Wenn man aufsteht, wird die Verbeugung tiefer. Heinz Florian Oertel
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СКАЧАТЬ noch einigermaßen über die Rampe. Gertrud warf mir dann Wörterrettungsringe zu. Ich konnte nicht einen einzigen fangen. Dafür gebar ich in der Lampenfiebernot wilde, wirre Satzerfindungen. »Frieden muss einkehren und erhalten bleiben, Widerstand war Heldentum, alle Welt muss nun zusammenstehen, Patrioten, seid gegrüßt …« Papperlapapp, Abtreterdeutsch. Wolfsche Restbestände, durchtränkt vom Angstschweiß eines Bühnenfasttoten …

      Das Publikum reagierte null Komma null. Weder Jubel noch Pfiffe, nicht mal ein Grummeln. Sie nahmen das hin, wohl weil sie dachten, alles, was der da erzählt, ist vom Dichter vorgegeben. Aber ich hatte, wie gesagt, nach drei, vier Sätzen die Spur verloren. Immerhin wusste ich, dass es um Krieg und Frieden ging. Da habe ich selber einen Text gemacht – ganz simple Worthülsen in der Art, dass wir alle nach dem Debakel des Krieges daran denken sollten, dass jetzt Frieden herrscht. Und Frieden soll sein. Ich habe mir was zusammengesponnen, ein paar Sätze gesprochen, irgendwann brach ich ab. Aus dem Chaos flüchtend, stürzte ich in die Bühnengasse und sofort auf die nächste Toilette. Ich wusste, das ist das Ende. Das muss es sein. Morgen kriege ich die Papiere. Doch nichts geschah. Hinter der Bühne hatte jeder mit sich zu tun. Auf der Bühne ohnehin. Aber wo blieben der Intendant oder einer seiner Beauftragten? Wo war Wolf? Der berühmte Dramatiker, der Prologverfasser, geschändet durch mich …

      Am nächsten Tag, nach einer schlaflosen Nacht, stellte sich heraus: Intendant, Dichter und der sowjetische Stadtkommandant, ein Freund der Künste und der Prozente, zechten bis zum Schlussbeifall. Doch nicht in der Intendantenloge, sondern im Büro. Wodka, Machorka und Speckbrote machten sie glücklich, während ich ums Überleben kämpfte. Nur eine Person bemerkte wirklich, was da geschah, Gertrud. Doch sie hielt dicht …

      Abschied vom Theater

      Solche Erlebnisse brachten mir schließlich die Gewissheit, dass hier nicht der richtige Platz für mich war. Hinzu kam noch meine Ungeduld. Ich wollte an größere Rollen ran, auch wenn ich die sicherlich noch gar nicht bewältigen konnte. Aber kennst du einen jungen Schauspieler, der sich nicht alles zutraut?

      Also ich litt, wie viele in dem Alter und Berufsstadium, an ausgeprägter Selbstüberschätzung. Das kollidiert natürlich mit der Chef- oder Leitungsmeinung. Und dann, ganz ehrlich, brauchte ich mehr Geld. Achtzig Mark im Monat reichten vorne und hinten nicht. Zwar stellte man mir nach vorsichtigem Fragen bald hundert Mark in Aussicht, doch ich lag Vater und Mutter auf der Tasche, wohnte und aß bei ihnen für Nullouvert. Das konnte so nicht weitergehen. Dazu gesellte sich die Flüsterpropaganda, als Lehrer erhält man zwischen dreihundert und vierhundert Mark, und das verhieß, was der Milchmann Tevje im »Fiedler auf dem Dach« singt: »Wenn ich einmal reich wär …«

      So geschah’s in Senftenberg. Wir spielten Klabunds »XYZ«. Gastspiele quer durch die Lausitz gehörten zu den Aufgaben, und oft galt als Abendgage sehr Naturelles. Mit »Flitterwochen« traten wir beispielsweise in Spreewaldorten an, und einmal kassierte ich einen Korb Pilze, mal ein Stück Butter, und in Burg, ich sehe den Dorfsaal noch vor mir, brachte uns mit dem Schlussapplaus eine hübsche Sorbin Gurkengläser auf die Bühne. Nun, im Senftenberger Nachtquartier, Gorki hätte es als ideale Bühnenbild-Vorlage empfunden, beschloss ich im Freundesgespräch, ich mache Schluss.

