Название: Liebe deinen Nächsten / Возлюби ближнего своего. Книга для чтения на немецком языке
Автор: Эрих Мария Ремарк
Издательство: КАРО
Жанр: Зарубежная классика
Серия: Moderne Prosa
isbn: 978-5-9925-0650-1
isbn:
Sie einigten sich auf vierhundert. Steiner zog eine Fotografie von sich aus der Tasche, die er in einem Automaten für einen Schilling hatte machen lassen. Die beiden gingen damit los, und eine Stunde später brachten sie den Pass zurück. Steiner bezahlte ihn und steckte ihn ein.
„Viel Glück!“ sagte der Redner. „Und noch einen Tip. Wenn er abgelaufen ist, können wir ihn verlängern. Datum wegwaschen und ändern. Sehr einfach. Die einzige Schwierigkeit sind die Visa. Je später Sie weiche brauchen, um so besser – desto länger kann man das Datum verschieben.“
„Das hätten wir doch jetzt schon tun können“, sagte Steiner.
Der Redner schüttelte den Kopf. „Besser für Sie so. Sie haben so einen echten Pass, den Sie gefunden haben können. Eine Fotografie auszutauschen ist nicht so schlimm, wie etwas Schriftliches zu ändern. Und Sie haben ja ein Jahr Zeit. Da kann viel passieren.“
„Hoffentlich.“
„Strenge Diskretion natürlich, nicht wahr? Unser aller Interesse. Höchstens mal eine seriöse Empfehlung. Sie kennen ja den Weg. Alsdann[35], guten Abend.“
„Guten Abend.“
„Strszecz miecze[36]“, sagte der Schweiger.
„Er spricht nicht deutsch“, grinste der Redner auf einen Blick Steiners. „Hat aber eine wunderbare Hand für Stempel. Streng seriös natürlich.“
Steiner ging zum Bahnhof. Er hatte seinen Rucksack dort in der Gepäckaufbewahrung gelassen. Am Abend vorher war er aus der Pension ausgezogen. Die Nacht hatte er auf einer Bank in den Anlagen geschlafen. Morgens hatte er sich in der Bahnhoftoilette den Schnurrbart abrasiert und dann die Fotografie machen lassen. Eine wilde Genugtuung erfüllte ihn. Er war jetzt der Arbeiter Johann Huber aus Graz.
Unterwegs blieb er stehen. Er hatte noch etwas zu regeln aus der Zeit, als er Steiner hieß. Er ging zu einem Telefonautomaten und suchte im Telefonbuch eine Nummer. „Leopold Schäfer“, murmelte er, „Trautenaugasse siebenundzwanzig.“ Der Name hatte sich ins Gedächtnis eingebrannt.
Er fand die Nummer und rief an. Eine Frau meldete sich. „Ist der Wachmann Schäfer zu Hause?“ fragte er.
„Ja, ich will ihn gleich rufen.“
„Das ist nicht nötig“, erwiderte Steiner rasch. „Hier ist die Polizeidirektion Elisabethpromenade. Um zwölf Uhr ist eine Razzia. Der Wachmann Schäfer hat sich um dreiviertel zwölf hier zu melden. Haben Sie verstanden?“
„Ja. Um dreiviertel zwölf.“ – „Gut.“ Steiner hängte ab.
Die Trautenaugasse war eine schmale, stille Straße, mit kahlen Kleinbürgerhäusern. Steiner sah sich Haus Nummer siebenundzwanzig genau an. Es unterschied sich in nichts von den andern; aber es erschien ihm besonders widerwärtig. Dann ging er ein Stück zurück und wartete.
Der Wachmann Schäfer kam eilig und wichtig aus dem Haus gepoltert. Steiner ging ihm so entgegen, dass er ihm an einer dunklen Stelle begegnete. Dort rempelte er ihn mit einem mächtigen Schulterstoß an.
