Gesammelte Werke von Joseph Conrad. Джозеф Конрад
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Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad

Автор: Джозеф Конрад

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027204113

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СКАЧАТЬ wo der Gasbrenner wie eine zufriedene Katze schnurrte. Frau Verloc hatte in weiblichem Vorbedacht den kalten Rindsbraten auf dem Tisch gelassen, mit Vorlegemesser und -gabel und einem halben Brotlaib, als Herrn Verlocs Nachtmahl. Er bemerkte diese Dinge nun zum erstenmal, schnitt sich eine Scheibe Brot und Fleisch herunter und begann zu essen.

      Seine Eßlust kam nicht aus Gefühllosigkeit. Herr Verloc hatte an diesem Tage nicht gefrühstückt. Er hatte sein Heim nüchtern verlassen. Da er kein Mann von Energie war, so bezog er seine Entschlußkraft immer aus nervöser Überreizung, die ihn sozusagen an der Kehle hielt. Er wäre außerstande gewesen, feste Nahrung zu schlucken. Michaelis’ Landhaus war so aller Vorräte bar, wie eine Gefängniszelle. Der Bewährungsfristapostel lebte von ein wenig Milch und alten Brotkrusten. Überdies war er bei Herrn Verlocs Ankunft nach seinem kärglichen Mahl schon hinaufgegangen gewesen. Hingegeben der wonnigen Plage dichterischen Schaffens, hatte er nicht einmal auf Herrn Verlocs Anruf geantwortet.

      »Ich nehme den Jungen auf ein, zwei Tage nach Hause.«

      Tatsächlich hatte Herr Verloc gar keine Antwort abgewartet und das Landhaus, von dem gehorsamen Stevie gefolgt, sofort verlassen.

      Nun, als die Tat getan und sein Schicksal unerwartet schnell ihm aus der Hand genommen war, empfand Herr Verloc eine erschreckende körperliche Leere. Er schnitt an dem Fleisch und dem Brot herum, verschlang, am Tische stehend, sein Abendessen und warf dann und wann einen Blick auf seine Frau. Ihre beharrliche Unbeweglichkeit störte ihm die Freude des Mahls. Wieder ging er in den Laden und trat nahe zu ihr hin. Dieser Kummer mit verhülltem Gesicht war Herrn Verloc unheimlich. Natürlich hatte er gewußt, daß es seine Frau schwer treffen würde, doch wünschte er, daß sie sich zusammennehmen sollte. Er bedurfte ihrer vollen Hilfe und Treue angesichts dieser neuen Sachlage, mit der sein Fatalismus sich schon abgefunden hatte.

      »Nicht zu ändern«, sagte er in dumpfer Anteilnahme. »Komm, Winnie, wir müssen an morgen denken. Du wirst deinen ganzen Witz nötig haben, wenn ich einmal weggeführt werde.«

      Er hielt inne. Frau Verlocs Brust hob sich krampfhaft. Das beruhigte Herrn Verloc nicht, nach dessen Meinung die neugeschaffene Sachlage von den zwei Hauptbeteiligten Ruhe, Entschlossenheit und andere Eigenschaften verlangte, die mit der seelischen Zerrüttung leidenschaftlichen Schmerzes unvereinbar waren. Herr Verloc war kein Unmensch; er war mit dem Vorsatz heimgekehrt, der Schwesternliebe seiner Frau erhebliche Zugeständnisse zu machen. Nur verstand er wohl die wahre Natur oder die ganze Tragweite dieses Gefühls nicht. Und das war entschuldbar, denn er konnte beides nicht verstehen, ohne aufzuhören, er selbst zu sein. Nun war er peinlich überrascht, was sich in einer gewissen Rauheit des Tones kundgab.

      »Du könntest einen doch ansehen«, sagte er nach einer Weile.

      Als würde sie durch die Hände gepreßt, die Frau Verlocs Antlitz bedeckten, kam die Antwort, erstickt, fast kläglich:

      »Ich will dich nicht mehr ansehen, so lange ich lebe.«

      »Was? Wie?« Herrn Verloc war nur der oberflächliche, wörtliche Sinn dieses Ausspruchs unangenehm zum Bewußtsein gekommen. Das war ganz offenbar unvernünftig, ein Aufschreien überspannten Schmerzes. Er warf den Mantel ehelicher Nachsicht darüber. Herrn Verlocs Gemütsart fehlte die Gründlichkeit. Infolge des falschen Glaubens, daß der Wert eines Menschen in ihm selbst beruhen müsse, konnte er unmöglich ermessen, wie viel Stevie tatsächlich in Frau Verlocs Augen wert war. Sie nahm es verteufelt hart, dachte er sich. Und daran war nur der verdammte Heat schuld. Warum hatte er die Frau so aufgeregt? Man durfte sie aber zu ihrem eigenen Besten nicht länger so gewähren lassen, bis sie schließlich ganz von Sinnen kam.

