Название: Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman
Автор: Kathrin Singer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Heimatkinder Staffel
isbn: 9783740918057
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»Beurlaubst du Tobias bis – sagen wir – heute Abend acht Uhr?«, fragte Ulrich kühl.
Olaf Neumann nickte. »Ich will dich nicht daran hindern, Tobias Fräulein Lühr vorzuführen.«
»Danke.« Ulrich atmete erleichtert auf.
Der Heimleiter verließ das Büro, um den Jungen zu holen. Wenig später stürzte Tobias seinem großen Freund und zukünftigen Vater in die Arme. »Endlich, Ulrich! Gut, dass du da bist! Du, die Marmeladengläser haben mir die anderen Jungs geklaut und leergefuttert!«
»Macht nichts, Tobias, macht gar nichts!« Ulrich drückte das Kind zärtlich an sich. »Ich habe noch mehr davon, so viel du willst! Wir beide machen jetzt einen kleinen Ausflug.«
»Heute Abend noch?«
»Auf der Stelle! Ich habe eine Riesenüberraschung für dich, du wirst staunen.«
»Fahren wir zu meiner neuen Mami?«
»Tobias, du bist ein Hellseher!« Überschwänglich knuffte Ulrich die Schultern des Jungen. »Auf geht’s!«
*
Bettina war noch ganz erfüllt von dem zauberhaften Wochenende mit seinen schicksalhaften Überraschungen und Wendungen. Wie ein Sturmwind, wie ein Orkan der Gefühle war die Liebe über sie hereingebrochen. Und der Heiratsantrag – ein Blitz aus heiterem Himmel hätte sie nicht überraschender treffen können.
»Sag mal, Opa, habe ich die letzten zwei Tage vielleicht nur geträumt?«, fragte sie spontan, als ihr Großvater ihr über den Weg lief.
Der pensionierte Forstmeister lächelte verschmitzt. »Schau mal in den Spiegel, Deern, dann weißt du Bescheid.«
Sie eilte hinaus, beschwingt, summend und trällernd wie ein ganz junges, zum ersten Mal verliebtes Mädchen.
Über dem Wald lag bereits eine goldene, warme Abendstimmung. Die kleinen Lieder der Vögel klangen nach erfülltem Tagwerk und Feierabendfrieden. Bettina liebte diese Stunde besonders.
Bettina begann im Gemüsegarten Unkraut zu jäten, doch sie kam mit der Arbeit nicht voran. Immer wieder blickte sie versonnen und verträumt ins Leere.
Da – ein Motorengeräusch. Bettina entdeckte ein Auto auf dem Weg. »Ulrich!« Sie jubelte so laut auf, dass die Vögel für einen Moment schwiegen.
»Ulrich!« Er hatte es vor Sehnsucht nicht mehr ausgehalten. Wie schön! Sie stolperte durch den Garten. Ihr Gesicht leuchtete verklärt. Der Rock ihres himmelblauen Kleides wehte um ihre wirbelnden braunen Beine.
Bettina wollte dem geliebten Mann um den Hals fallen, doch dann stockte sie verwundert. Denn sie bemerkte, dass ein blonder Junge aus dem großen Wagen kletterte.
Ulrichs Sohn, hämmerten ihre Gedanken. Ist er bereits einmal verheiratet gewesen? Geschieden? Verwitwet? Ich weiß so wenig von ihm, so wenig …
Der sonst so selbstsichere und siegesgewohnte Ulrich Warner wirkte in diesem Moment angespannt und ein wenig verlegen.
»Guten Abend, Betti.« Er schob den Jungen vor sich her. »Darf ich dich mit meinem Freund Tobias bekannt machen? Wir kennen uns schon seit längerem, genau gesagt, seit Tobias einmal aus dem Kinderheim ausbüxte und sich bei mir im Stall versteckte. Tja, Tobias, und das ist Bettina. Ich hoffe, sie entspricht deinen Erwartungen.« Er blickte auf und lächelte Bettina hinreißend in die Augen. »Ich musste ihm nämlich während der Fahrt ununterbrochen von dir erzählen und dich von vorn und hinten beschreiben.«
»Sie ist ja noch viel, viel hübscher«, bekannte Tobias atemlos.
