Kampf der Ehre . Морган Райс
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      Wo auch sonst? Sie war wütend auf ihn, weil er zurückgekehrt war. Dafür, dass er seine Vorsicht hatte fallen lassen, und so leichtsinnig war. Doch am allermeisten sorgte sie sich um ihn. Sie erkannte, wie sehr sie ihren Bruder in den letzten Tagen lieb gewonnen hatte, und der Gedanke, auch ihn zu verlieren – besonders nachdem sie ohnehin schon ihren Vater verloren hatte – brannte auf ihrer Seele. Sie fühlte sich auch in gewisser Weise verantwortlich.

      Sie fühlte echte Furcht, als sie durch diese Straßen lief. Nicht wegen der Trunkenbolde und Schurken um sie herum. Sie fürchtete sich vor ihrem Bruder, Gareth. Er hatte sich bei ihrem letzten Zusammentreffen dämonisch verhalten. Sie konnte sein Gesicht nicht aus ihren Gedanken verdrängen. Diese Augen. So schwarz und seelenlos. Er sah aus wie besessen.

      Und dass er auf dem Thron ihres Vaters gesessen hatte, ließ das Bild noch unwirklicher erscheinen. Sie fürchtete seine Vergeltung. Vielleicht plante er wirklich, sie zu verheiraten, etwas was sie niemals zulassen würde. Oder vielleicht wollte er sie nur verunsichern, und was er wirklich plante, war sie zu ermorden.

      Gwen sah sich um. Und während sie lief, erschien ihr jedes Gesicht feindselig und fremd. Jeder stellte eine mögliche Gefahr dar, von Gareth geschickt, sie umzubringen. Sie wurde paranoid.

      Sie bog um die Ecke und stieß mit einem betrunkenen alten Mann zusammen – was sie taumeln ließ und sie stolperte und musste unwillkürlich aufschreien. Sie war unglaublich nervös. Sie brauchte einen Moment um zu realisieren, dass es nur ein unachtsamer alter Mann war, und nicht einer von Gareths Schergen. Sie drehte sich kurz um und sah wie er, ohne auch nur den geringsten Gedanken an eine Entschuldigung zu verschwenden, weiterstolperte. Die Würdelosigkeit dieses Teils der Stadt war mehr, als sie ertragen konnte.

      Ginge es nicht um Godfrey, würde sie nicht einmal in die Nähe kommen. Und sie hasste ihn dafür, dass er sie dazu erniedrigte hierher zu kommen. Warum konnte er sich einfach nicht von diesen Wirtshäusern fernhalten?

      Gwen lief um eine weitere Biegung und da war sie: Godfrey’s Stamm-Taverne. Ein trauriger Abklatsch von einer Gastwirtschaft. Mit schräger, halboffener Tür, durch die die Betrunkenen heraustorkeln, wie sie es immer taten.

      Sie verschwendete keine Zeit und trat ein.

      Es dauerte einen Augenblick bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht der Taverne gewöhnt hatten. Es stank nach abgestandenem Bier und Schweiß, und als sie eintrat, wurde es plötzlich still. Die Augen von zwei Dutzend Männern richteten sich überrascht auf sie.

      Da war sie, ein Mitglied der königlichen Familie, prachtvoll gekleidet und stürmte in einen Raum, der wahrscheinlich seit Jahren keinen Besen gesehen hatte. Sie marschierte auf einen großen Mann mit dickem Bauch zu, den sie als Akorth kannte. Er war einer von Godfrey’s Zechkumpanen.

      „Wo ist mein Bruder?“, wollte sie wissen.

      Doch Akorth, für gewöhnlich bester Stimmung und jederzeit für einen geschmacklosen Witz gut, überraschte sie. Er schüttelte nur kaum merklich den Kopf.

      „Es sieht nicht gut aus, Mylady.“, sagte er grimmig.

      „Was meinst du damit?“, beharrte sie. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.

      „Er muss ein schlechtes Bier gehabt haben.“, erklärte ein großer, hagerer Mann, den sie unter dem Namen Fulton kannte – ein weiterer Gefährte von Godfrey. „Er ist spät gestern Nacht schlafen gegangen und seither nicht aufgestanden.“

      „Ist er am Leben?“, fragte sie voller Panik und ergriff Akorth’s Handgelenk.

