Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
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Gewöhnlich erschien der Oberherr schon vor Beginn der schönen Jahreszeit in seinem Schlosse, um sowohl erforderliche Anordnungen für die landwirtschaftlichen Arbeiten zu treffen, als auch sich nebenbei noch an der Schnepfenjagd zu erfreuen. So war es auch im Jahre 1653, aber über alles Erwarten früh, schon im rauhen Februar, geschehen. Die Landleute, denen bei der winterlichen Einsamkeit in ihren noch verschneiten Hütten das Unbedeutendste zum unerschöpflichen Stoff der Unterhaltung wurde, wunderten sich allerdings, ihren Oberherrn früher als die Störche, mit Petri Stuhlfeier Einzug halten zu sehen. Die Gescheiteren schüttelten bedenklich den Kopf und gaben zu verstehen, daß ihn bloßer Schnepfendreck, wie sie sagten, nicht so vorzeitig von den Spieltischen der Vettern und Basen zu Bern weggelockt haben möge; dahinter liege eine Katze versteckt. Man hatte schon manche sonderbare Gerüchte vernommen, und das Betragen des Oberherrn schien gewisse Mutmaßungen eher zu bekräftigen, als zu widerlegen. Er zeigte sich nämlich gegen die Bauern, wiewohl er immer ein wohlwollender und gerechter Herr gewesen war, weit leutseliger und freundlicher als in früheren Jahren; nannte jeden beim Namen; fragte den einen um sein Wohlbefinden, den andern nach Weib und Kindern; lobte ihr gehorsames Betragen gegen die Obrigkeit und pries daneben die Vortrefflichkeit der väterlichen Regierung von Bern. Im Schlosse selbst war er einsilbiger, nachdenklicher, verschlossener als sonst; schrieb viele Briefe, oft in der Nacht; und man sah Boten zu ihm kommen, die niemand kannte, und andere, die er eiligst abschickte. Man wußte, freilich durch unzusammenhängende Gerüchte, daß es in einigen Gegenden der Schweiz unruhig, daß Entlebuch im Aufstand, die Stadt Luzern sogar von den wilden Bauern berannt sei. Hiermit setzte man die geheimnisvolle Thätigkeit des Oberherrn in Verbindung. Man hätte gern mehr erfahren. Er jedoch äußerte gegen seine ihm unterthänigen Leute und selbst gegen die vertrautesten Diener nichts von allem, was er vernehmen mochte. Als Staatsmann wußte er wohl, der Blinde sei zum eigenen Belieben besser zu führen, als der Sehende.
2.
Der Meistersänger.
Zu der Zeit, welche man heutigen Tages die gute, alte Zeit nennt, las man in den Dörfern weder Zeitungen, noch erleichterten zahllose Kunststraßen und wohlunterhaltene Verbindungswege den Verkehr zwischen Städten, Dörfern und abgelegenen Thälern. Die Leute im Ruederthal mußten sich also an verworrenen Gerüchten, wie sie ihnen der Zufall brachte, und welche mehr Neugier weckten, als stillten, über das genügen lassen, was im Schweizerlande vorging.
An einem Märztage stand, weil der Oberherr abwesend war, des Abends das Gesinde des Schlosses, selbst der Verwalter, müßig auf dem Platz vor der Pforte und besprach die altgewordenen Neuigkeiten von Aufruhr, Schlachten und Hinrichtungen. Man war darin ziemlich einig, daß die Regierungen durch das Verbot der fremden Scheidemünze und durch Herabsetzung der einheimischen Batzen auf die Hälfte des bisherigen Wertes den Unfrieden selber gestiftet hätten.
Das Gespräch wurde durch das plötzliche Erscheinen eines Mannes beendet, der mit hastigen Schritten daher eilte und ohne Zweifel wichtige Geschäfte beim Oberherrn auszurichten hatte. Da man von ihm etwas zu erfahren hoffen konnte, so bewegte sich jeder vom Platze ihm unwillkürlich, doch langsamen Schrittes entgegen, um die Neugier nicht zu sehr bloß zu stellen. Der kleine, runde, freundliche Mann, der jährlich einige male ins Schloß zu kommen pflegte und bei der Herrschaft nicht übel angeschrieben stand, war ihnen allen gar wohl bekannt. Es war nämlich der Meistersänger und Spielmann Heinrich Wirri von Aarau. Er zog den breitkrempigen, hochgespitzten Rundhut gar höflich vom Krauskopf, grüßte den Verwalter, nickte den Knechten links und rechts und erkundigte sich nach dem Oberherrn.
