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aus, Ihnen zu erzählen, daß er auch mich eines Tages erschießen wollte. Aber ich verurteile ihn nicht.‹ – ›Was, erschießen!‹ rief ich, ›weshalb?‹ – ›Nun, ich besaß einen kleinen Posten Elfenbein, den mir der Häuptling des Dorfes nächst meinem Hause gegeben hatte. Ich pflegte für ihn Wild zu schießen, wissen Sie. Nun, Kurtz wollte es haben und ließ keine Widerrede gelten. Er erklärte mir, er würde mich erschießen, wenn ich ihm nicht das Elfenbein gäbe und mich dann aus dem Lande davonmachte, denn das könnte er tun und es machte ihm Spaß, und nichts auf Erden könnte ihn hindern, jeden nach seinem Belieben zu töten. Und das stimmte auch. Ich gab ihm das Elfenbein. Was lag mir daran! Aber ich verließ das Land nicht. Nein, nein. Ich konnte ihn nicht verlassen. Natürlich mußte ich vorsichtig sein, bis wir wieder eine Zeitlang freundschaftlich miteinander standen. Damals erkrankte er zum zweiten Male. Nachher mußte ich mich wieder aus dem Wege halten; aber es machte mir nichts aus. Er lebte die meiste Zeit in den Dörfern am See. Wenn er an den Strom herunterkam, dann kam er manchmal wieder zu mir, und manchmal war es für mich ratsamer, vorsichtig zu sein. Der Mann litt zu sehr. Er haßte dies alles hier und konnte sich doch nicht davon losreißen. Als sich mir einmal die Gelegenheit bot, bat ich ihn, doch den Versuch zum Weggehen zu machen, solange es noch Zeit sei. Ich bot ihm an, mit ihm zurückzugehen. Und er sagte ja und blieb dann doch; ging nochmals auf die Elfenbeinjagd, verschwand für Wochen, vergaß sich ganz unter diesen Leuten – vergaß sich – Sie verstehen.‹ – ›Nun, er ist verrückt‹, sagte ich. Er widersprach entrüstet. Herr Kurtz konnte nicht verrückt sein. Wenn ich ihn reden gehört hätte, erst vor zwei Tagen, dann würde ich eine solche Andeutung gar nicht wagen … Ich hatte mein Fernglas aufgenommen, während wir sprachen, sah nach dem Ufer und suchte die Waldgrenze zu beiden Seiten und hinter dem Hause ab. Es war mir ein unbehagliches Gefühl, zu wissen, daß Leute in dem Busch steckten, so schweigend und reglos wie die Ruinen des Hauses auf dem Hügel. Nichts im Gesicht der Landschaft sprach von dieser fabelhaften Geschichte, die mir ja nicht so sehr erzählt, als vielmehr in Ausrufen der Verzweiflung und abgerissenen Sätzen mitgeteilt wurde, dann und wann von einem Achselzucken oder einer Gebärde unterbrochen, die in einem tiefen Seufzer endete. Die Wälder standen unbewegt wie eine Maske, wuchtig wie das geschlossene Tor eines Gefängnisses, sahen mir entgegen mit dem Ausdruck verborgenen Wissens, geduldiger Erwartung, unverbrüchlichen Schweigens. Der Russe erzählte mir gerade, Herr Kurtz sei erst ganz kürzlich zum Strom heruntergekommen und habe alle die Krieger des Stammes am See mitgebracht. Er war mehrere Monate weg gewesen – um sich anbeten zu lassen, nehme ich an – und war unerwartet heruntergekommen, offenbar in der Absicht, einen Plünderzug entweder nach der anderen Seite des Stromes, oder stromabwärts zu unternehmen. Offenbar hatte der Hunger nach noch mehr Elfenbein sich stärker erwiesen als die – wie soll ich sagen – weniger materiellen Wünsche. Jedenfalls aber hatte sich sein Befinden sehr verschlechtert. ›Ich hörte, daß er hilflos im Bett liege, und nützte die Gelegenheit aus, hinaufzukommen‹, sagte der Russe. ›Oh, es geht ihm schlecht, sehr schlecht!‹ Ich richtete mein Glas auf das Haus. Auch dort waren keine Lebenszeichen zu sehen, aber das zerstörte Dach war da und die lange Lehmmauer, die über das Gras emporragte, mit drei kleinen Fensteröffnungen darin, von denen nicht zwei von der gleichen Größe waren; all das war mir zum Greifen nahegerückt. Und dann machte ich eine hastige Bewegung, und einer der übriggebliebenen Pfosten des verschwundenen Zaunes sprang in das Sehfeld meines Glases. Ihr erinnert euch ja, daß ich euch sagte, wie mich aus der Ferne gewisse Ansätze zu Verzierungen überrascht hatten, die, angesichts der sonstigen Verkommenheit des Ortes, auffallend genug wirkten. Nun konnte ich es plötzlich aus größter Nähe sehen, und die erste Folge war, daß ich wie unter einem Schlag den Kopf zurückwarf. Dann ging ich sorgfältig mit meinem Glas einen Pfosten nach dem anderen ab und sah meinen Irrtum ein. Diese runden Kugeln waren nicht Verzierungen, sondern Wahrzeichen. Sie waren ausdrucksvoll und überwältigend, erschreckend und ergreifend – Nahrung für allerlei Gedanken und auch für die Geier, wenn irgendwelche vom Himmel heruntergesehen hätten; jedenfalls aber für alle Ameisen, die sich die Mühe nehmen wollten, den Pfosten hinaufzuklettern. Sie wären sogar noch eindrucksvoller gewesen, diese Köpfe auf den Pfählen, hätten sie die Gesichter nicht dem Haus zugekehrt. Nur einer, der erste, den ich erkannt hatte, sah zu mir her. Ich war nicht so entsetzt wie ihr wohl denken werdet. Mein Zurückzucken war weiter nichts als eine Regung der Überraschung gewesen. Ich hatte erwartet, eine geschnitzte Holzkugel dort oben zu finden. Nun wandte ich mich überlegt dem ersten der Köpfe wieder zu – und da war er also, schwarz, vertrocknet, eingesunken, mit geschlossenen Augenlidern – ein Kopf, der auf der Spitze des Zaunpfahles zu schlafen und da die verschrumpften Lippen die weißen Zähne entblößten, auch zu lächeln schien, ein unaufhörliches Lächeln über einen endlos heiteren Traum, der den ewigen Schlummer durchzog.