      »Sieh doch! Du kannst doch nicht so im Laden sitzen bleiben«, sagte er mit gemachter Strenge, in der auch echter Ärger mitklang; denn wenn sie schon die ganze Nacht aufbleiben sollten, dann mußten doch dringende Fragen durchgesprochen werden. »Jeden Augenblick kann jemand hereinkommen«, fügte er hinzu und wartete wieder. Es zeigte sich keine Wirkung, und der Gedanke an die Endgültigkeit des Todes drängte sich Herrn Verloc auf in dieser Pause. Er änderte den Ton. »Komm, das bringt ihn nicht zurück«, sagte er liebreich, bereit, sie an seine Brust zu ziehen, wo Ungeduld und Mitleid nebeneinander wohnten. Doch abgesehen von einem kurzen Schauder blieb Frau Verloc von der Gewalt dieses fürchterlichen Gemeinplatzes scheinbar unberührt. Vielmehr war Herr Verloc selbst davon bewegt. In seiner Einfalt fühlte er sich gedrängt, Mäßigung anzuraten, indem er seine eigenen Rechte geltend machte.

      »Sei vernünftig, Winnie. Wie wäre es denn gewesen, wenn du mich verloren hättest?«

      Er hatte verschwommen gehofft, sie aufschreien zu hören; aber sie rührte sich nicht. Sie saß ein wenig zurückgelehnt, in völlige, unfaßbare Reglosigkeit versunken. Herrn Verlocs Herz begann schneller zu schlagen, aus Erbitterung und etwas wie Bestürzung. Er legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte: »Sei keine Närrin, Winnie.«

      Sie rührte sich nicht. Es war undenkbar, vernünftig mit einer Frau zu reden, deren Gesicht man nicht sehen konnte. Herr Verloc faßte sie bei den Handgelenken. Doch ihre Hände schienen festgewachsen. Ihr ganzer Leib folgte dem Zug, und sie wäre fast vom Stuhl gestürzt. Erschreckt, sie so hilflos schlaff zu sehen, versuchte er, sie in den Stuhl zurückzusetzen; da wurde sie plötzlich wieder spannkräftig, riß sich aus seinen Händen los und rannte aus dem Laden hinaus, durch das Wohnzimmer in die Küche. Das ging blitzschnell. Er hatte einen Streifen ihres Gesichts und gerade soviel von ihren Augen gesehen, um feststellen zu können, daß sie ihn nicht angesehen hatte.

      Das Ganze erschien wie ein Streit um eine Sitzgelegenheit, denn Herr Verloc nahm sofort den Platz seiner Frau ein. Herr Verloc bedeckte nicht sein Gesicht mit den Händen, doch lag über seinen Zügen der Schleier tiefer Nachdenklichkeit. Ein Verhaftungsbefehl war unvermeidlich. Er wünschte ihn auch gar nicht zu vermeiden. Das Gefängnis war ein Ort, wo man vor gewissen ungesetzlichen Racheanschlägen so sicher war wie im Grab, mit dem Vorteil, daß im Gefängnis noch Raum für die Hoffnung blieb. Was er nun vor sich sah, war: Verhaftung, rasche Freilassung, und dann ein Leben irgendwo im Ausland, wie er es für den Fall eines Fehlschlags schon in Betracht gezogen hatte. Nun gut, es war ein Fehlschlag, wenn auch nicht ganz der Art, wie er ihn befürchtet hatte. Er streifte so hart an Erfolg, daß angesichts der traurigen Wirkung Herrn Vladimir der Spott wohl vergehen konnte. So wenigstens erschien es jetzt Herrn Verloc. Sein Ansehen bei der Gesandtschaft wäre ins Ungemessene gestiegen, wenn – wenn sein Weib nicht die unglückliche Idee gehabt hätte, in Stevies Überrock die Adresse einzunähen. Herr Verloc, der durchaus kein Dummkopf war, hatte bald seinen ungewöhnlichen Einfluß auf Stevie erkannt, allerdings ohne dessen Anlaß zu ergründen, – das Märchen von seiner überlegenen Weisheit und Güte, das zwei besorgte Frauen ersonnen hatten. Bei allen vorhergesehenen Möglichkeiten hatte Herr Verloc Stevies richtig erkannte Treue und blinde Ergebenheit in Rechnung gestellt. Die unvorhergesehene Möglichkeit hatte ihn als Menschen und liebenden Gatten getroffen. Von jedem anderen Gesichtspunkt betrachtet, war sie eher vorteilhaft. Nichts reicht an das ewige Schweigen des Todes heran. Während Herr Verloc bestürzt und ratlos verängstigt im kleinen Schankzimmer des Cheshire Cheese saß, konnte er nicht umhin, sich das einzugestehen, denn seine Urteilskraft war durch seine Empfindsamkeit nicht gehemmt. Daß Stevie so gründlich auseinandergeraten war, machte – so unerfreulich es auch sein mochte, daran zu denken – den Erfolg nur sicherer; denn natürlich hatte Herr Vladimir mit seiner Drohung nicht unbedingt die Niederlegung einer Mauer bezwecken wollen, sondern eine moralische Wirkung. Und diese Wirkung konnte als vollbracht gelten, wenn auch mit viel Mühe und Sorge für Herrn Verloc. Als aber höchst unerwartet die Fährte in die Brett Street hinein aufgespürt wurde, da nahm Herr Verloc, der wie ein Mann in einem bösen Traum um seine Stellung gekämpft hatte, den Schlag mit der Ruhe des überzeugten Fatalisten hin. Die Stellung war tatsächlich ohne jemandes Schuld verloren. Ein kleiner, lächerlicher Umstand hatte sie verwirkt; es war, wie wenn man im Dunklen über ein Stück Orangenschale ausgleitet und sich einen Fuß bricht.

      Herr Verloc СКАЧАТЬ