Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
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Nach einer kurzen Weile ging die Thür auf. Felix, ein junger Bursche, trat atemlos in's Zimmer. Man umringte ihn.
»Heda, lustig, Bürschchen!« schrie Gideon. »Hat Dir der Schrecken die Pluderhosen zu weit und die Gurgel zu enge gemacht? Warte nur, bis uns die blauen Bohnen um's Ohr pfeifen, da soll's spanische Bäuche geben und mehr Dysenterie, als im nassen Schlackerwetter der Herbsttage.«
»Es scheint, Hauptmann,« versetzte Addrich's Knecht, »Du hast die Probe schon an Dir gemacht, und bist bei den gelben Webern gewesen. Wir in den Bergen hier sind noch lange nicht Klupfi's Söhne. Steige den Berg hinauf zur Bampf, da siehst Du den Aargau und wie dort das Volk lebendig ist.«
»Welche Berichte bringst Du, Felix?« sagte Addrich.
»Meister, es wird gestürmt,« antwortete der Knecht. »Zuerst hörte ich's aus der Ferne rechts von Brugg her, dann gegen Lenzburg hin. Bald aber erschollen, links aus der Tiefe, die Glocken von Kulm und Gränichen her, oder rechts in der Nähe von Seon und Birrwyl; bald schweigen alle, bald nur einzelne, oder alle heulen durcheinander. Es ist ein Fest, das! Das Schnurren und Rollen und Trommeln läßt sich deutlich dazwischen vernehmen, wie auch einzelnes Rufen und Geschrei, als wäre aller Orten und Enden Feuer ausgebrochen.«
»Sieht man Bewegungen in den Thälern?« fragte Leuenberg.
»Nichts,« antwortete Felix. »Leute, die auf dem Felde sind, laufen quer über die Äcker den nächsten Weg zum Dorfe. Auf den Landstraßen rennt, wie eine verirrte Ameise, hier und dort ein Reiter; vermutlich sind's Müllerknechte, die Staffeten bringen.«
»Es ist Zeit für uns. Fort; fort!« rief der Untervogt von Buchsiten. »Daß wir mit heiler Haut zu den Unsern gelangen, und nicht dem Feinde in die Hände fallen.«
»Bevor Ihr den Weg antretet, Ihr Herren,« sagte Addrich, »setzet Euch mit mir zum Morgenessen. Ihr seid hier so sicher, wie in der Kirche. Die Wege sind weit, auch empfanget Ihr indessen wohl nähere Kunde über das, was vorgeht.«
»Nichts übereilt, Freunde, Addrich hat wahr gesprochen,« setzte Leuenberg hinzu. »Wir haben vielerlei Beratungen und Abrede vonnöten, und müssen ja heute nicht ins Zurzacher Schiff. Also folgen wir unserm freigebigen Wirte, wohin er uns führen will.«
Sie gingen. Die Mägde richteten das Mahl an, welches sich im Gespräche über die Dinge, die da kommen sollten, und beim Weine, der alle begeisterte, weit über die Zeit hinausdehnte, die selbst der vorsichtige Leuenberg dazu bestimmt hatte. Noch saßen sie da, lärmend durch einander scherzend, nur allein Addrich nicht, der nach seiner Gewohnheit düster blieb und schwieg, als eine der Mägde ihm sagte, daß Epiphania draußen stehe und ihn zu sprechen verlange. Wie die Gäste es hörten, rief der Untervogt von Buchsiten: »Laß Deine Nichte zu uns eintreten, Addrich. Warum verheimlichst Du sie vor unsern Augen? Wir haben die Sache wahr gefunden, die im Volke von Deinem Hause geht; Dich bedienen die zierlichsten Dirnen des Aargaues. Deine Tochter und Nichte jedoch sollen die Schönsten des Landes sein.«
»Auch läßt sich's denken,« stimmte ihm Leuenberg bei. »Dein Hauptmann Gideon Renold hat lange umhergekostet im deutschen, ungarischen und schwedischen Lande, und zuletzt hat ihn doch ein Schweizermädchen gefangen, den tapfern Helden. Mache ihn keiner eifersüchtig, rate ich Euch!«
Auf Addrichs Gebot trat Epiphania herein. Errötend und mit jungfräulicher Schüchternheit verneigte sie sich grüßend gegen die Männer, doch mit einer Art Hoheit, die man von ländlichen Schönen nicht zu erwarten pflegt. Die Fremden verstummten und erhoben sich mit unwillkürlicher Ehrerbietung von den Strohsesseln. Gideon bemerkte die Überraschung seiner Freunde in heimlichem Triumphe und grüßte Epiphania mit vertraulichem Lächeln über den Tisch hin. Sie aber, seiner nicht achtend, ging vorüber. Ihre Seele schien eines andern Gegenstandes voll. Ein Geheimnis, welches der erzwungene Ernst ihrer Mienen verbergen wollte, verkündete sich aus dem Entzücken, welches von ihren Augen widerglänzte und diesen Ernst milderte.
