Gesammelte Werke von Joseph Conrad. Джозеф Конрад
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Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad

Автор: Джозеф Конрад

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027204113

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СКАЧАТЬ Ich verteidige mich nicht. Ich hatte keine klare Vorstellung davon, was ich eigentlich wollte. Vielleicht war es eine Regung unbewußter Anständigkeit, oder es geschah unter dem Druck einer der spöttischen Notwendigkeiten, die sich hinter den Tatsachen des menschlichen Lebens verbergen. Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht sagen. Aber ich ging.

      Ich denke, die Erinnerung an ihn war wie die anderen Erinnerungen an Tote, die sich in jedes Mannes Leben anhäufen – ein leichter Eindruck im Hirn von Schatten, die sich im raschen Vorbei abgeprägt haben; doch vor dem hohen, wuchtigen Tor, zwischen den mächtigen Häusern einer Straße, die still und ehrwürdig wirkten wie eine gut gehaltene Allee in einem Friedhof, stand plötzlich sein Bild wieder vor mir, wie er auf der Bahre lag und gefräßig den Mund öffnete, als wollte er die ganze Erde mit all ihren Bewohnern verschlingen. Er stand geradezu lebendig vor mir – lebendig, wie er es je gewesen war – ein Schatten, der sich unersättlich nach prunkvoller Umgebung, nach furchtbarer Wirklichkeit sehnte. Ein Schatten, dunkler als der der Nacht, und edel in die Fluten einer übermenschlichen Beredsamkeit gehüllt. Das Bild schien mich in das Haus hineinzubegleiten – die Bahre mit ihren gespenstischen Trägern, die wilde Schar der ehrfürchtigen Anbeter, das Waldesdüster, das Glitzern des Stromes zwischen den dunklen Ufern, die Schläge der Trommel, regelmäßig und dumpf wie die eines Herzens – des Herzens der siegreichen Finsternis. Es war ein Augenblick des Triumphes für die Wildnis, ein jähes, rachsüchtiges Vordringen, das ich, so schien es mir, ganz allein würde aufzuhalten haben, um des Heiles einer anderen Seele willen. Und die Erinnerung daran, was ich ihn dort, weit weg, sagen gehört hatte, während die Gehörnten sich hinter meinem Rücken im Flammenschein, im Schweigen der Wälder regten, diese abgerissenen Sätze kamen mir wieder in den Sinn, waren wieder in ihrer furchtbaren, schicksalhaften Einfalt zu hören. Ich erinnerte mich an seine verworfene Beweisführung, seine verbrecherischen Drohungen, das ungeheure Maß seiner niedrigen Lüste, die Verkommenheit, die Qualen und die entsetzliche Angst seiner Seele. Gleich darauf glaubte ich ihn wieder gefaßt und gleichmütig vor mir zu sehen, wie er mir eines Tages sagte: ›Dieser Posten Elfenbein gehört tatsächlich mir. Die Gesellschaft hat nichts dafür bezahlt. Ich habe ihn selbst unter ziemlich großer, persönlicher Gefahr zusammengetragen. Hm, es ist ein schwieriger Fall. Was glauben Sie, was ich tun sollte – Widerstand leisten? Wie? Ich will nichts weiter als Gerechtigkeit …‹ Er wollte nichts weiter als Gerechtigkeit – nichts weiter als Gerechtigkeit. Ich zog die Glocke vor einer Mahagonitür im ersten Stock, und während ich wartete, schien er mich aus den Glasscheiben anzustarren, mit dem weiten, ungeheuren Blick, der die ganze Welt umfaßte, verdammte und verabscheute. Ich glaubte, den geflüsterten Schrei zu hören: ›Das Grauen! das Grauen!‹

      Die Dämmerung fiel ein. Ich hatte in einem luftigen, winzigen Wohnzimmer zu warten, mit drei hohen Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten und wie drei leuchtende, verhängte Säulen wirkten. Die geschnitzten, vergoldeten Beine und Ränder der Möbel leuchteten in undeutlichen Umrissen. Der hohe Marmorkamin wirkte weiß und kalt wie ein Denkmal. Ein großes Pianino stand massig in einer Ecke, mit trüben Glanzlichtern da und dort, wie ein düsterer, polierter Sarkophag. Eine hohe Tür ging auf, schloß sich. Ich erhob mich.