»Er ist hinaus, um sich ein wenig zu ergehen, nachdem er den ganzen Tag geschrieben,« sagte der Verwalter; »doch lange bleibt er selten aus. Beliebt's, Meister Wirri, so tretet indessen ins Schloß; Ihr werdet nicht verschmähen, Euch mit einem Abendtrünklein zu erfrischen, zieht Ihr's aber hier am Tischchen unterm blauen Himmel vor, so soll auch hier für Euch gesorgt werden.«
Der Meistersinger verbeugte sich mit dankbarer Freundlichkeit, warf den kurzen, schwarzen Mantel über die Schulter zurück und ließ sich auf der hölzernen Bank im Hofe nieder, wodurch er zu verstehen gab, der Trunk im Freien werde ihm besser zusagen. Bei der ansehnlichen Fülle seiner Leibesglieder hatte ihn das Ersteigen des Schloßberges und der lauwarme Hauch des Föhnwindes im Übermaß in Schweiß gebracht. Während er, Stirn und Wangen trocknend, die Rückkehr des gastfreien Verwalters erwartete, reihten sich Knechte und Bauernknaben in einem Halbkreise um ihn, und betrachteten das gelbe Wamms, die grauen Hosen und roten Strümpfe stumm, doch mit einer Aufmerksamkeit, als könnten sie schon daraus den gegenwärtigen Stand der Welthändel erraten. Der Verwalter kam endlich; ihm folgte ein Knecht mit gefüllter Weinflasche nebst Brot und Emmenthaler Käse auf glänzenden Zinntellern.
Der Meistersänger verneigte sich abermals und nahm von dem Brote, während der Verwalter das dunkelgrüne Trinkglas füllte. Den Emmenthaler jedoch schob der Meister höflich zurück und sagte zum Verwalter: »Käse ist am Morgen Gold, am Mittag Silber, am Abend Blei. Ich kenne die Regel und erstatte unterthänigen Dank. Nun aber vor allen Dingen beliebet mir von Euerm werten Wohlbefinden Nachricht zu geben, Herr Freund, und wie es bei Euch hier zu Lande steht und geht.«
»Die Frage sollte ich vielmehr an Euch richten,« antwortete der Verwalter mit sauersüßem, einem Lächeln ähnlichen Verziehen seiner derben Gesichtszüge, indem er sich neben den Gast auf die Bank setzte, die langen Beine ausstreckte und mit vorgebogenem Leibe die Hände auf die Kniee stemmte; »denn wir – Gott sei Dank – leben hierorts gar wohl und friedlich. Aber es will verlauten, es sei nicht gleichermaßen überall, Meister Wirri, man spricht von Lärmen in Entlebuch und dergleichen.«
»Allerdings, allerdings!« erwiderte der Meister. »Ich möchte kein Hemd in dieser Wäsche haben. Der Teufel hat sein Ei mitten im Winter ausgebrütet, und nun ist das ganze Luzernergebiet in hellem Aufruhr gegen die Obrigkeit; das Emmenthal steckt auch das Banner der Rebellion auf und hier im Aargau stinkt's nicht minder nach Brand. Ich traue den Bauern nicht mehr über den Weg. Sobald sie sich tief bücken, haben sie den Teufel im Rücken. Wenn man hier fegen wollte, würde man auch finden, was hinterm Ofen liegt!«
»Ei, ei,« rief der Verwalter, »wir leben hierorts, glaubt mir, wie die unwissenden Heiden; kein Wort ist uns von allen Vorfällen bekannt. Hat's wirklich blutige Köpfe gegeben?«
»Mehr als zum Heilwerden gut sind, Herr Freund,« antwortete der Spielmann von Aarau. »Ich wollte Euch nicht geraten haben, dort auf dem Roß des Landvogts zu reiten, oder in den Schuhen des Schuldenboten zu wandern, wenn Ihr nicht Lust hättet, früher an der Himmelspforte zu stehen, als man sonst mit Roß und Schuhen dahin gelangt. Alle Dörfer sind befestigt, Wege und Stege besetzt, alle Reisenden festgehalten, alle Briefe erbrochen. Niemand weiß mehr, wer Koch oder Kellner ist. Seit die Emmenthaler den Gehorsam aufgekündigt haben, wette ich für unser gesamtes Bernergebiet keine hohle Nuß mehr.«
»Also auch die Emmenthaler? Wer hätte das von Leuten gedacht, die sonst so gehorsam waren!« seufzte der Verwalter.
»Es ist keine Katze so glatt, sie hat ihre Krallen,« versetzte der Erzähler. »Der Rat von Bern z. B. schickte den Herrn Venner Frisching von Trachselwald, das Volk zu Treu und Frieden zu ermahnen. Die Bauern stellen sich ihm gegenüber gar unterwürfig und freundlich. Aber der Fuchs grüßt nur den Zaun, wenn er in den Garten will. Indessen die Emmenthaler dem Herrn Venner Bücklinge machten mit der Nase bis auf die Erde, beschwören sie in derselben Stunde zu Hutwyl einen Bund gegen meine gnädigen Herren von Bern, Leib und Leben daran zu setzen, um ihre alten Freiheiten, wie sie es nennen, wieder zu bekommen. Da habt Ihr's. Das Luzerner Volk СКАЧАТЬ