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      Als Neulehrer am Cottbusser Gymnasium, 1948

      … Lehrer

      Neue Aussichten

      Wieder war es einer dieser Zufälle, dass ich einen alten Schulfreund traf, und der erzählte mir, dass Lehrer gesucht würden. Du, da gibt es Geld zu verdienen, sagte er, man kriegt am Anfang schon zwei-, dreihundert und dann schnell vierhundert Mark. Da ich inzwischen in einem Alter war, in dem man mehr eigene Ansprüche stellt, dachte ich, das könnte gut passen. Ich habe mich gemeldet und kam an das Lehrerseminar nach Cottbus. Die dort saßen, hatten schon drei, vier Monate Unterricht gehabt, aber ich wurde aufgenommen und war in diesem Kreis einer der Eloquentesten. Auch der Dozent fand an meinem Sprechen und Können Gefallen, er unterstützte mich und sagte: Ja, ja, Sie bestehen in jedem Fall bei uns. Und er half mir auch, als ich eine Russischprüfung ablegen musste. Ich hatte nichts gelernt, war ganz faul, habe vom Nachbarn nicht abgeschrieben, sondern abgemalt, siebenundvierzig Fehler abgemalt, aber ich bestand. Auch in Russisch … Lehrer wurden gebraucht. Und da nahmen sie dann auch solche wie mich.

      Neuer Irrtum

      Eines wurde mir damals ganz schnell deutlich: Der flotte Spruch, Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei, klingt zwar gut, ist aber falsch. Schön wär’s gewesen. Fortbildungen, oft an den Wochenenden, und vor allem die schriftlichen Vorbereitungen, vom jeweiligen Mentor überprüft, kosteten viel Zeit …

      Von Pestalozzi wusste ich nur, nicht weit weg von unserer Sielower Straße im Cottbuser Norden gibt es eine Pestalozzistraße. Basedow sagte mir leider überhaupt nichts. Und GutsMuths, tja, der war mir wohl so fern wie der Thüringer Wald. Blieb Makarenko. Der galt als der Sowjetstern unter den Neu-Lehrmeistern aller Pädagogik, und obwohl wir auch von dem nur Titel und Dogma-Thesen eingetrichtert bekamen, sollten wir nach seinem Muster lehren, jungen Nachkriegsmenschen den »Weg ins Leben« weisen. Wir, die Neulehrer. Einer davon war ich, einundzwanzig Jahre alt.

      Viel zu tun

      Ich wurde Klassenlehrer, erst einer sechsten, dann einer siebten Klasse. Es war für die Schüler geradezu eine Erlösung, dass ein Jüngerer kam. Die Ältesten, die Abiturienten, waren fast so alt wie ich. Einige waren gerade erst aus der Kriegsgefangenschaft gekommen. Ich sagte zu ihnen: Wissen Sie, ich schlage vor, wir duzen uns, ich bin nur ganz gering älter, als Sie es sind, und ich will Ihnen vermitteln, was ich kann und weiß. Wer damit einverstanden ist – in Ordnung, und wer nicht, muss es hinnehmen oder macht sonst was. Es waren lockere Verhältnisse, und das hat mir gefallen und mir auch geholfen. Die althergebrachte Hierarchie existierte nicht mehr, neue Strukturen hatten sich noch nicht gefestigt, es war ja doch noch immer unmittelbare Nachkriegszeit. Die Kinder, die Schüler freuten sich immer schon, wenn ich kam, weil sie wussten, jetzt passiert etwas, jetzt wird nicht trockener Lehrstoff referiert. Im Sportunterricht konnte ich mit den Jungs voll mithalten. Ob beim Schulhof-Fußball oder Völkerball, wenn ich Grundbegriffe des Boxens vermittelte. Das schuf ein prima Verhältnis. Höhepunkte wurden Vergleiche mit anderen Schulen. Im Cottbuser Süden war mein Schulfreund Oskar Klose Sportlehrer, und Partien mit den Oskar-Schüler gegen Florians lagen nahe. Heiß und hoch ging’s her. Dauerhafte Revanchen boten sich an. Oft wichen wir dadurch Konferenzen oder Sitzungen und Versammlungen aus. Weil Oskar Klose bei Cottbus-Ost, dem Brandenburgischen Fußball-Landesmeister, Mittelstürmer spielte, genoss er spezielle Schüler-Sympathien …

      Das muss mal gesagt sein

      Jedem Lehrer gilt meine Hochachtung. Seit ich weiß, wie das ist, nach dem »Guten Morgen« Kindern, Schülern mehr zu bieten als trockenen Stoff, sie tagtäglich fürs Leben zu begeistern, schätze ich alle Pestalozzis und Basedows.

      Gelernt fürs leben

      Die Lehrer-Zeit blieb ein Zwischenspiel, aber es war eine gute Zeit. Nützlich in einigem und bis heute lehrreich. Schüler von damals, inzwischen auch schon alle jenseits der Fünfzig, schreiben noch heute Briefe aus Mainz und Leipzig, Rostock und München. Als aber die Sportaufgaben dazukamen, die Arbeit nach der Schule im Rundfunkstudio Cottbus, noch etwas später die Reportagefahrten durchs Lausitzland und die am Wochenende nach Berlin, ging es für mich fast drunter und drüber.

      Schulalltag

      Das war 1949. An einem Morgen unter tausend.

      Meine Mutter legt das kleine Stullenpäckchen auf den Wohnzimmertisch. »Los, Junge! Na mach schon! Wieder allerhöchste Zeit …«

      Donnerwetter СКАЧАТЬ