Название: Das große Jagen
Автор: Ludwig Ganghofer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066111465
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In der kleinen Stube begann es grau zu werden. Draußen flimmerte wohl die Sonne noch auf dem schwindenden Schnee, doch über den Fenstern lag schon der Schatten des vorspringenden Daches.
Mit beiden Händchen die steife Glocke ihres Dianenkleides zusammenpressend, schmiegte sich Aurore de Neuenstein durch die schmale Stubentür, den ovalen Rocktrichter flink voranschiebend. Das weinende Bübchen, als es diese seltsame Glocke mit den zwei weißen Spitzenschwengeln erscheinen sah, wurde stumm vor Schreck. Und während aus der Kammer das erwürgte Schluchzen des jungen Bauern zu hören war, trippelte die Neuenstein in der schaukelnden Kleidglocke dem Tisch entgegen, faßte mit den Fingerspitzen zu und hob einen Zipfel des Leilachs. Jähes Grauen rüttelte ihre feinen Schultern. »Mon dieu! Quelle chose affreuse!« Als hätte sie sich die behandschuhten Finger verbrannt, so hastig ließ sie den Leilachzipfel fallen, stieß einen zarten Schrei aus und bot den Anblick einer Dame, die in Ohnmacht zu fallen wünscht. »Eh bien, la voilà!« sagte Herr Anton Cajetan halb nachsichtig, halb ärgerlich. Er deutete auf die mit beiden Händchen Rudernde, die das Niederfallen auf den grauen Bretterboden noch verzögerte, und sagte zum Grafen Tige: »Remplissez donc votre devoir d'un bon camarade!« Der hübsche Junker mit den winzigen Bäffchen umschlang die pelzverbrämte Diana, wobei sie die Augen schloß und schlaffe Arme bekam.
Unter Mithilfe des Domizellaren von Stutzing, der im Türschacht die Kleidglocke ovalisieren mußte, beförderte Graf Tige das edle Fräulein auf seinen Armen aus der Stube, aus dem Haus und über das Gehöft zum Schlitten. Eine zornscharfe Mädchenstimme – jene gleiche Stimme, die im Stall der Unsichtbaren geschrien hatte: »Schauet mein junges Brüstl an, so haben die Soldaten Gottes mich zugerichtet!« – diese zornscharfe Mädchenstimme schrillte hinter einer nahen Hecke: »Leut! Das bablische Laster zappelt drieköpfig in der Sonn umeinander! Tät's ein Wunder sein, wenn der Ewige dreinschlagt mit Zeichen und Ruten!« Stutzing und Tige waren so fürsorglich um die in der frischen Luft sehr rasch erwachende Diana beschäftigt, daß sie anderer Dinge nicht zu achten vermochten. Sie überhörten die schrillende Mädchenstimme. Und als sie das zierliche Persönchen im Schlitten und die winzigen Füßchen im Fußsack hatten, schwang Graf Tige sich opferfreudig an die Seite der Neuenstein und befahl dem Kutscher: »Schnell! Nach Haus!«
Munter tingelten die Schlittenschellen, und die zwei guten Kameraden rutschten über den knirschenden Straßengrund. Noch ein bißchen zitternd vom überstandenen Grauen, klammerte Aurore de Neuenstein sich an ihren Ritter, schlug die unschuldsvollen Augen auf und lispelte: »Alles, Liebster! Alles – –« Nein! Deutsch konnte sie das nicht sagen. Sie mußte sich der Feinheit ihrer Bildung besinnen und hauchte dem Junker flehend ins Ohr: »Tout, mon ami! Tout ce que vouz voulez! Mais jamais un enfant!«
Der Domizellar von Stutzing kehrte in das Haus des Christl Haynacher zurück. Als er die Stube betrat, war schon wieder mit dem Leilach bedeckt, was auf dem Tische lag. Auch das Verhör der Hasenknopfin war beendet. Bleich, einen harten Zug um die farblosen Lippen, stand das Weib vor dem Kanzler. Während der Fürstpropst und Graf Saur in französischer Sprache diesen schwerbegreiflichen Irrtum der Natur erörterten, sah Herr von Grusdorf immer die Hasenknopfin an und sagte schließlich: »Man wird ihr befehlen, wann sie sich für weiteres Zeugnis vor der Obrigkeit zu präsentieren hat. Dann wird sie sich der Wahrheit besinnen. Wird auch wissen, wo ihr Mann sich befindet. Heute wird sie recte erfüllen, was ihres Amtes ist. Um rebellische Rumore und den Zulauf kuriöser Leute zu verhindern, wird sie die Haustür verschlossen halten bis zur Dunkelheit. Was tot auf dem Tische liegt, das bringt sie nach Anbruch der Nacht in notwendiger Heimlichkeit dort hin, wohin es gehört. Man wird das in der Finsternis bestatten. Über alles hat sie strengstes Stillschweigen zu observieren. Befehl der Obrigkeit: ein totgeborenes Kind, nicht weiß und nicht schwarz, ein Kind, wie Kinder zu sein pflegen. Weiteres ist ihr nicht bekannt. Für jedes böswillige Leutgerede ist sie haftbar. Versteht sie?« Er machte mit dem Stock eine Bewegung, als möchte er das Weib von sich fortschieben, und wandte sich gegen die Kammer, aus der kein Laut mehr zu hören war. Die Hasenknopfin tat mit entstelltem Gesicht einen schweren Atemzug, nahm das schlucksende Bübchen aus der Wiege und rettete sich mit ihm in den dämmerigen Ofenwinkel. Während sie das Kind an ihrem Herzen schaukelte, spuckte sie immer aus, als könnte sie die Lügen, die sie aus Angst geredet hatte, wieder fortspeien von ihrer Zunge.