Schäfer taumelte. „Sind Sie besoffen, Mensch?“ brüllte er. „Sehen Sie nicht, dass Sie einen Beamten im Dienst vor sich haben?“
„Nein“, erwiderte Steiner. „Ich sehe nur einen jämmerlichen Hurensohn! Einen Hurensohn, verstehst du?“
Schäfer war einen Moment sprachlos. „Mensch“, sagte er dann leise. „Sie müssen verrückt sein! Das werden Sie mir büßen! Los, mit zur Wache!“
Er versuchte, seinen Revolver zu ziehen. Steiner trat mit dem Fuß gegen seinen Arm, trat blitzschnell heran und tat das Entehrendste, was es für einen Mann gibt; er schlug Schäfer mit der flachen Hand links und rechts ins Gesicht.
Der Wachmann röchelte und sprang auf ihn los. Steiner wich zur Seite und landete einen linken Schwinger auf Schäfers Nase, die sofort blutete. „Hurensohn!“ knurrte er. „Jammervoller Scheißer! Feiges Aas!“
Er zerschlug ihm mit einem trockenen Geraden die Lippen und fühlte die Zähne unter seinen Knöcheln knacken. Schäfer taumelte. „Hilfe!“ schrie er dann mit einer fetten, hohen Stimme.
„Halt’s Maul!“ knurrte Steiner und setzte einen scharfen Rechten aufs Kinn und gleich darauf die kurz geschlagene Linke genau auf den Solarplexus. Schäfer gab einen froschähnlichen Laut von sich und stürzte wie eine Säule zu Boden.
Ein paar Fenster wurden hell. „Was ist denn da schon wieder los?“ schrie eine Stimme.
„Nichts“, erwiderte Steiner aus dem Dunkel. „Nur ein Besoffener!“
„Der Teufel soll die Saufbrüder holen!“ rief die Stimme ärgerlich. „Bringen Sie ihn doch zur Polizei!“
„Da soll er gerade hin!“
„Hauen Sie ihm vorher noch ein paar in das versoffene Maul!“
Das Fenster klappte zu. Steiner grinste und verschwand um die nächste Ecke. Er war sicher, dass Schäfer ihn mit seinem veränderten Gesicht im Dunkel nicht erkannt hatte. Er kreuzte noch ein paar Straßenecken, bis er in eine belebte Gegend kam. Dann ging er langsamer.
Wunderbar und gleichzeitig zum Kotzen, dachte er. So ein bisschen lächerliche Rache! Aber es wiegt Jahre der Flucht und Geducktheit auf! Man muss die Gelegenheit nehmen, wie sie kommt! Er blieb unter einer Laterne stehen und holte seinen Pass heraus. Johann Huber! Arbeiter! Du bist tot und verfaulst irgendwo in der Erde von Graz – aber dein Pass lebt und ist gültig für die Behörden. Ich, Josef Steiner, lebe; aber ich bin ohne Pass tot für die Behörden. Er lachte. Tauschen wir, Johann Huber! Gib mir dein papierenes Leben und nimm meinen papierlosen Tod! Wenn die Lebenden uns nicht helfen, müssen die Toten es tun!
6
Kern kam Sonntag abend ins Hotel zurück. In seinem Zimmer stieß er auf Marill, der sehr aufgeregt war. „Endlich irgend jemand!“ rief er. „Verdammte Bude, in der ausgerechnet heute kein Aas zu finden ist! Alles ausgegangen! Alles unterwegs! Sogar der verfluchte Wirt!“
„Was ist denn los?“ fragte Kern.
„Wissen Sie, wo eine Hebamme wohnt? Oder ein Arzt, irgendein Frauenarzt oder so was?“
„Nein.“
„Natürlich nicht!“ Marill starrte ihn an. „Sie sind doch ein vernünftiger Mensch, Kern. Kommen Sie mit. Irgend jemand muss bei der Frau bleiben. Ich werde dann losgehen und eine Hebamme suchen. Können Sie das?“
„Was?“
„Aufpassen, dass sie sich nicht zuviel bewegt! Mit ihr reden. Irgendwas tun!“
Er schleppte Kern, der nicht verstand, was los war, den Korridor entlang in den unteren Stock und öffnete die Tür eines kleinen Zimmers, in dem nicht viel mehr als ein Bett stand. Darin lag eine Frau und stöhnte.
„Siebenter Monat! Fehlgeburt oder so was! Beruhigen Sie sie, wenn Sie können! СКАЧАТЬ
35
alsdann (
36
„Strszecz miecze“ <poln.> – „Behalten Sie die Schwerte“