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      Es ging sehr nüchtern zu bei Horst Geßners Verhör. Aber gerade diese nüchternen Fragen, die Kommissar Thal stellte, forderten Horst Geßner zu ganz präzisen Überlegungen und Antworten heraus. Alles, was Monate wirr in seinem Kopf herumgespukt hatte, reihte sich nun aneinander.

      Kommissar Thal gelangte zu der Überzeugung, daß Horst Geßner der raffinierteste Lügner sein mußte, der ihm je begegnet war, wenn seine Darstellung nicht der Wahrheit entsprach.

      »Sie hätten uns sehr viel Mühe erspart, wenn Sie sich gleich gestellt hätten«, sagte er gedankenvoll. »Nun werden Sie wohl einige Zeit bei uns verbringen müssen, bis wir alles überprüft haben.«

      Charlotte Geßner fand keine Ruhe. Sie sah ihren Sohn hinter Gittern und fürchtete, daß seine Unschuld nie zu beweisen wäre.

      Sie ging in Irenes Wohnung, die sehr geschmackvoll eingerichtet war. Irene hatte als Modezeichnerin gut verdient, aber Dieter schien zu dieser Einrichtung manches beigetragen zu haben, denn es waren sehr wertvolle Möbel.

      Dieter war so ganz anders als Horst. Er verstand es, seine Vorteile zu nützen. Warum eigentlich hatten die beiden noch nicht geheiratet? Warum waren sie während der letzten Monate nie mehr bei ihr gewesen? Was war der Grund, daß auch Irene so verändert war?

      Charlotte Geßner öffnete mechanisch den Kleiderschrank. Viele Sachen schien Irene nicht mitgenommen zu haben. Warum war sie weggefahren, obgleich sie mit Emilias Kommen rechnen mußte?

      Immer wieder bewegten sie diese Fragen. Sie hatte Horst, der zwei Jahre jünger war als Irene, verhätschelt. Sie hatte ihn an sich binden wollen und gehofft, daß er immer bei ihr bleiben würde.

      Als er dann Emilia kennenlernte und sie merkte, daß sie ihn doch verlieren würde, wünschte sie sich eine andere Schwiegertochter. Eine aus bester Familie, sie wünschte, daß er im Gesellschaftsleben eine Rolle spielte. Welch falscher Ehrgeiz! Horst war dazu nicht geschaffen.

      Müdigkeit kroch durch ihre Glieder. Sie legte sich auf das breite Bett, aber das Unbehagen, das sie in dieser Wohnung fühlte, die doch ihrer Tochter gehörte, ließ sie nicht mehr los. Bei jedem Geräusch, das von der Straße heraufdrang, fuhr sie empor. Sie stand wieder auf und überzeugte sich, daß sie den Schlüssel von innen hatte steckenlassen. Sie drehte ihn noch einmal herum.

      Dann legte sie sich wieder hin und sank in einen unruhigen Schlaf.

      *

      Nach ein paar Stunden wachte Charlotte Geßner schweißgebadet auf. Schreckliche Träume hatten sie gequält. Sie wollte das Licht anknipsen, aber ihre Hand war so zittrig, daß sie ihre Ringe, die sie auf das Bettbord gelegt hatte, herunterstieß. Von dem Geräusch wurde sie vollends wach, fand den Schalter, und Licht erfüllte den Raum.

      Sie stand auf, um ihre Ringe zu suchen, aber sie mußten unter das Bett gerollt sein. Das Bett war sehr niedrig, und ohne ein Gerät konnte sie gar nicht darunter langen.

      Sie holte einen Besen, doch dieser stieß auf einen Widerstand. Sehen konnte sie nichts, so nahm sie die Lampe herunter und leuchtete unter das Bett. Weit in die Mitte geschoben, sah sie zwei flache Koffer. Davor lagen ihre Ringe. Mit dem Besen angelte sie diese hervor, blieb aber auf dem Boden knien und starrte die Koffer an.

      Sie versuchte, sie mit dem Besen vorzuziehen, schob sie aber eher weiter zur anderen Seite.

