Название: Die Schlucht
Автор: Иван Гончаров
Издательство: Public Domain
Жанр: Русская классика
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»Das war alles so einfach, Cousin, daß da eigentlich gar nichts zu erzählen ist! Fragen Sie die erste beste verheiratete Frau, zum Beispiel Catherine . . .«
»Ach nein, Cousine – alle, nur nicht Catherine! Die kennt nichts als Putz und Spazierfahrten, Spazierfahrten und Putz . . .«
»Was soll ich Ihnen erzählen? Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll! Paul machte mir durch Vermittlung der Fürstin einen Heiratsantrag, diese sagte es maman, maman sagte es den Tanten, man rief die ganze Verwandtschaft zusammen, machte dann Papa Mitteilung . . . wie es eben überall geschieht! . . .«
»Papa kommt natürlich zuletzt dran!« sagte Raiski lächelnd.
»Und wann erfuhren sie es?«
»Noch an demselben Abend. Welche Frage! Sie glauben doch nicht etwa, daß man mich gezwungen hat? . . .«
»Nein, nein, Cousine! Aber das nenne ich nicht erzählen. Fangen Sie, bitte, mit Ihrer Erziehung an! Wie und wo wurden Sie erzogen? Erzählen Sie vor allem jene Dummheit . . .«
»Sie wissen ja, daß ich zu Hause erzogen wurde . . . Mama war sehr streng und ernst, sie scherzte nie, lachte fast nie, liebkoste mich nur selten; alles im Hause gehorchte ihr: die Kinderfrauen, die Stubenmädchen, die Gouvernanten taten, was sie befahl, und ebenso Papa. Ins Kinderzimmer kam sie nicht, doch ging dort alles wie am Schnürchen, als ob sie selbst anwesend wäre. Als ich sieben Jahre alt war, hatte ich eine Deutsche, Margarete hieß sie, zur Bedienung: sie kämmte mich und zog mich an, dann wurde Miß Dreadson geweckt, und wir gingen zu Mama. Doch bevor wir uns begrüßten, musterte mich Mama sehr eingehend, sah mir prüfend ins Gesicht, drehte mich dreimal um, überzeugte sich, ob alles in Ordnung war, beguckte sogar meine Füße, ließ mich einen Knix machen, den sie mit kritischem Auge prüfte – und dann erst küßte sie mich auf die Stirn und entließ mich. Nach dem Frühstück machte ich einen Spaziergang oder bei schlechtem Wetter eine Spazierfahrt . . .«
»Und nun erzählen Sie, wie Sie gespielt haben und herumgetollt sind!«
»Herumgetollt? Das bin ich nie! Miß Dreadson ging neben mir her und ließ mich nie weiter als drei Schritte von sich fort. Einmal warf ein Knabe einen Ball, der mir zwischen die Füße flog – ich nahm den Ball und lief hin, um ihn dem Knaben zurückzugeben. Miß Dreadson sagte es Mama, und ich durfte nun drei Tage lang nicht meinen Spaziergang machen. Übrigens weiß ich nur wenig aus jener Zeit; so viel ist mir noch in Erinnerung geblieben, daß ich bei einem Tanzmeister Unterricht hatte, der immer rief: chassez en avant, chassez á gauche, tenz-vous droit, pas de grimasses . . . Nach dem Mittagessen durfte ich in dem großen Saale Ball spielen und über das Seil springen, doch nur ganz vorsichtig und leise, daß ich nicht etwa einen Spiegel zerschlage oder zu laut herumspringe. Mama liebte es nicht, wenn ich rote Backen und Ohren hatte, darum durfte ich nie zu viel herumlaufen. Man tadelte auch, daß ich . . .« – sie lächelte bei diesen Worten – »beim Zeichnen und Schreiben, ja sogar beim Tanzen die Zunge heraussteckte – darauf bezog sich das pas de grimasses, das jeden Augenblick ertönte.«
»Chassez en avant, chassez á gauche und pas de grimasses! Ja, das nenne ich eine vortreffliche Erziehung, ganz wie die Dressur beim Regiment! Nun, und was weiter?«
»Weiter bekam ich dann eine Französin, Madame Clary, aber . . . die wurde bald entlassen, ich weiß nicht, aus welchem Grunde. Ich erinnere mich nur, daß Papa sehr lebhaft für sie eintrat, doch Mama wollte nichts von ihr wissen . . .«
»Nun, jetzt sehe ich, daß Sie keine Kindheit gehabt haben: das erklärt mir so manches . . . Was haben Sie sonst noch gelernt?« fragte Raiski.
