Gesammelte Werke von Joseph Conrad. Джозеф Конрад
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Joseph Conrad - Джозеф Конрад страница 23

Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad

Автор: Джозеф Конрад

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027204113

isbn:

СКАЧАТЬ eifersüchtig ablehnte, mit irgend jemand das eigenartig dunkle Erlebnis jener Stunde zu teilen.

      Sobald ich auf dem Ufer stand, sah ich eine Fährte – eine breite Fährte durch das Gras. Ich erinnere mich noch, mit welchem Jubel ich mir sagte, ›er kann nicht gehen, er kriecht auf allen vieren, er gehört schon mir!‹ Das Gras triefte von Tau. Ich ging schnell mit geballten Fäusten dahin. Ich glaube, ich hatte die dunkle Absicht, über ihn herzufallen und ihn durchzuprügeln. Ich weiß es nicht. Ich hatte einige blödsinnige Vorstellungen. Das strickende alte Weib mit der Katze fiel mir ein, und ich empfand plötzlich, wie ungehörig es war, daß sie am anderen Ende einer solchen Geschichte sitzen sollte. Ich sah eine Horde von Pilgern aus Winchester-Karabinern, die sie an der Hüfte angeschlagen hielten, Blei in die Luft spritzen. Ich stellte mir vor, daß ich nie wieder zum Dampfer zurückkommen und allein und unbewaffnet in den Wäldern bis zum hohen Alter leben würde. Lauter solche Dummheiten, wißt ihr. Ich erinnere mich auch, daß ich die Trommelwirbel mit meinem Herzschlag verwechselte und über sein ruhiges Gleichmaß erfreut war.

      Ich hielt die Fährte eine Weile und blieb dann stehen, um zu lauschen. Die Nacht war sehr klar: ein dunkelblauer Raum, glitzernd von Tau und Sternenlicht, in dem schwarze Dinge ganz ruhig standen. Ich glaubte, gerade vor mir eine kleine Bewegung wahrnehmen zu können. Ich war in jener Nacht aller Dinge merkwürdig sicher. Nun verließ ich die Fährte und rannte in einem weiten Halbkreis (vor mich hin kichernd, glaube ich sogar) voran, um der Bewegung, die ich wahrgenommen hatte, wenn ich wirklich irgend etwas gesehen hatte, den Weg abzuschneiden. Ich schlug einen Kreis um Kurtz, als spielten wir ein Knabenspiel.

      Ich kam an ihn, und wenn er mich nicht kommen gehört hätte, so wäre ich wohl auch über ihn gestürzt; aber er stand noch zur rechten Zeit auf. Er erhob sich, unsicher, lang, blaß, undeutlich, wie ein von der Erde ausgeatmeter Dunst, und schwankte leicht nebelig, stumm, vor meinen Augen; unterdessen glühten in meinem Rücken die Feuer zwischen den Bäumen, und das Murmeln vieler Stimmen drang aus dem Wald. Ich hatte ihm richtig den Weg verlegt; als ich ihm aber nun so gegenüberstand, schien ich wieder zur Besinnung zu kommen und übersah die Gefahr in ihrer ganzen Tragweite. Sie war durchaus noch nicht beseitigt. Angenommen, er begann zu brüllen? Wenn er auch kaum stehen konnte, so war doch noch Kraft genug in seiner Stimme. ›Gehen Sie weg – verstecken Sie sich‹, sagte er in seinem tiefen Ton. Es war ganz schrecklich. Ich sah zurück. Wir waren ungefähr dreißig Meter vom nächsten Feuer weg. Eine schwarze Gestalt erhob sich, schritt auf langen, schwarzen Beinen dahin durch den Feuerschein und schwenkte lange, schwarze Arme. Sie hatte Hörner – Antilopenhörner, glaube ich – auf dem Kopf. Irgendein Zauberer, ein Medizinmann, ohne Frage; er sah teuflisch genug aus. ›Wissen Sie auch, was Sie tun?‹ flüsterte ich. – ›Vollkommen‹, gab er zurück und hob die Stimme für dieses einzelne Wort. Sie klang mir wie von fern her, doch laut, wie ein Anruf durch ein Sprachrohr. Wenn er Lärm schlägt, sind wir verloren, dachte ich. Dies war augenscheinlich kein Fall, der durch einen Faustschlag zu erledigen war, ganz abgesehen von der sehr natürlichen Abneigung, die ich dagegen hatte, diesen Schatten, dieses irrende, gequälte Ding zu schlagen. ›Sie werden verloren sein‹, sagte ich. ›Ganz und gar verloren.‹ Man hat manchmal so blitzartige Eingebungen. Ich sagte gerade das rechte Wort, obwohl er ja tatsächlich nicht schlimmer verloren sein konnte, als er es gerade in jenem Augenblick war; damals, als der Grundstein für unsere Vertrautheit gelegt wurde, die dann lange – lange – bis zum Ende – und noch darüber hinaus anhalten sollte.

