Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad
Автор: Джозеф Конрад
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027204113
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Herrn Vladimirs Ton wurde hochmütig.
»Ich für meine Person kann Ihre Ansicht nicht teilen. Sie scheint mir selbstsüchtig. Meine Gefühle für mein eigenes Land unterliegen keinem Zweifel; dabei aber habe ich immer empfunden, daß wir nebenher auch gute Europäer sein sollten – das gilt für Regierungen und Menschen.«
»Jawohl,« sagte der Kommissar einfach, »nur sehen Sie Europa vom anderen Ende her an. Aber«, fuhr er gutmütig fort, »die fremden Regierungen können über die Erfolglosigkeit unserer Polizei nicht klagen. Sehen Sie sich diesen Fall an, der insofern verzwickt war, als es sich um bestellte Arbeit handelte. In weniger als zwölf Stunden haben wir die Persönlichkeit eines Menschen festgestellt, der buchstäblich in Fetzen zerrissen war, haben den Anstifter herausgefunden und sogar noch die Spur entdeckt, die zu ihrem Urheber hinter ihm führt. Wir hätten noch weiter gehen können; nur haben wir an den Grenzen unseres Gebiets Halt gemacht.«
»So wurde also dieses lehrreiche Verbrechen auswärts geplant?« fiel Herr Vladimir schnell ein. »Sie geben zu, daß es auswärts geplant wurde?«
»Theoretisch, nur theoretisch auf fremdem Boden; auswärts nur dem Wort nach«, sagte der Kommissar und spielte damit auf die Eigentümlichkeit der Gesandtschaften an, die als Teile des Landes gelten, dem sie angehören. »Aber das ist Nebensache. Ich habe mit Ihnen davon gesprochen, weil Ihre Regierung am meisten an unserer Polizei auszusetzen hat. Sie sehen, daß wir nicht gar so schlecht sind. Ich hatte den besonderen Wunsch, Ihnen von unserem Erfolg Mitteilung zu machen.«
»Ich bin Ihnen gewiß sehr dankbar«, murmelte Herr Vladimir durch die Zähne.
»Wir können die Hand auf jeden Anarchisten im Lande legen«, fuhr der Kommissar fort, als wollte er den Inspektor Heat zitieren. »Nun bleibt nichts weiter zu tun übrig, als mit dem Lockspitzel aufzuräumen, damit die Sicherheit nicht weiter gefährdet wird.«
Herr Vladimir winkte mit der Hand einer vorüberfahrenden Droschke.
»Gehen Sie nicht hier hinein?« fragte der Kommissar und sah nach einem einladenden prächtigen Bau, durch dessen breite Glastüre ein Lichtstrom aus der großen Halle auf die Freitreppe herausfiel.
Doch Herr Vladimir saß mit steinernem Gesicht im Wagen und fuhr ohne ein Wort davon.
Der Kommissar selbst betrat den Prachtbau nicht. Es war das Klubhaus der »Forscher«. Er mußte daran denken, daß Herr Vladimir, das Ehrenmitglied, in Zukunft nicht allzu oft dort gesehen werden würde. Er blickte auf die Uhr; es war erst halb elf. Sein Abend war gut ausgefüllt gewesen.
XI
Nach Inspektor Heats Weggang wanderte Herr Verloc im Wohnzimmer herum. Von Zeit zu Zeit spähte er durch die offene Tür nach seiner Gattin. Nun weiß sie alles, dachte er und empfand einiges Mitleid mit ihrem Kummer, doch auch einige Genugtuung in bezug auf sich selbst. Herrn Verlocs Seele war, wenn ihr vielleicht auch die Größe fehlte, dennoch zarterer Gefühle fähig. Der Gedanke, der Frau die Neuigkeit beibringen zu müssen, hatte ihm Fieber verursacht. Inspektor Heat hatte ihm die Aufgabe abgenommen. Das war jedenfalls erfreulich. Nun mußte er noch den Schmerzensausbruch mit ansehen.
