Название: Das große Jagen
Автор: Ludwig Ganghofer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066111465
isbn:
Heiter tätschelte Pfarrer Ludwig die Schulter des vor Schreck wie zu Stein gewordenen Mädchens: »Fein, Luisichen! Kindlich über alle Maßen! Den Vater ins Rattenloch bringen! So hat's dein heiliger Gott den Kindern befohlen! Viertes Gebot!«
Mit erwürgtem Aufschrei jagte Luisa zur Stubentür. Kaum hatte sie dem Tisch den Rücken gewandt, da riß Lewitter unter dem Schachbrett das hebräisch beschriebene Blatt und ein anderes hervor, das zwischen enger Schrift einen Holzschnitt zeigte – ein Blatt aus dem Nürnberger Sendschreiben des vor achtundvierzig Jahren aus Berchtesgaden ausgetriebenen evangelischen Bergmannes Josef Schaitberger. Hurtig quetschte Simeon die Blätter in zwei kleine Knäuel zusammen, die er verschlingen wollte.
»Halt, Bruderherz!« Pfarrer Ludwig riß ihm die Knäuel vom Munde weg. »Papier ist untauglich für einen Menschenmagen. Gib her! Ich hab ein gutkatholisches Versteck.« Während die große Warze tanzte, zerrte der Pfarrer die Bäffchen vom mageren Halse weg und ließ hinter ihnen die zwei Papierknäuel verschwinden. »So! Gleich mit dem ersten Ruck ist dein Spinoza und des Niklaus Schaitbergischer Sendbrief hinuntergerutscht bis in die Magengrub. Außerhalb der Gedärm ist's weniger ungesund.«
Zu diesen heiteren Flüsterworten klangen vom Stiegenflur die aufgeregten Fragen des Meisters, das Weinen der Magd, die Stimmen und das Schrittgetrampel der Soldaten Gottes.
Kapitel II
Der Feldwebel des Pflegeramtes, Nikodemus Muckenfüßl, war ein wohlgenährter, gutmütig dreinschauender Mensch, der seiner biersanften Natur die Unerbittlichkeit des Polizeitones immer gewaltsam abringen mußte. Als er, den dünn abgezogenen Schnurrbart um den Finger kräuselnd, mit Meister Niklaus und den drei boshaft umherspähenden Musketieren lärmvoll in die Stube trat, saß Pfarrer Ludwig mit Simeon Lewitter beim Schachspiel und sagte: »Ich weiß nit, warum das Schachbrett allweil wackelt? Es steht doch kerzengrad auf dem blanken Tisch!« Er hob das Brett in die Höhe und guckte drunter. Niklaus verstand diesen Wink und atmete erleichtert auf. Und während Luisa sich verstört an die getäfelte Stubenmauer preßte, fragte der Pfarrer sehr erstaunt: »Mein lieber Feldwebel? Seid Ihr so ein leidenschaftlicher Freund des Schachspiels, daß Ihr aus Ungeduld, ein gutes Spiel zu sehen, gleich die Haustür eines redlichen Mannes einschlagt?«
Nikodemus Muckenfüßl machte verdutzte Augen. Das Bild, das er in der Stube vorfand, schien seinen Erwartungen nicht zu entsprechen. Seine obrigkeitliche Geistesgegenwart versagte für einige Sekunden. Nun fand er die strenge Dienstmiene und sagte in dem Polizeideutsch, an das er sich in der Pflegerkanzlei gewöhnt hatte: »Vor Reverende prästiere ich in christschuldigem respecto. Aber Spaßettibus wider die von Gott instituierte Obrigkeit sind denen Subjekten nit permittiert. Ich inquirirre sub loco hujus in Amtibus.«
»Muckenfüßl,« staunte der Pfarrer, »Ihr redet beinah so gut Latein, wie der Kirchenvater Augustinus.«
»Silentium!« brüllte der Feldwebel gereizt. Der Scherz des Pfarrers bekehrte ihn nicht zu einer reinlicheren Sprache. In diesem Punkte gehorchte er nur seiner Frau, die zuhause, wenn ihr Nikodämerl so unverständlich kanzleielte, immer sagte: »Red deutsch, du Rindvieh!« In dem Schweigen, das sein Befehl erzeugt hatte, erklärte er würdevoll: »Es ist der wachsamen Obrigkeit ad aures arriviert, daß in loco hujus des in specie verdächtigen Nikolaus Zechmeister verbotene conventicula stattfindlich sind, mit abuso ketzerischer libellis und pamphletica. Ich bin von Amtibus ordiniert, die Namen der Präsenten ad notam zu rapportieren, in quasi eine Orts- und Leibesvisitationem legaliter fürzunehmen.«
Pfarrer Ludwig erhob sich. »So viel Arbeit? Weil wir drei einen Becher Würzwein schlucken und Schach spielen: Meister Niklaus unter seinem eigenen Dach, als Hausgäste der Leibmedikus Seiner Hochfürstlichen Gnaden und ich, von dem Ihr wissen solltet, daß ich ein gutkatholischer Priester bin?«
»Der Erzschelm Luther,« rief einer von den Soldaten Gottes, »ist ehnder auch einmal ein katholischer Klosterbruder gewesen.«
»Riebeißel,« gebot der Feldwebel, »du tust das Maul tenieren. Der Öberste, der kommandieret, bin ego ipsus.«
»Also?« fragte der Pfarrer. »Muß ich vorn aufknöpfen oder hinten die Hos herunterlassen?«
Muckenfüßl überhörte zartfühlend diesen derben Scherz. »Reverende steht sub geistlicher judicatura. Ich hab mich nur zu occupieren mit denen weltlichen Personibus.«
Da rief ein schwarzbärtiger Musketier, der keinen Blick von der Haustochter verwandt hatte: »Vor allem müßt man die Weibsleut visitieren. Die sind am flinksten mit dem Verstecken und haben die Plätz dazu, wo leicht zum suchen, aber hart zum finden ist.« Er streckte schon die Fäuste, um Luisa zu fassen.