Bettina löste sich aus ihrer Verblüffung und ging vor dem Kind in die Hocke. »Ich ahnte gar nicht, dass Ulrich so einen netten Freund hat! Aus dem Heim kommst du, Tobias? Hast du etwa keine Eltern mehr?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich hab bloß Ulrich.«
Spontan streichelte sie das Gesicht des Kindes. »Dann bist du nicht verlassen, Tobias! Nett, dass du mich besuchen kommst. Ich glaube, ich habe sogar noch einen Rest Apfelkuchen in der Küche.«
»Ist der Opa auch in der Küche?«, erkundigte sich Tobias, vor Neugierde fast berstend. »Und darum muss ich auch Prinz guten Tag sagen! Wenn ich größer bin, darf ich ihn nämlich pflegen und jeden Tag ausreiten, hat Ulrich versprochen. Vielleicht werde ich sogar Pferdepfleger, das ist doch ein schöner Beruf, nicht?«
»Das ist der netteste Berufswunsch, den ich je von einem Jungen gehört habe.«
Tobias sah in die Runde. »Mann, ist das hier schön! So schön kann man gar nicht träumen.«
»Ich möchte auch mit keinem Menschen auf der Welt tauschen.«
»Und die Tiere kommen bis in den Garten, nicht? Besonders im Winter.«
Bettina umfasste die Schultern des Kindes und wies in die Höhe. »Dort oben auf der Fichte …«
»Ich sehe nichts.«
»Der braune Fleck, der wie ein dicker Ast aussieht.«
»Ah ja.«
»Das ist mein Freund, der Waldkauz.«
»Ein Totenvogel!«, flüsterte Tobias erschrocken. »Eulen bringen Unglück! Wenn sie schreien, muss einer sterben.«
Bettina lachte unfroh. »So ein Unsinn! Weißt du, Tobias, das Unglück kann niemals von den Tieren kommen. Niemals! Alles Böse stammt aus dem Geist der Menschen, aus den üblen Gedanken. Lass dir also nie böswillige Geschichten über Tiere auftischen. Tiere sind gut.«
In diesem Moment trat der alte Forstmeister aus dem Haus.
»Hallo, wen haben wir denn da?«, begrüßte er den Jungen gutmütig polternd. »Einen richtigen kleinen Lauser, wie? Mir scheint, über Familienzuwachs brauche ich mich nicht zu beklagen?«
»Das ist Tobias, Ulrichs Freund aus dem Waisenhaus«, erklärte Bettina rasch. »Dich brauche ich nicht vorzustellen, Opa, denn über dich ist Tobias bereits hinreichend informiert, wie mir scheint.«
Der Achtjährige reichte dem alten Mann artig die Hand. »Sie waren früher Förster, nicht? Warum haben Sie keine grüne Uniform an?«
»Hoho, kleiner Mann! Die grüne Uniform hängt im Schrank und wird nur noch an hohen Feiertagen hervorgeholt und fein ausgebürstet.«
»Ooooch, schade, ich habe nämlich noch nie einen richtigen Förster von nahem gesehen!«
Bettina hängte sich bei ihrem Großvater ein. »Wie wäre es, wenn wir den heutigen Tag einfach zu einem hohen Feiertag erklärten?«
»Du meinst ich soll …, einfach so?«
»Den Gefallen kannst du Tobias doch tun, Opa!«
»Ach ja, Opa, bitte!«, bettelte der Junge. Unwillkürlich fiel auch er in die vertrauliche Anrede. Da konnte Rudolf Lühr nicht widerstehen. Er strich über seinen eisgrauen Bart. »Hm – aber nur wenn Betti ihr Königinnengewand anlegt.«
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