      Sie mahnte sich, daß es sie gar nichts anginge, und doch war ihre Neugierde geweckt.

      Was bedeuteten diese beiden Koffer? Warum hatte Irene sie so weit unter das Bett geschoben? In der Kammer war doch genügend Platz, und dort war alles säuberlich in Regale geordnet.

      Sie überlegte krampfhaft. Gehörten diese Koffer gar Horst? Hatte er sie versteckt? Ihr Herz begann angstvoll zu hämmern bei dem Gedanken, daß sie Geld enthalten könnten, das Geld, das gestohlen worden war.

      Nein, wie bisher konnte es nicht weitergehen. Sie mußte Horst sprechen, ihn nach diesen Koffern fragen, von denen etwas Unheimliches auszugehen schien.

      Das Telefon schrillte.

      Es klang gespenstisch. Charlotte Geßner starrte den Apparat an und nahm dann den Hörer ab.

      »Geßner«, meldete sie sich und vermeinte einen schnellen Atemzug zu hören. Dann war Stille und schließlich ein Klicken in der Leitung. Die Verbindung war unterbrochen. Ihr Blick fiel auf die Uhr. Es war sieben Uhr morgens. Eine Fehlverbindung, überlegte sie, oder wollte jemand wissen, wer in der Wohnung war?

      Schon eine halbe Stunde später, von Angst und widersprüchlichen Empfindungen bewegt, verließ sie die Wohnung, schloß sorgfältig ab und ging leise die Treppe hinunter.

      *

      In der Prof.-Kayser-Klinik hatte der neue Tag begonnen. Die Patientinnen waren schon beim Frühstücken. Emilia wunderte sich sehr, daß sie einen so guten Appetit hatte.

      »Na, das freut mich aber«, stellte Inge Büren fest. »Es tut mir leid, daß ich Sie morgen verlassen muß«, fuhr sie fort, »aber nun wird Ihre Schwiegermutter Ihnen wohl die Zeit vertreiben.«

      »Es ist jetzt alles gar nicht mehr so schlimm«, sagte Emilia.

      Die Kinder spielten jetzt die Hauptrolle, und alle anderen Sorgen waren in den Hintergrund getreten. Emilia hatte keine Ahnung, was sich an diesem Morgen schon tat.

      *

      Kommissar Thal hatte den Tag früh begonnen. Er hatte eine Fährte, und nun wollte er am Drücker bleiben. Aber damit, daß Frau Geßner schon um halb acht Uhr erscheinen würde, hatte er doch nicht gerechnet.

      »Ich muß meinen Sohn sprechen, Herr Kommissar«, sagte sie entschlossen.

      »Es ist gegen die Vorschrift«, erwiderte er.

      »Es ist aber ungeheuer wichtig.«

      »Können Sie es mir nicht sagen?«

      »Nein, das geht nicht. Nicht, bevor ich mit Horst gesprochen habe. Bitte«, sagte sie flehend.

      Er befand sich in einer Zwickmühle, überlegte aber doch, ob er nicht einen Schritt weiterkommen würde, wenn er dieses Gespräch zuließ. Schließlich gab es in einem Besucherzimmer eine Abhöranlage.

      Horst Geßner war zuerst einmal bestürzt, seine Mutter so früh zu sehen. »Mir geht es gut, Mutter, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«

      »Das will ich hoffen«, sagte sie mit einem aggressiven Unterton, »aber ich muß dich etwas fragen. Was ist mit den Koffern?«

      »Mit welchen Koffern?« fragte er.

      »Die unter Irenes Bett stehen.«

      »Ich weiß nichts von Koffern«, sagte er, aber seine Stimme klang erregt.

      Sie sah ihn forschend an. »Wirklich nicht, Horst? Meinst du nicht, daß es an der Zeit ist, alles zu sagen?«

      »Aber ich habe dem Kommissar gesagt, was ich weiß. Ich verstehe nicht, warum du dich wegen ein paar Koffern aufregst.«

      »Ich will Klarheit haben. Ich verstehe Irenes Verschwinden nicht. Warum ist sie nicht da und СКАЧАТЬ