      „Kaum.“, antwortete dieser und senkte den Blick. „Er hatte eine raue Nacht. Er hat vor etwa einer Stunde aufgehört zu sprechen.“

      „Wo ist er?”, beharrte sie.

      „Da hinten, meine Kleine.“, sagte der Wirt, und lehnte sich über den Tresen mit einem grimmigen Grinsen auf dem Gesicht. „Hoffentlich nimmst du ihn mit. Ich habe keine Lust, eine Bierleiche in meinem Etablissement herumliegen zu haben.“

      Gwen, überwältigt von seiner Dreistigkeit, derart mit ihr zu reden, beugte sich vor, zückte einen kleinen Dolch und hielt die Spitze an den Hals des Wirts.

      Er schluckte und schaute sie schockiert an, als sich eine tödliche Stille in der Taverne ausbreitete.

      „Zunächst einmal“, zischte sie. „ist dies hier kein Etablissement, sondern der traurige Abklatsch einer Kneipe. Eine, die ich von der königlichen Garde dem Erdboden gleich machen lassen werde, solltest du es noch einmal wagen, derart mit mir zu sprechen. Du darfst mich künftig mit Mylady ansprechen.“

      Gwen war außer sich, und selbst überrascht vom Gefühl der Stärke, das sie plötzlich überkam. Sie hatte keine Ahnung, woher es kam.

      Der Wirt schluckte.

      „Mylady.“ wiederholte er.

      Gwen hielt den Dolch still.

      „Und Zweitens wird mein Bruder nicht sterben. Und schon gar nicht an einem Ort wie diesem. Selbst sein Leichnam würde dieser Spelunke mehr Ehre erweisen, als jede lebende Seele die jemals hier eingekehrt ist. Doch sollte er sterben, sei versichert, dass du die Folgen tragen wirst.“

      „Aber ich habe doch nichts falsch gemacht, Mylady!”, bettelte er. „Es hat das gleiche Bier getrunken, wie alle anderen auch!”

      „Jemand muss es vergiftet haben", fügte Akorth hinzu.

      „Es könnte jeder gewesen sein", sagte Fulton.

      Gwen senkte langsam ihren Dolch.

      „Bring mich zu ihm. Sofort!", befahl sie.

      Der Wirt senkte demütig seinen Kopf, drehte sich um, und eilte durch eine Seitentür hinter der Theke. Gwen folgte ihm auf den Fersen, und Fulton und Akorth begleiteten sie.

      Gwen betrat das kleine Hinterzimmer der Taverne und hörte sie sich selbst nach Luft schnappen, als sie ihren Bruder Godfrey auf dem Rücken liegend am Boden sah. Er war blasser, als sie ihn je zuvor gesehen hatte. Er sah aus als wäre er dem Tod näher als dem Leben.

      Es war alles wahr.

      Gwen eilte an seine Seite, ergriff seine Hand und spürte, wie kalt und feucht sie war. Er reagierte nicht. Sein Kopf lag auf dem Boden, er war unrasiert und strähniges Haar klebte an seiner Stirn. Doch sie konnten seinen Puls fühlen. Wenn auch nur schwach, aber er hatte noch einen Puls. Sie sah auch wie sich sein Brustkorb mit jedem Atemzug hob. Er war am Leben.

      Sie spürte eine plötzliche Wut in sich aufsteigen.

      „Wie konntest du ihn nur so hier liegen lassen?", schrie sie den Wirt an. "Mein Bruder, ein Mitglied der königlichen Familie, auf dem Boden liegend zum sterben allein gelassen wie ein Hund?“

      Der Wirt schluckte und blickte sich nervös um.

      „Was hätte ich sonst tun sollen, Mylady?“, fragte er und klang unsicher. „Das ist kein Spital. Jeder sagte, er sei so gut wie tot und – „

      „Er ist nicht tot“, schrie sie. „Und ihr zwei“, fauchte sie und wandte sich Akorth und Fulton СКАЧАТЬ