Gesammelte Werke von Joseph Conrad. Джозеф Конрад
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Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad

Автор: Джозеф Конрад

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788027204113

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СКАЧАТЬ Lächeln auf seinen farblosen Lippen erscheinen, die im Augenblick darauf krampfhaft zuckten. ›Etwa nicht?‹ sagte er langsam und keuchte, als wären ihm die Worte durch eine übernatürliche Macht genommen worden.

      Ich zog die Dampfpfeife, und zwar deswegen, weil ich sah, wie die Pilger an Deck, wie in Erwartung eines lustigen Streiches, ihre Gewehre fertigmachten. Bei dem plötzlichen Aufheulen der Dampfpfeife rann eine Bewegung furchtbaren Entsetzens durch das gedrängte Meer von Körpern. ›Nicht! nicht! Sie verjagen sie‹, rief jemand vom Deck enttäuscht herauf. Ich zog ein ums andere Mal die Leine. Sie wandten sich und rannten, sprangen, krochen, verbargen sich zitternd vor dem fliegenden Schrecken des Tons. Die drei roten Kerle hatten sich, das Gesicht gegen den Boden, am Ufer flach hingeworfen, als hätte man sie totgeschossen. Nur das barbarisch prunkvolle Weib zuckte nicht und streckte mit tragischer Gebärde die nackten Arme über den düster glitzernden Strom nach uns aus.

      Und dann begannen die Dummköpfe unten auf Deck mit ihrem kleinen Spaß, und ich konnte vor Rauch nichts mehr sehen.

      Der dunkle Strom rann schnell aus dem Herzen der Finsternis hinaus und trug uns doppelt so schnell, wie wir heraufgefahren waren, der Küste zu; und auch Kurtz’ Leben rann schnell dahin, verebbte aus seinem Herzen in das unerbittliche Meer der Zeit. Der Direktor war sehr sanftmütig, ihm blieben keine besonderen Ängste mehr, er umfaßte uns beide mit einem verständnisvollen und befriedigten Blick: die ›Geschichte‹ war so gut ausgegangen, wie er es sich nur hatte wünschen können.

      Ich sah den Zeitpunkt nahe, da ich allein von den Anhängern der ›ungesunden Methode‹ übrig sein würde. Die Pilger folgten mir mit mißgünstigen Blicken. Ich wurde sozusagen schon zu den Toten gerechnet. Es ist merkwürdig, daß ich mir diese Einreihung gefallen ließ. Diese Wahl unter Ungeheuern, die mir in dem finstern Land von elenden, gierigen Gespenstern aufgezwungen worden war.

      Kurtz sprach. Eine Stimme! Eine Stimme! Sie dröhnte tief, bis zuletzt. Sie überlebte seine Kraft, damit er unter dem Prunkgewand der Beredsamkeit die öde Nacht seines Herzens verbergen könnte. Oh, er kämpfte! Er kämpfte! Durch die Wüsten seines müden Hirnes zuckten nun schattenhafte Bilder, Bilder von Wohlstand und Ruhm, die seine unbesiegbare Gabe gehobener, edler Sprechweise immer neu erstehen ließ. ›Meine Braut, meine Stationen, meine Laufbahn, meine Ideen‹ – das waren die Ausgangspunkte für die gelegentliche Darlegung schöner Gefühle. Der Schatten des ursprünglichen Kurtz stand neben dem Krankenlager des hohläugigen Trugbildes, dem es in Kürze bevorstand, in jungfräulicher Erde bestattet zu werden. Sowohl der teuflische Hang zu den Mysterien wie auch der unirdische Haß dagegen, durch die diese Seele, von urweltlichen Erlebnissen gesättigt, gegangen war, machten einander nun ihren Platz streitig und äußerten sich in der Gier nach falschem Ruhm, erschlichener Auszeichnung, nach all den äußeren Merkmalen von Erfolg und Macht.

      Mitunter war er unangenehm kindisch. Er wollte von Königen am Bahnhof empfangen werden bei seiner Rückkehr von einem gespenstigen Nirgendwo, wo er seine großen Pläne verwirklicht haben würde. ›Wenn man ihnen zeigt, daß man wirklich brauchbar ist, dann nehmen die Loblieder kein Ende‹, pflegte er zu sagen. ›Natürlich muß man auf die Beweggründe achten und sie immer sorgfältig wählen.‹ – Lange, gerade Strecken, die einander aufs Haar glichen, ebenso wie die eintönigen Ufer, glitten am Dampfer vorbei; zahllose hundertjährige Bäume sahen gleichgültig hinter diesem kümmerlichen Bruchstück einer anderen Welt drein, dem Vorboten des Wechsels, der Eroberung, des Handels, des Gemetzels und der Segnungen. Ich sah geradeaus und steuerte. ›Schließen Sie den Laden‹, sagte Kurtz eines Tages unvermittelt. ›Ich kann es nicht ertragen, das noch zu sehen.‹ Ich tat es. Es gab ein Schweigen. ›Oh, ich will dir schon noch das Herz aus dem Leibe reißen‹, schrie er der unsichtbaren Wildnis zu.