Ich verrate keine Geschäftsgeheimnisse. Tatsächlich sagte der Direktor später, daß die Methoden des Herrn Kurtz den Distrikt ruiniert hätten. Sie bewiesen nur, daß es Herr Kurtz an Hemmungen bei der Befriedigung seiner verschiedenen Lüste fehlen ließ, daß ihm kurz und gut etwas abging, irgendeine Kleinigkeit, die im äußersten Notfall unter seinem wundervollen Redefluß nicht zu finden war. Ob er selbst sich des Mangels bewußt war, kann ich nicht sagen. Ich denke, das Bewußtsein kam ihm ganz zum Schluß – im letzten Augenblick. Die Wildnis aber hatte den Mangel schnell gemerkt und hatte an ihm für den verrückten Einbruch eine furchtbare Rache genommen. Ich denke mir, sie hat ihm Dinge über ihn selbst zugeflüstert, die er nicht wußte, Dinge, von denen er keinen Begriff hatte, bis er mit der großen Einsamkeit zu Rate gegangen war – und dieses Flüstern hatte sich als unwiderstehlich und bezaubernd erwiesen. Es fand lauten Widerhall in ihm, weil er innerlich hohl war … Ich setzte das Glas ab, und der Kopf, der nahe genug zu sein schien, daß ich hätte mit ihm reden können, schien im Augenblick in unerreichbare Fernen zurückzuschnellen.
Der Bewunderer des Herrn Kurtz schien ein wenig bestürzt. Mit hastiger, deutlicher Stimme begann er mir zu versichern, er habe es nicht gewagt, diese Symbole herunterzunehmen. Die Eingeborenen fürchtete er nicht. Die Häuptlinge kamen jeden Tag, um Herrn Kurtz zu sehen. Sie krochen vor ihm … ›Ich will nichts von dem Zeremoniell wissen, das für das Erscheinen vor Herrn Kurtz vorgeschrieben ist‹, brüllte ich. Merkwürdig genug überkam mich das Gefühl, daß solche Einzelheiten unerträglicher sein mußten, als der Anblick der Köpfe, die dort auf den Zaunpfosten unter Herrn Kurtz’ Fenster dörrten. Denn schließlich war dieser Anblick nur wild, während mich die kurze Andeutung mit einem Schlag in den lichtlosen Bereich letzter Schrecken versetzt zu haben schien, wo reine, unverworrene Wildheit eine wahre Erlösung bedeutete; denn sie war ja etwas, was ganz offenbar ein Recht darauf hatte, im Sonnenschein zu bestehen. Der junge Mann sah mich überrascht an. Ich nehme an, es kam ihm nicht zum Bewußtsein, daß mir jede Verehrung für Herrn Kurtz fernlag. Er vergaß, daß ich keines der wundervollen Selbstgespräche angehört hatte, über – was war es doch –, über Liebe, Gerechtigkeit, Lebensführung und was sonst noch alles. Wenn es darauf ankam, vor Herrn Kurtz auf dem Bauch zu kriechen, dann tat er das besser als der wildeste Wilde. Ich hätte keinen Begriff von den Lebensverhältnissen, sagte er: diese Köpfe seien die Köpfe von Rebellen. Ich empörte ihn aufs äußerste, indem ich lachte. Rebellen! Was würde ich wohl noch als nächste Erklärung zu hören bekommen? Es hatte Feinde gegeben, Verbrecher, Arbeiter – und diese waren Rebellen. Diese rebellischen Köpfe sahen mir auf ihren Pfählen recht unterwürfig aus. ›Sie wissen nicht, wie ein solches Leben einen Mann wie Kurtz angreift‹, rief Kurtz’ letzter Schüler. ›Nun, und Sie?‹ sagte ich. – ›Ich bin ein einfacher Mann. Ich habe keine großen Gedanken. Ich verlange nichts von irgend jemand. Wie können Sie mich vergleichen …?‹ Seine Gefühle waren zu stark für Worte, und plötzlich klappte er zusammen. ›Ich verstehe es nicht‹, stöhnte er. ›Ich habe mein Bestes getan, um ihn am Leben zu erhalten, und das genügt. Ich hatte kein Geschick dafür, ich habe keine besonderen Fähigkeiten. Seit Monaten gibt es hier keinen Tropfen Medizin und keinen Bissen Krankenkost mehr. Man hat ihn schamlos im Stich gelassen. Einen solchen Mann, mit solchen Gedanken. Schamlos! Schamlos! Ich – ich habe die letzten zehn Nächte nicht geschlafen…‹
Seine Stimme verlor sich in dem stillen Abend. Während wir sprachen, waren die langen Schatten des Waldes über den Himmel herabgeglitten, hatten sich weit über die verfallene Wohnstätte und über die Reihe der Zaunpfähle mit ihren Wahrzeichen erstreckt. Alles das lag
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