Liebe deinen Nächsten / Возлюби ближнего своего. Книга для чтения на немецком языке. Эрих Мария Ремарк
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Читать онлайн книгу Liebe deinen Nächsten / Возлюби ближнего своего. Книга для чтения на немецком языке - Эрих Мария Ремарк страница 24

СКАЧАТЬ Kern trat auf Zehenspitzen heran.

      „Kann ich Ihnen etwas geben?“ fragte er.

      Die Frau stöhnte weiter. Sie hatte klatschnasse, verschwitzte Haare von einem verblichenen Blond und ein graues Gesicht, aus dem dicke Sommersprossen sonderbar dunkel hervorschimmerten. Die Augen waren verdreht; unter den halbgeschlossenen Lidern war fast nur das Weiße zu sehen. Die dünnen Lippen waren zurückgezogen, die Zähne gefletscht und fest aufeinandergebissen. Sie leuchteten sehr weiß aus dem Halbdunkel.

      „Kann ich Ihnen etwas geben?“ fragte Kern noch einmal.

      Er sah sich um. Ein billiger, dünner Staubmantel hing über einem Stuhl, wie hingeworfen. Vor dem Bett standen ein Paar ausgetretene Schuhe. Die Frau lag mit ihren Kleidern im Bett, wie hineingestürzt. Auf dem Tisch stand eine Flasche mit Wasser und neben dem Waschtisch ein Koffer.

      Die Frau stöhnte. Kern wusste nicht, was er tun sollte. Die Frau warf sich hm und her. Er erinnerte sich an das, was Marill ihm gesagt hatte, und an das wenige, was er von dem einen Jahr an der Universität wusste, und versuchte, die Schultern der Frau festzuhalten. Aber es war, als wollte er eine Schlange festhalten. Während er sich bemühte und sie ihm entglitt und ihn wegstieß, riss sie plötzlich die Hände hoch und krallte sich augenblicklich mit aller Kraft an seinen Armen fest.

      Er stand wie festgeschmiedet. Er hätte nie geglaubt, dass die Frau eine solche Kraft haben könnte. Sie drehte den Kopf langsam, als wäre er eine Schraube, und stöhnte grauenvoll, als käme ihr Atem aus der Erde.

      Der Körper zuckte, und plötzlich sah Kern unter der Bettdecke, die sich verschoben hatte, einen schwarzroten Fleck hervorkriechen, das Leintuch entlang, größer werden und sich ausbreiten. Er versuchte, sich loszumachen, aber die Frau hielt ihn eisern fest. Wie gebannt starrte er auf den Fleck, der zu einem breiten Streifen wurde, bis er die Kante des Leintuchs erreichte und von da zur Erde tropfte und eine schwarze Lache bildete.

      „Loslassen! Lassen Sie los!“ Kern wagte nicht die Arme zu bewegen, weil er dann den Körper der Frau geschüttelt hätte. „Loslassen!“ knirschte er. „Loslassen!“

      Plötzlich erschlaffte der Körper der Frau. Sie ließ los und fiel in die Kissen. Kern griff nach der Decke und hob sie etwas hoch. Ein Schwall Blut quoll hervor und klatschte auf den Boden. Er sprang auf und rannte hinauf zu dem Zimmer, in dem Ruth Holland wohnte.

      Sie war da. Sie saß allein auf ihrem Bett zwischen ihren aufgeschlagenen Büchern. „Kommen Sie!“ rief Kern. „Unten verblutet eine Frau!“

      Sie liefen hinunter. Das Zimmer war dunkler geworden. Im Fenster flammte das Abendrot und warf einen düsteren Schein über den Boden und den Tisch. Ein roter Reflex funkelte wie ein Rubin in der Wasserflasche. Die Frau lag jetzt ganz still. Sie schien nicht mehr zu atmen.

      Ruth Holland hob die Bettdecke auf. Die Frau schwamm in Blut. „Machen Sie Licht“, rief das Mädchen.

      Kern lief zum Schalter. Das Licht der schwachen Birne mischte sich mit dem Abendrot zu einer trüben Helligkeit. In diesem gelbroten Brodem lag die Frau auf dem Bett. Sie schien nichts zu sein als ein unförmiger Bauch mit verschobenen, blutigen Kleidern, unter denen die Beine mit herabgerutschten, schwarzen Strümpfen herausragten, sonderbar in sich verdreht und erschlafft.

