mittagessen sei ihnen nicht gut bekommen.
Siebzehntes Kapitel.