Herr von Grusdorf hatte die Kammertür vor sich aufgeschoben. Im gleichen Augenblick machte er eine abwehrende Bewegung, wie in Sorge, daß sein gnädigster Herr ihm folgen könnte. Was er sehen mußte, war kein Anblick für fürstliche Augen. Die kleine Kammer war erfüllt von einem rötlichen Schein. Ihr Fensterchen lag gegen Westen, und die untergehende Sonne verwandelte den kleinen Lichtwinkel in ein glühendes Viereck. Das Ehebett des Christl Haynacher und seiner seliggewordenen Martle glich dem rotfleckigen und zerwühlten Schnee, in dem die hauenden Schweine mit den kirschfarbenen Seidenmaschen gelegen hatten. Nur lagen hier, in diesem Rotschimmer, zwei andere Dinge: der ruhige, schöne Tod und der besinnungslose Jammer, ein unbeweglicher und ein noch zuckender Rest zweier Menschen, in denen die Liebe war und mit der Liebe zugleich das Mißtrauen, der Zorn und die Glaubensfeindschaft. Lebendig war nur die Liebe noch. Was Feindschaft, Zorn und Mißtrauen gewesen, war erlegt von einem Schützen, der so sicher traf, daß man ihm Jagderfolge nicht aufzulügen brauchte, war zur Strecke gebracht ohne Hifthörner, ohne hechtgraue Jägergala, ohne französische Verse und galante Reimsprüche.
In dem engen Gängelchen neben dem Bett auf den Dielen kniend, lag Christl mit gestreckten Armen hingeworfen über den Schoß seines Weibes, lautlos, zitternd am ganzen Leibe, einem Menschen gleich, der durchschüttert wird von jähem Frostschauer. Mit den braunen, groben Händen machte er suchende Bewegungen, wie um sein Weib bei den Händen zu fassen, die ineinandergeklammert waren nach Art einer Betenden. Diese Hände lagen im Schatten von Christls Schulter und waren weiß. Das Gesicht, das wie Wachs geworden war, bekam von der Sonnenfarbe zur Hälfte ein leuchtendes Rosenrot, zur Hälfte einen violetten Schatten. Ein schmuckes Mädel und Weib war die Martle immer gewesen, aber in keiner Stunde ihres Lebens so schön, wie jetzt im Tode. Eine heilige Ruhe war ausgegossen über das schmale Schimmergesicht. Den stillen Mund, der keinen Zug des Leidens mehr erkennen ließ, umgab ein träumendes Lächeln. Und unter den vom Lichte in poliertes Gold verwandelten Flechten hatten die noch offenen Augen einen unbeweglichen, fast überirdischen Glanz.
Erschrocken, in wachsendem Staunen, betrachtete Herr von Grusdorf das tote Weib. Wo waren an dieser Abtrünnigen die Spuren ihres Seelenkampfes mit dem Teufel? Hatten die Gerüchte gelogen, die seit dem Herbste über die Haynacherin umherliefen? Hatte die Hasenknopfin die Wahrheit gesprochen, als sie sagte: daß die Martle unter den obrigkeitlich vorgeschriebenen Gebeten wie eine rechte Christin gestorben wäre? Wider Willen fühlte der Kanzler eine Regung des Erbarmens. Aus den früheren Jahren seiner Richterzeit war er gewöhnt an die Bilder der Folterstube. Was er in dieser Kammer sah, zerbrach ihm den Panzer der Gewohnheit und faßte ihn an einem Muskel seines Menschentums. Er legte die Hand auf die Schulter des zuckenden Bauern und sagte freundlich: »Ermanne er sich, Haynacher! Gott hat gegeben –« Da verstummte er in Zorn und Empörung. Er sah nicht den zerbrochenen Menschen, der sich mühsam aufzurichten versuchte; sah nicht diese irrenden Verzweiflungsaugen und dieses entstellte Gesicht. Er sah nur das abgegriffene Buch, das neben den Fäusten, mit denen Christl vom Bett sich aufstemmte, unter dem Kopfkissen der entseelten Haynacherin hervorglitt. Gleich erkannte er's. Von diesem Buche hatte er an die zwanzig konfiszierte Exemplare in seinem Aktenschrank. Wie ein Falk den Vogel faßt, so griff er über den Kopf des Bauern hinüber, packte das Paradiesgärtl des Johann Arndt und rief entsetzt: »Das crimen ist notifiziert.«
Christl, wie jäh belebt, war an der Mauer in die Höhe gefahren, tappte mit den Händen und schrie: »Das Büchl tust du ihr lassen, du! Das Büchl ist ihre Seligkeit gewesen und ihr heiliger Tod!«
Der Kanzler war schon bei der Tür und kreischte in СКАЧАТЬ