»O, allerhand: histoire, geographie, calligraphie, orthographie, dann noch Russisch . . .«
Hier machte Sofia Nikolajewna eine kleine Pause.
»Nun kommen wir wohl an die Katastrophe, vermut’ ich, und ihr Held – war der russische Lehrer!« sagte Raiski. »Das sind unsere jeunes premiers . . .«
»Ja . . . Sie haben es erraten!« versetzte die Bjelowodowa lächelnd.
»Meine Leistungen waren in allen Gegenständen dieselben – das heißt überall gleich schlecht. In der Geschichte wußte ich nur über das Jahr 1812 Bescheid, weil mon oncle le prince Serge damals als Offizier den Feldzug gegen Napoleon mitgemacht hatte und oft davon erzählte. Ich wußte, daß es einmal eine Katharina II. gegeben hat, und eine Revolution, die Mr. de Querney zur Flucht gezwungen hatte; alles übrige, all die Kriege der Griechen und Römer, und was man mir von Friedrich dem Großen erzählte, lief in meinem Kopfe wirr durcheinander. In der russischen Stunde jedoch, bei Mr. Jelnin, lernte ich fast alles, was ich aufbekam.«
»Bis hierher geht alles ausgezeichnet. Was haben Sie sonst noch getrieben?«
»Wir lasen viel. Er las sehr schön vor, brachte Bücher mit.«
»Was für Bücher?«
»Ich hab’s schon vergessen. . .«
»Nun, was weiter, Cousine?«
»Als ich dann sechzehn Jahre alt war, bekam ich meine besonderen Zimmer. Ma tante Anna Wassiljewna wohnte mit mir zusammen, und Miß Dreadson reiste nach England ab. Ich trieb viel Musik, hatte noch meinen französischen Professor und den russischen Lehrer – es hieß nämlich damals allgemein, man müsse Russisch fast ebenso geläufig können wie Französisch . . .«
»Und Mr. Jelnin war sehr . . . sehr . . . liebenswürdig und nett . . . und comme il faut? . . .« fragte Raiski.
»Oui, il était tout á fait bien!« sagte leicht errötend die Bjelowodowa. »Ich hatte mich an ihn gewöhnt . . . und wenn er einmal die Stunde ausfallen ließ, war ich verdrießlich, und einmal erkrankte er und kam drei Wochen lang gar nicht . . .«
»Da waren Sie wohl ganz verzweifelt?« unterbrach sie Raiski. »Sie weinten, hatten schlaflose Nächte und beteten für ihn? Nicht wahr? . . .«
»Er tat mir leid – und ich bat sogar Papa, er möchte hinschicken und fragen lassen, wie es ihm geht . . .«
»Sogar das! Nun, und was sagte Papa?«
»Er fuhr selbst hin, fand ihn als Rekonvaleszenten vor und brachte ihn zum Mittagessen mit in unser Haus. Mama war zuerst sehr ungehalten und machte Papa eine Szene, aber Jelnin war ein so wohlerzogener und bescheidener junger Mann, daß sie sich beruhigte und ihn sogar zu unseren soirées musicales und dansantes einlud. Er war recht gewandt im Benehmen, spielte die Violine . . .«
»Was weiter?« fragte Raiski ungeduldig.
»Als Papa ihn damals nach der Krankheit zum erstenmal zu uns brachte, war er blaß und wortkarg . . . seine Augen waren so matt . . . Ich fühlte solches Mitleid mit ihm, und ich fragte ihn bei Tisch, was ihm gefehlt habe? . . . Er sah mich so dankbar, fast zärtlich an . . . Nach Tisch aber führte mich Mama auf die Seite und erklärte mir, es sei höchst unschicklich, daß ein junges Mädchen sich nach der Gesundheit eines ersten besten jungen Menschen, noch dazu eines Lehrers, erkundige – Gott weiß, was an ihm ist! fügte sie hinzu. Ich schämte mich, ging in mein Zimmer und weinte und habe ihn nie wieder nach etwas gefragt . . .«
»Da sehen Sie’s!« bemerkte Raiski spöttisch. »Kaum hatten Sie den Olymp verlassen und einen Fuß unter die Menschen gesetzt, so gab es auch schon Strafpredigten!«
»Unterbrechen Sie mich nicht: ich verliere sonst den Faden!« sagte sie. »Jelnin fuhr fort, mit mir zu lesen, und regte mich auch an, selbst etwas zu schreiben, СКАЧАТЬ