Sie beugte sich zu Addrichs Ohr und flüsterte leise: »Nur ein Wörtchen laß Dir allein sagen, Oheim. Deinem Hause ist an meinem Geburtstage Heil widerfahren!«
Addrich begab sich mit ihr auf die Seite.
»Berichte zuvor, wer wartet meine Kranke ab? Wie ist Leonorens Befinden?« fragte er.
»Freue Dich Addrich!« antwortete sie. »Deine Tochter lenkt zum Wege der Genesung ein. Sie wird wieder aufblühen. O geh und sieh' sie! Vom langen Schlafe findest Du sie erwacht, heiterer, stärker, als ich sie je gesehen. Ihre blassen Wangen haben wieder erröten, ihre Lippen wieder lächeln gelernt. Sie selber hat für die ausgetrocknete Lampe frisches Öl gefordert und Speise und Trank begehrt.«
»Eile zu ihr zurück,« erwiderte Addrich, ohne die Düsterkeit aus Gemüt und Antlitz zu verlieren, die da einheimisch geworden war. »Sobald die Fremden das Haus verlassen haben, komme ich zu ihr. Der Engel, welcher schon so lange über den Wolken war, senkt sich noch einmal zur Erde, um mir altem, verwaistem Manne Lebewohl zu sagen. Er will nicht bei uns verweilen, glaube mir. Meine Hoffnungen sind zerrissen und das Spinngewebe Deines Trostes stellt die Zerstörung nicht wieder her.«
»Fasse Mut, Oheim! Ich könnte Dir mehr sagen. Ich selbst würde vielleicht ungläubiger sein, als Du, wenn nicht ganz ungewöhnliche Dinge zu gleicher Zeit geschähen, die einander zu Hilfe kommen wollen, um ihre Glaubwürdigkeit gegenseitig zu beteuern.«
»Zum Beispiel, Faneli?«
»Du wirst nach Deiner Gewohnheit spotten, doch frage Änneli, frage Ruedi, den Jägerknecht. Es ist eine fremde Stimme in Deinem Hause; sie ist an meinem Kämmerlein ertönt; wir haben sie alle gehört.«
»Eine Stimme, wunderliches Mädchen? Wessen Stimme?«
»Wer kanns sagen? Wir haben sie aber alle vernommen. Die Wände plaudern nicht und die Luft ist stumm. Es war die Stimme eines Menschen, die wir hörten. Sie klang zart, wie der Ton eines sehr jungen Kindes, und doch mit einer Stärke, die uns erschreckte. Ich meine, aber spotte ja nicht, es sei der Laut eines Waldgeistes gewesen.«
Sie sagte die letzten Worte fast unhörbar leise und schüchtern, indem sie dabei ernst und furchtsam zu Addrich aufsah. Dieser schien das Gespräch abbrechen zu wollen; sein faltenreiches Gesicht zog sich dann gewöhnlich zu einem Lächeln, welches aber, vielleicht wider seinen Willen, bei ihm jedesmal eine hämische Natur annahm.
»O, dachte ich es doch, Addrich!« rief sie hastig. »Du verhöhnst mich . . . aber verhöhne die Überirdischen nicht, fürchte ihren Zorn! Weißt Du noch, wie ich sie in der Aschermittwoch-Nacht erblickt habe, als ich bei Leonoren wachte und der frischen Luft wegen das Fenster öffnen mußte? Ich sah sie damals im Mondscheine deutlich am Waldsaume auf der Wiese beim Ahorn wandeln. Doch tanzten sie nicht wie Zwerglein sonst wohl pflegen, sondern sie gingen in ihren langen Mänteln, wie wenn sie etwas suchten, still umher und dann einzeln und traurig in den Wald zurück. Das bedeutet ein Jahr des Unheils, sagte ich Dir damals. Ist es nun mit Krieg und Unruhen nicht schon eingetroffen?«
»Gut, gut, Faneli! Und was erzählte Dir die Stimme Deines Schräteli?«
»Wir verstanden insgesamt deutlich die Worte: Je höher die Not, desto näher ist Gott! . . . Nun denke, als ich darauf in Leonorens Gemach trat, sah ich sie erwacht, zum ersten Male mich anlächeln, mir ihre Hand entgegenstrecken und von ihren Wangen das erste blasse Rot der Genesung schimmern, wie das Frühlicht des wiederkehrenden Morgens. Sie sagte: Wie ist mir doch so himmlisch wohl. Da rief ich: Die СКАЧАТЬ