Herr Verloc hätte nie erwartet, einen solchen Ausbruch aus Anlaß eines Todesfalls erleben zu müssen, wobei nämlich alle Vernunfts-und Trostgründe jämmerlich versagen mußten. Herr Verloc hatte durchaus nicht gemeint, daß Stevie so plötzlich und gewaltsam umkommen würde. Er hatte überhaupt nicht gemeint, daß der Junge umkommen sollte. Der tote Stevie war eine weit größere Plage, als es der lebende je gewesen war. Herr Verloc hatte bestimmt mit einem günstigen Ausgang des Unternehmens gerechnet und sich dabei nicht auf Stevies Verstand verlassen, der einem Mann ja oft üble Streiche spielen kann, sondern auf die blinde Gelehrigkeit und Anhänglichkeit des Jungen. Wenn er auch kein großer Seelenkenner war, so hatte Herr Verloc doch die Tiefe von Stevies Fanatismus erfaßt. Er durfte hoffen, daß Stevie von der Mauer des Observatoriums weggehen würde, wie es ihm bei mehrmaligen Proben ausdrücklich gezeigt worden war, um mit seinem Schwager, dem guten und weisen Herrn Verloc, außerhalb des Parkgitters zusammenzutreffen. Fünfzehn Minuten hätten doch für den größten Schwachkopf genügen müssen, um die Höllenmaschine hinzusetzen und wegzugehen. Und der Professor hatte für mehr als fünfzehn Minuten Gewähr geleistet. Stevie aber war keine fünf Minuten, nachdem man ihn sich selbst überlassen hatte, gestolpert, und nun war Herr Verloc moralisch in Stücke gerissen. Alles hatte er vorausgesehen, nur das nicht. Er hatte vorausgesehen, daß Stevie in seiner Zerstreutheit verloren gehen – gesucht werden und schließlich in einer Polizeistation oder in einem Schwachsinnigenasyl gefunden werden konnte. Er hatte Stevies Verhaftung vorhergesehen und nicht gefürchtet, denn Herr Verloc hatte eine hohe Meinung von Stevies Ehrenfestigkeit, die ihm, zugleich mit der Notwendigkeit unverbrüchlichen Schweigens, auf vielen gemeinsamen Gängen eingetrichtert worden war. Wie ein wahrer Peripathetiker hatte Herr Verloc während der Wanderungen durch Londons Straßen Stevies Vorstellung von der Polizei durch äußerst geschickte Reden umgemodelt. Nie hatte ein Weiser einen Schüler gehabt, der aufmerksamer und mehr von Bewunderung erfüllt gewesen wäre. Die Unterwerfung und Verehrung waren so offensichtlich, daß Herr Verloc dahin gekommen war, eine Art Neigung zu dem Jungen zu fassen. Keinesfalls hatte er vorhergesehen, daß seine Verbindung mit ihm so schnell aufgedeckt werden würde. Daß sein Weib den Einfall haben würde, ihre Adresse in des Jungen Überrock einzunähen, war der letzte Gedanke, der Herrn Verloc gekommen wäre. Man kann nicht an alles denken. Das also hatte sie mit der Bemerkung gemeint, er brauchte sich nicht zu sorgen, wenn er Stevie unterwegs verlieren sollte. Sie hatte ihm versichert, daß der Junge schon richtig zurückkommen würde. Nun war er wiedergekehrt, aber als Rächer.
»Nun, nun«, murmelte Herr Verloc erstaunt. Was hatte sie damit gewollt? Ihm selbst die Mühe ersparen, den Jungen ängstlich zu beobachten? Höchstwahrscheinlich hatte sie das Beste gewollt. Nur hätte sie ihm von der ergriffenen Vorsichtsmaßregel Mitteilung machen müssen.
Herr Verloc trat hinter den Ladentisch. Er hatte nicht die Absicht, seine Gattin mit erbitterten Vorwürfen zu überhäufen. Herr Verloc empfand keine Bitterkeit. Der unerwartete Gang der Ereignisse hatte ihn zum Fatalismus bekehrt. Nun war nichts mehr zu ändern. Er sagte:
»Ich dachte nicht, daß dem Jungen irgendein Leid widerfahren sollte.«
Frau Verloc schauderte beim Klang von ihres Gatten Stimme. Sie enthüllte ihr Gesicht nicht. Der vielgepriesene Geheimagent des seligen Barons Stott-Wartenheim blickte sie eine Zeitlang düster beharrlich aus kurzsichtigen Augen an. Das zerrissene Abendblatt lag zu ihren Füßen. Sie konnte nicht viel daraus erfahren haben. Herr Verloc empfand die Notwendigkeit, mit seiner Gattin zu sprechen.
»Der verdammte Heat – wie?« sagte er. »Er hat dich erschreckt. Er ist ein Rüpel. Eine Frau so damit zu überfallen! Ich marterte mich halb von Sinnen mit der Frage, wie ich dir’s beibringen sollte. Stundenlang saß ich in dem kleinen Schenkzimmer von Cheshire Cheese und grübelte über den besten Weg. Du kannst dir denken, daß ich niemals daran dachte, dem Jungen ein Leid geschehen zu lassen.«
Herr Verloc, der Geheimagent, sprach wahr. Die vorzeitige Explosion hatte ihn in seiner Gattenliebe am schmerzlichsten getroffen. Er fügte hinzu:
»Mir war nicht besonders wohl zumute, als ich dort saß und an dich dachte.«
Er bemerkte ein neues Zusammenschaudern seiner Gattin und fühlte sich schmerzlich davon berührt. Da sie dabei beharrte, das Gesicht in den СКАЧАТЬ