      ›Ich hatte ungeheure Pläne‹, murmelte er unentschlossen. ›Ja‹, sagte ich, ›aber wenn Sie versuchen, zu schreien, dann schlage ich Ihnen den Schädel ein mit …‹ Weder ein Stein noch ein Stock war in Reichweite. ›Ich werde Sie erwürgen‹, verbesserte ich mich. – ›Ich stand an der Schwelle großer Dinge‹, redete er weiter, mit einer Sehnsucht in der Stimme, mit einem Verlangen, das mein Blut kälter strömen ließ. ›Nun kommt dieser dumme Schuft …‹ – ›Ihr Erfolg in Europa ist für alle Fälle gesichert‹, tröstete ich ihn mit Nachdruck. Ich wollte es vermeiden, ihn zu erwürgen, versteht ihr – und tatsächlich hätte es ja wenig praktischen Zweck gehabt. Ich versuchte, den Zauber zu brechen, den schweren, stummen Zauber der Wildnis, die ihn an ihre erbarmungslose Brust ziehen zu wollen schien, indem sie vergessene, rohe Triebe und die Erinnerung an die Befriedigung ungeheuerlicher Lüste in ihm erweckte. Das allein, davon war ich überzeugt, hatte ihn an den Waldsaum hinausgetrieben, in den Busch, dem Feuerschein zu, dem Dröhnen der Trommeln und der langgezogenen Beschwörung; dies allein hatte seine gesetzlose Seele über die Grenzen erlaubter Wünsche hinausgelockt. Und seht ihr, das Grauen des Augenblicks lag nicht in der Aussicht, eins über den Kopf zu bekommen – obwohl ich mir auch dieser Gefahr genau bewußt war –, sondern darin, daß ich es mit einem Wesen zu tun hatte, dem im Namen von nichts Hohem oder Niedrigem beizukommen war. Ich mußte, gerade wie die Neger, ihn selbst anrufen, seine eigene unglaubliche und überspannte Verkommenheit. Über ihm war so wenig wie unter ihm, und ich wußte es. Er hatte sich von der Erde abgestoßen. Zum Teufel mit ihm! Er hatte die Erde selbst in Stücke geschlagen. Er war allein, und ich vor ihm wußte nicht, ob ich auf dem Boden stand oder in der Luft schwebte. Ich habe euch erzählt, was wir sagten, habe euch die Sätze wiederholt, die wir aussprachen – und doch – wozu das alles? Es waren gewöhnliche, alltägliche Worte – die vertrauten Worte, die man Tag für Tag wechselt. Doch was weiter? Hinter ihnen stand, meinem Empfinden nach wenigstens, die furchtbare Bedeutung von Worten, wie man sie in Träumen hört, von Sätzen, die man unter einem Alpdruck hinausschreit. Seele! Wenn je ein Mensch mit einer Seele gekämpft hat, dann bin ich es. Ich stritt auch nicht mit einem Irren. Ob ihr mir glaubt oder nicht – sein Verstand war völlig ungetrübt, allerdings mit furchtbarer Gewalt auf sich selbst eingestellt, aber ungetrübt; und hierin lag meine einzige Möglichkeit – außer der anderen natürlich, ihn auf dem Fleck totzuschlagen, die aber schon wegen des unvermeidlichen Lärms weniger vorteilhaft schien. Aber seine Seele war irr. Allein in der Wildnis, war sie in sich gegangen und – bei Gott, ich sage es euch – darüber verrückt geworden. Ich hatte – als Strafe für meine Sünden, nehme ich an – einen Blick hineinzutun. Keine Beredsamkeit hätte jeden Glauben an die Menschheit so gründlich erschüttern können, wie der schließliche Ausbruch seiner Offenherzigkeit. Er kämpfte auch mit sich selbst. Ich sah es, hörte es. Ich sah das Unbegreifliche einer Seele, die keine Hemmungen kannte, keinen Glauben und keine Furcht, und doch blindlings mit sich kämpfte. Ich bewahrte ziemliche Fassung; als ich ihn schließlich aber auf sein Lager gebettet hatte, trocknete ich mir die Stirn, und die Beine zitterten unter mir, als hätte ich viele Zentner auf meinem Rücken den Hügel hinaufgetragen. Und doch hatte ich ihn nur gestützt, sein knochiger Arm hatte um meinen Hals gelegen – und der ganze Mann wog nicht viel mehr als ein Kind.

      Als wir am nächsten Tag gegen Mittag abfuhren, strömte die Menge, deren Anwesenheit hinter dem Vorhang der Bäume ich die ganze Zeit über genau gefühlt hatte, wieder aus den Wäldern heraus, erfüllte die Lichtung, bedeckte den Hügel mit einer Menge nackter, atmender, bebender Bronzeleiber. Ich dampfte ein kleines Stück stromauf, schwenkte dann stromabwärts, und zweitausend Augen verfolgten das Gebaren des plätschernden, stampfenden, bösen Flußteufels, der mit seinem furchtbaren Schweif das Wasser schlug und schwarzen Rauch in die Luft blies. Vor der ersten Reihe, hart am Ufer, tanzten drei Männer, von Kopf bis Fuß mit hellroter Erde bestrichen, ruhelos auf und ab. Als wir wieder an ihnen vorbeikamen, sahen sie nach uns her, stampften mit den Füßen, nickten mit den gehörnten Köpfen, schwenkten ihre scharlachenen Leiber; sie schüttelten dem Flußteufel ein Bündel schwarzer Federn entgegen, ein räudiges Fell mit hängendem Schwanz, irgend etwas, das wie ein gedörrter Kürbis aussah; von Zeit zu Zeit brüllten sie alle zusammen unverständliche Worte, die nicht mehr menschlich klangen; und das tiefe Murmeln der Menge, das dann und wann abbrach, klang wie die Responsorien einer satanischen Litanei. Wir hatten Kurtz in das Ruderhaus getragen, weil es dort etwas luftiger war. Von dem Ruhelager aus starrte er durch den offenen Fensterladen hinaus. Es gab eine Wallung in der Masse menschlicher Leiber, und das Weib mit dem helmartigen Kopfputz und den lohfarbenen Wangen stürzte bis an die Uferkante vor. Sie streckte ihre Hände aus, schrie etwas, und die ganze wilde Menge nahm den Schrei brüllend auf, in einem knappen, schnellen, atemlosen Chor.

      ›Verstehen Sie das?‹ fragte ich.

СКАЧАТЬ