      Unsere Maschine versagte – wie ich es erwartet hatte –, und wir mußten, um den Schaden auszubessern, an der Spitze einer Insel anlegen. Diese Verzögerung war es, die zuerst Kurtz’ Vertrauen erschütterte. Eines Morgens gab er mir ein Paket Papiere, das Ganze mit einem Schuhband zusammengeschnürt. ›Bewahren Sie das für mich auf‹, sagte er. ›Dieser kümmerliche Narr‹, damit meinte er den Direktor, ›ist imstande, meine Koffer zu durchwühlen, wenn ich gerade nicht dabei bin.‹ Nachmittags sah ich ihn wieder. Er lag auf dem Rücken, mit geschlossenen Augen, und ich zog mich ruhig zurück, hörte ihn aber murmeln: ›Recht leben, sterben, sterben …‹ Ich horchte. Es kam nichts weiter. Wiederholte er im Schlaf irgendeine Rede oder war es ein Bruchstück aus einem Leitartikel? Er hatte für die Zeitungen geschrieben und gedachte es wieder zu tun, ›für die Verbreitung meiner Ideen. Es ist eine Pflicht.‹

      Die Dunkelheit, in der er lebte, war undurchdringlich. Ich beobachtete ihn, wie man zu einem Mann hinunterspäht, der auf dem Boden eines Abgrundes liegt, wohin die Sonne nie scheint. Doch hatte ich nicht viel Zeit für ihn übrig, denn ich half dem Maschinisten beim Auseinandernehmen der lecken Zylinder, dem Strecken einer verbogenen Verbindungsstange und bei ähnlichen solchen Verrichtungen. Ich lebte inmitten eines höllischen Wirrwarrs von Rost, Feilspänen, Schraubenmuttern, Bolzen, Schraubenschlüsseln, Hämmern und Drillbohrern – lauter Dingen, die ich verabscheue, weil ich damit nicht zurechtkomme. Ich richtete die kleine Feldschmiede her, die wir glücklicherweise an Bord hatten, und arbeitete unaufhörlich unter dem Gerümpel herum – außer wenn ich zu starken Schüttelfrost hatte, um auf den Beinen stehen zu können.

      Als ich eines Abends mit einer Kerze zu ihm hineinkam, war ich überrascht, ihn etwas zitterig sagen zu hören: ›Da liege ich im Dunkel und erwarte den Tod!‹ Das Licht war kaum mehr als eine Spanne von seinen Augen entfernt. Ich zwang mich zu einem gemurmelten: ›Ach, Unsinn!‹ und blieb wie angenagelt über ihn gebeugt.

      Etwas, das auch nur im entferntesten an den Wechsel hingereicht hätte, der sich in seinen Zügen vollzog, habe ich noch nie zuvor gesehen und hoffe es auch nie wieder zu sehen. Oh, ich war nicht gerührt. Ich war wie gebannt. Es schien, als wäre ein Schleier gerissen. Ich sah auf dem Elfenbeingesicht den Ausdruck düsteren Stolzes, unbarmherziger Herrschsucht, feiger Angst – und tiefer, hoffnungsloser Verzweiflung. Durchlebte er, in jenem äußersten Augenblick völligen Wissens, sein Leben nochmals, mit jeder einzelnen Begierde, Versuchung und Schwäche? Er schrie in einem Flüstern einem Bild, einem Gesicht zu – schrie es zweimal, wenn es auch kaum lauter klang als ein Hauch:

      ›Das Grauen! Das Grauen!‹

      Ich blies die Kerze aus und verließ die Kabine. Die Pilger aßen im Meßraum zu Nacht, und ich nahm meinen Platz gegenüber dem Direktor ein; er hob die Augen, um mir einen fragenden Blick zuzuwerfen, den ich aber mit Erfolg übersah. Er lehnte sich zurück, heiter und mit dem gewissen Lächeln, das die unausgesprochenen Tiefen seiner Gemeinheit versiegelte. Ein unaufhörlicher Schauer kleiner Fliegen umsurrte die Lampe, das Tischtuch, unsere Hände und Gesichter. Plötzlich steckte der Boy des Direktors seinen unverschämten, schwarzen Kopf durch die Türe und sagte im Ton äußerster Verachtung:

      ›Mistah Kurtz – er tot.‹

      Alle die Pilger stürzten hinaus, um nachzusehen. Ich blieb zurück und beendete mein Abendessen. Ich glaube, sie hielten mich für unerhört hartherzig. Essen konnte ich aber doch nicht viel. Nur – dort drinnen brannte eine Lampe – es war hell, versteht ihr – und draußen war es so schrecklich, schrecklich dunkel. Ich ging nicht mehr in die Nähe des bemerkenswerten Mannes, der über das Erdenwallen seiner Seele ein solches Urteil gefällt hatte. Die Stimme war dahin. Was sonst war da gewesen? Aber ich weiß natürlich, daß die Pilger am nächsten Tage irgend etwas in einem Schlammloch vergruben.

      Und dann begruben sie um ein Haar auch mich.

      Aber wie ihr seht, verschwand ich damals noch nicht, um Kurtz zu folgen. Das tat ich nicht. Ich blieb zurück, um den bösen Traum zu Ende zu träumen und um noch ein letztes Mal Kurtz meine Treue zu beweisen. Schicksal! Mein Schicksal! Ein komisches Ding, das Leben – der geheimnisvolle Aufwand so unerbittlicher Logik für das so unwichtige Ende. Das meiste, was man СКАЧАТЬ