      Sie kam mir entgegen, ganz in Schwarz, mit einem blassen Haupt, das durch das Dunkel auf mich zuhielt. Sie war in Trauer. Es war mehr als ein Jahr seit seinem Tode, mehr als ein Jahr her, seitdem die Nachricht gekommen war. Es schien, als wollte sie nie vergessen und ewig trauern. Sie nahm meine beiden Hände in die ihren und murmelte: ›Ich hatte gehört, daß Sie kommen würden.‹ Ich bemerkte, daß sie nicht sehr jung war – ich meine, nicht mädchenhaft. Sie war wirklich fähig, Treue, Glaube und Liebe zu geben. Der Raum schien dunkler geworden, als hätte sich all das trübe Licht des wolkigen Abends auf ihre Stirn geflüchtet. Dies blendende Haar, das blasse Gesicht, die reinen Brauen schienen von einem silberigen Schein umgeben, aus dem mich die dunklen Augen anblickten. Ihr Blick war arglos, tief, zutraulich und treu. Sie trug ihr bekümmertes Haupt, als wäre sie stolz auf ihren Kummer, als wollte sie sagen: ›Ich, ich allein weiß um ihn zu trauern, wie er es verdient.‹ Noch während wir uns die Hände schüttelten, kam ein Ausdruck so furchtbarer Trostlosigkeit über ihr Gesicht, daß ich sie als eines der Geschöpfe erkannte, die nicht zum Spielzeug der Zeit geboren sind. Für sie war er erst gestern gestorben – nein, in dieser selben Minute. Ich sah sie und ihn im gleichen Augenblick – seinen Tod und ihren Kummer – ich sah ihren Kummer im Augenblick seines Todes. Versteht ihr das? Ich sah sie zugleich, ich hörte sie zugleich. Sie hatte mit einem tiefen Atemzug gesagt: ›Ich bin übriggeblieben.‹ Mit dieser verzweifelten Klage vermengt, glaubten meine gespannten Ohren deutlich das letzte Flüstern zu hören, das seine ewige Verdammnis anzeigte. Ich fragte mich, was ich da tat, und hatte dabei ein Gefühl von Panik, als hätte ich mich an einen Ort gewagt, wo grausame, sinnlose Mysterien abgehalten wurden, denen kein menschliches Wesen beiwohnen durfte. Sie forderte mich auf, Platz zu nehmen. Wir setzten uns. Ich legte das Paket langsam auf den kleinen Tisch und sie legte die Hand darüber … ›Sie kannten ihn gut‹, murmelte sie nach einem kurzen und traurigen Schweigen.

      ›Die Vertrautheit bildet sich da draußen schnell heraus‹, sagte ich. ›Ich kannte ihn so gut, wie ein Mann überhaupt einen andern kennen kann.‹

      ›Und Sie bewunderten ihn‹, sagte sie. ›Es war unmöglich, ihn zu kennen, ohne ihn zu bewundern, nicht wahr?‹

      ›Er war ein hervorragender Mensch‹, sagte ich unsicher. Dann fuhr ich unter dem eindringlichen Starren ihres Blickes, der nach weiteren Worten auf den Lippen zu spähen schien, fort: ›Es war unmöglich, ihn nicht …‹

      ›Zu lieben‹, ergänzte sie hastig, so daß ich bestürzt schwieg. ›Wie wahr! wie wahr! Wenn Sie aber bedenken, daß niemand ihn so gut kannte, wie ich! Ich besaß sein kostbares Vertrauen. Ich kannte ihn am besten.‹

      ›Sie kannten ihn am besten‹, wiederholte ich. Und vielleicht tat sie das. Doch mit jedem Wort, das gesprochen wurde, verdüsterte sich der Raum mehr und mehr, und nur ihre Stirn, glatt und weiß, blieb von dem unauslöschlichen Licht von Glaube und Liebe erhellt.

      ›Sie waren sein Freund‹, fuhr sie fort. ›Sein Freund‹, wiederholte sie ein wenig lauter. ›Sie müssen es gewesen sein, wenn er Ihnen dies gegeben und Sie zu mir geschickt hat. Ich fühle, daß ich zu Ihnen sprechen kann und, oh! Ich muß sprechen. Ich möchte, daß Sie – Sie, der sein letztes Wort gehört hat, wissen, daß ich seiner wert war … Es ist nicht Stolz … Jawohl! ich bin stolz darauf, zu wissen, daß ich ihn besser verstand als sonst jemand auf der Erde – das hat er mir selbst gesagt. Und seit seine Mutter tot ist, habe ich niemand gehabt, niemand, mit dem …‹

      Ich hörte zu. Das Dunkel vertiefte sich. Ich war nicht einmal sicher, ob er mir das rechte Paket gegeben hatte. Ich glaube sogar, er wollte, daß ich auf ein ganz anderes Bündel seiner Papiere aufpassen sollte, das ich nach seinem Tode den Direktor unter der Lampe durchblättern sah. Und das Mädchen sprach, und ihr Schmerz löste sich in der Gewißheit meiner Zuneigung; sie sprach, wie durstige Menschen trinken. Ich hatte gehört, daß ihre Verlobung mit Kurtz von ihrer Familie mißbilligt worden war. Er war nicht reich genug gewesen, oder sonst etwas. Und tatsächlich weiß ich nicht, ob er nicht zeit seines Lebens arm war. Er hatte mir einigen Grund zu der Annahme gegeben, daß es die Auflehnung gegen seine verhältnismäßige Armut gewesen war, die ihn dort hinausgeführt hatte.

      ›… Wer wäre nicht sein Freund gewesen, der ihn je sprechen gehört hat‹, sagte sie. ›Er zog die Menschen durch das Beste in ihnen an sich.‹ Sie sah mir fest ins Gesicht. ›Das ist die Gabe der ganz Großen‹, fuhr sie fort, und ihre leise Stimme schien von all den anderen Klängen getragen, voll von Geheimnis, Verzweiflung und Kummer, die ich je gehört hatte – dem Rauschen des Stromes, dem Seufzen der Bäume im Sturm, dem Murmeln einer aufgeregten Menge, unverständlichen Worten, kaum noch hörbar, von weit weg gerufen, dem Flüstern einer Stimme, die von jenseits der Schwelle zur ewigen Finsternis sprach. ›Aber Sie haben ihn ja gehört! Sie wissen es!‹ rief sie.

      ›Jawohl, ich weiß es‹, sagte ich, etwas wie Verzweiflung im Herzen, beugte СКАЧАТЬ