      „Geben Sie das Handtuch! Sie muss aufhören zu bluten! Vielleicht finden Sie irgend etwas!“

      Kern sah, wie Ruth die Ärmel hochschob und die Kleider der Frau zu lösen versuchte. Er gab ihr das Handtuch vom Waschtisch. „Der Arzt muss gleich kommen! Marill ist unterwegs.“

      Er suchte nach Verbandszeug und stülpte den Koffer hastig um.

      „Geben Sie her, was Sie finden“, rief Ruth.

      Auf dem Boden lag ein Haufen Säuglingswäsche – kleine Hemden, Windeln, Tücher und dazwischen ein paar Jäckchen, gestrickt aus rosa und hellblauer Wolle, mit Schleifen und Seide geschmückt. Eins war noch nicht fertig; ein paar Stricknadeln steckten noch drin. Ein Knäuel weiches, blaues Wollgarn fiel heraus und rollte lautlos über den Boden.

      „Geben Sie her!“ Ruth warf das blutige Handtuch weg. Kern gab ihr die Windeln und die Tücher. Dann hörte er Schritte auf der Treppe. Gleich darauf ging die Tür auf, und Marill kam mit einem Arzt herein.

      „Ja, was ist denn da… verdammt!“

      Der Arzt machte einen langen Schritt, schob Ruth Holland beiseite und beugte sich über die Frau. Nach einiger Zeit wandte er sich um zu Marill. „Rufen Sie sofort Nummer 2167 an. Braun soll eiligst kommen und alles mitbringen für Narkose, Braxton-Hicks-Operation. Verstanden? Außerdem alles für schwere Blutungen.“

      „Gut.“

      Der Arzt sah sich um. „Sie können gehen!“ sagte er zu Kern. „Das Fräulein bleibt hier. Holen Sie Wasser. Geben Sie mir meine Tasche.“

      Der zweite Arzt kam zehn Minuten spater. Mit Hilfe Kerns und einiger anderer Leute, die inzwischen gekommen waren, wurde der Raum neben dem Zimmer, wo die Frau lag, in ein Operationszimmer verwandelt. Die Betten wurden beiseite geschoben, Tische herangerückt und die Instrumente vorbereitet. Der Wirt holte die stärksten Birnen, die er hatte, und schraubte sie in die Lampen ein.

      „Los, Los!“

      Der erste Arzt tobte vor Ungeduld. Er riss seinen weißen Mantel über und ließ sich ihn von Ruth Holland zuknöpfen. „Nehmen Sie sich auch so was!“ Er warf ihr einen Mantel zu. „Wir brauchen Sie vielleicht hier. Können Sie Blut sehen? Wird Ihnen schlecht?“

      „Nein“, sagte Ruth.

      „Gut! Brav!“

      „Vielleicht kann ich auch was tun“, sagte Kern. „Ich habe zwei Semester Medizin.“

      „Vorläufig nicht.“ Der Arzt sah nach den Instrumenten. „Können wir anfangen?“

      Das Licht spiegelte sich in seiner Glatze. Die Tür wurde ausgehängt. Vier Männer trugen das Bett mit der leise wimmernden Frau über den Korridor herein. Die Frau hatte die Augen weit offen. Ihre farblosen Lippen bebten.

      „Los! Anfassen!“ schnauzte der Arzt. „Hochheben! Vorsichtig, verflucht noch mal!“

      Die Frau war schwer. Kern standen die Schweißtropfen auf der Stirn. Sein Blick begegnete dem Ruths. Sie war blass, aber ruhig und so verändert, dass er sie kaum wiedererkannte. Sie gehörte zu der blutenden Frau.

      „So! ’raus alles, was nichts hier zu tun hat!“ schnauzte der Arzt mit der Glatze. Er nahm die Hand der Frau. „Es tut nicht weh. Es ist ganz leicht.“ Er hatte plötzlich die Stimme einer Mutter.

      „Das Kind soll leben“, flüsterte die Frau.

      „Beide, beide…“, erwiderte der Arzt sanft.

      „Das Kind…“

      „Wir drehen es nur ein bisschen um, aus der Schulterlage heraus. Dann kommt es wie der Blitz. Nur ruhig, ganz ruhig. Narkose!“

* * *

      Kern stand mit Marill und ein paar anderen Leuten in dem verlassenen Zimmer der Frau. Sie warteten darauf, dass sie wieder gebraucht würden. Von nebenan klang gedämpft das Murmeln der Ärzte. Auf dem Boden verstreut lagen die rosa und blauen gestrickten Jäckchen.

      „Eine Geburt“, sagte Marill zu Kern. „So ist das, wenn man auf die Welt kommt… Blut, Blut und Schreie! Verstehen СКАЧАТЬ