Hatte sie bei der wachsamen Obrigkeit einen treubesorgten Schutzengel? Der Feldwebel befahl mit gedämpfter Strenge: »Lasset die frommgläubige Jungfer in Fried! Visitieret die Mannsleut!«
Luisa stammelte: »Ich bürg mit Seel und Leben für den Vater. Auch für die Sus.«
»Für uns zwei nit?« fragte der Pfarrer lachend und wandte sich zu Lewitter, von dem ein Musketier den Kittel herunterschälte. »Das müßt Ihr leiden, guter Simeon Lewitter! Jeden Kranken untersucht Ihr bis auf die Nieren. Da dürft Ihr nit klagen, wenn's vice-versa Euch selber einmal geschieht.« Er guckte zur Tür hinüber. »Luisichen! Jetzt wirst du aus der Stub gehen müssen. Sonst könnten deine frommen Augen einen unheiligen Anblick haben. Ein getaufter alter Jud ist als nackichter Adam auch nit schöner, als ein alter, katholisch geborener Christ. Und schau, Luisichen, du könntest uns zur Begütigung des Schrecks noch einen Becher Würzwein kochen? Oder gleich ein Dutzend! Die tapferen Soldaten Gottes sind wohl auch in der kalten Winternacht einem heißen Schluck nit abhold.«
Er brachte, während Luisa stumm aus der Stube ging, sein Pfeiflein wieder in Brand, ließ sich auf den Sessel nieder und begleitete die ernste Amtshandlung mit freundlichen Reden, die spöttisch unterfüttert waren.
Zwei Soldaten entkleideten und visitierten den Hausherrn und den fürstlichen Leibarzt. Der Musketier, der sich sehr mißtrauisch mit Simeon beschäftigte, fand auch in den Schuhen die eingelegten Filzsohlen, lüftete sie und stocherte mit dem Finger drunter.
»Ja, Mensch,« sagte der Pfarrer, »das mußt du genau nehmen! Wer weiß, ob unter dem Pantoffelfilz nit ein Eimerfäßl ketzerischen Seelenweines verborgen ist.«
Während der Visitation der beiden Männer schnüffelten Muckenfüßl und Riebeißl in der Stube nach verbotenen Schriften. Sie öffneten jeden Kasten und jede Truhe, rissen jede Schublade heraus und drehten das Unterste zu oberst. Auf den Knien rutschten sie über die Dielen, klopften die Bretter ab und fühlten nach verdächtigen Fugen. Der Pfarrer guckte ihnen lustig zu. Plötzlich scheuerte er heftig seine Nabelgegend und sagte lachend: »Feldwebel, Ihr müßt einen hungrigen Kanzleifloh mitgebracht haben! Der ist hergehupft auf mich, und jetzt beißt er mich in der Magengrub.«
Muckenfüßl brummte was Unverständliches und begann die braune Vertäfelung der Mauer nach Geheimfächern abzuklopfen. Die drei Männer – der eine im schwarzen Priesterkleid und die beiden anderen, die irdisch enthäutet in der Stube standen – sahen nicht nach der Mauerstelle hin, die der Feldwebel mit besonderer Sorgfalt abhämmerte. Aber während sie ruhig miteinander redeten, funkelte ein gespanntes Lauschen in ihren Augen, und alle drei tauschten einen frohen Blick, als СКАЧАТЬ