Название: Frankenstein
Автор: ÐœÑри Шелли
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Horror bei Null Papier
isbn: 9783954180233
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Als mein Bruder auf die Welt kam, sieben Jahre nach mir, gaben meine Eltern ihr Wanderleben ganz auf und siedelten sich in ihrer Heimat an. Wir besaßen ein Haus in Genf und eine Villa in Belrive,1 dem östlichen Ufer des Sees, etwas mehr als eine Meile von der Stadt entfernt. Wir wohnten meist in der Villa und führten ein sehr abgeschiedenes Leben. Ich liebte die Menschen in Mengen nicht, aber ich schloss mich gern an Einzelne an. Deshalb war ich gegen meine Schulkameraden ziemlich gleichgültig, fasste aber eine wahre Freundschaft zu einem von ihnen. Henry Clerval war der Sohn eines Genfer Kaufmannes, ein Knabe von hervorragenden Talenten und begabt mit einer glühenden Fantasie. Er war unternehmend, kühn und liebte die Gefahr um ihrer selbst willen. Er war sehr belesen, dichtete selbst Heldengesänge und begann Erzählungen von ritterlichen Abenteuern zu schreiben. Er verfasste für uns Tragödien und Maskenspiele, zu denen ihm das Ringen im Tal von Roncesvalles, die Tafelrunde des Königs Artus und die heldenhaften Kreuzfahrer, die ihr Blut dahingaben, um das heilige Grab den Händen der Ungläubigen zu entreißen, den Stoff gaben.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch eine glücklichere Jugend verbringen kann, als wie es mir beschieden war. Meine Eltern waren erfüllt vom Geiste wahrer Liebe und Güte. Wir empfanden, dass sie nicht die Tyrannen waren, die uns nach ihren Launen lenkten, sondern die Schöpfer all des Schönen und Guten, was wir genießen durften. Wenn ich mit anderen Familien zusammenkam, kam mir das besonders zum Bewusstsein und trug viel zur Befestigung meiner kindlichen Liebe bei.
Ich war zuweilen heftig und leidenschaftlich; aber meine Begierden richteten sich nicht auf Kindereien, sondern äußerten sich in einem ungeheuren Lerneifer, der sich aber auch wieder nicht unterschiedslos auf alles erstreckte. Ich gestehe, dass ich weder der Struktur der Sprachen, noch gesetzlichen Vorschriften, noch der Politik Geschmack abgewinnen konnte. Es waren die Geheimnisse des Himmels und der Erde, die ich erforschen wollte; und ob ich mich nun gerade mit der äußeren Form der Dinge oder mit den Naturgesetzen oder mit der menschlichen Seele beschäftigte, immer war meine Sehnsucht auf die metaphysischen oder im höchsten Sinne physischen Geheimnisse der Welt gerichtet.
Ich weile gern bei diesen Erinnerungen aus meiner Jugendzeit, weil damals das Unglück meinen Geist noch nicht getrübt hatte und die Visionen von Glanz und Berühmtheit noch nicht durch düstere Reflexionen über mich selbst gestört waren. Außerdem berichte ich, indem ich die Geschichte meiner Jugend erzähle, die Ereignisse, die unwiderstehlich, aber unmerkbar mich meinem späteren Schicksal entgegenführten; und wenn ich mir selbst Rechenschaft gebe, so erkenne ich, dass die Leidenschaft, die mich regierte, wie ein Gebirgsbach aus kleinen, verborgenen Quellen zusammensickerte. Aber dieser Bach wurde in seinem Weiterlauf zu dem verheerenden Strom, der all meine Hoffnungen, all meine Freuden begrub.
Naturphilosophie war der Genius, der mein Schicksal leitete. Ich muss deshalb in meiner Erzählung die Tatsachen erwähnen, die diese Vorliebe in mir weckten. Als ich dreizehn Jahre alt war, machten wir alle einen Ausflug zu den Bädern in der Nähe von Thomon. Die Ungunst der Witterung zwang uns, einen Tag in der Wirtsstube zu verbringen. In dem Hause hatte ich zufällig einen Band der Werke des Cornelius Agrippa gefunden. Ich öffnete ihn aus Langweile; plötzlich aber, als ich mich in seine Lehren vertiefte, verwandelte sich diese Gleichgültigkeit in flammenden Enthusiasmus. Ein neues Licht schien vor meinem Geiste zu erstehen; hüpfend vor Freude eilte ich zu meinem Vater und ließ ihn das Buch sehen. Er sah nur flüchtig nach dem Titelblatte und sagte: »Ach, Cornelius Agrippa! Mein lieber Viktor, vertue deine Zeit nicht mit solchen Dingen; es ist trostloser Schund.«
Wenn stattdessen mein Vater sich die Mühe genommen und mir gesagt hätte, dass die Studien des Agrippa schon längst veraltet und durch die moderne Wissenschaft überholt seien, die mit ganz anderen Mitteln arbeite als die frühere chimärische2 Halbwissenschaft, hätte ich wahrscheinlich den Agrippa in einen Winkel geworfen und mich wieder mit meiner angeregten Fantasie meinen normalen Studien zugewandt. Es ist gar nicht ausgeschlossen, dass meine Gedanken dann gar nicht die unglückselige Richtung genommen hätten, die zu meinem Untergange führen musste. Aber da mein Vater das Buch nur mit einem flüchtigen Blick gestreift hatte, ehe er es mir zurückgab, vermutete ich, dass ihm der Inhalt wohlbekannt sei, und vertiefte mich nun erst recht in diese Lektüre.
Als wir nach Hause zurückgekehrt waren, verschaffte ich mir sofort die sämtlichen Werke des Agrippa, danach die des Paracelsus und des Albertus Magnus. Ich las und studierte die wilden Fantasien dieser Schriftsteller mit Hochgenuss; es kam mir vor, als sammelte ich da Schätze, die außer mir nur wenige kannten. Ich habe Ihnen schon gesagt, mit welch heißem Bemühen ich in die Geheimnisse der Natur einzudringen versuchte. Trotz dieses Eifers und trotz aller herrlichen Entdeckungen der modernen Wissenschaft war ich von meinen Studien nie recht befriedigt gewesen. Hat doch auch Isaac Newton eingestanden, dass er sich vorkomme wie ein Kind, das am Strande des ewig unerforschlichen Ozeans der Wahrheit Kiesel aufliest. Und all die anderen Naturphilosophen, die ich nach und nach kennenlernte, erschienen mir wie Stümper, die sich dem gleichen nutzlosen Beginnen hingaben.
Der ungebildete Landmann sieht die Dinge an, die um ihn sind, und gebraucht sie; aber auch der gelehrteste Philosoph ist nicht viel weiter. Er hat ja zum Teil das Antlitz der Natur entschleiert, aber ihre feinsten Regungen sind ihm immer noch ein Geheimnis, ein Wunder. Er kann sezieren, zerschneiden, Nomenklaturen erdenken, aber die nächsten Ursachen bleiben ihm unerkannt, geschweige denn die ersten Ursprünge.
Aber hier waren Bücher und waren Männer, die tiefer eingedrungen waren und mehr wussten. Ich nahm alles СКАЧАТЬ