Название: Das Bildnis des Dorian Gray
Автор: Wilde Oscar
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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„Herr Dorian Gray hat nichts mit Blaubüchern zu schaffen“, sagte Lord Henry in seinem schläfrigen Tone.
„Herr Dorian Gray? Wer ist das?“ fragte Lord Fermor, seine buschigen weißen Augenbrauen zusammenkneifend.
„Um das zu erfahren, bin ich gerade hergekommen, Onkel Georg. Oder genauer gesagt, wer es ist, weiß ich. Nämlich der Enkel des verstorbenen Lord Kelso. Seine Mutter war eine Devereux, Lady Margaret Devereux. Ich möchte, daß du mir etwas über seine Mutter erzählst. Was weißt du von ihr? Wen hat sie geheiratet? Du hast zu deiner Zeit doch so ziemlich alle Leute gekannt, also wahrscheinlich auch sie. Ich interessiere mich gegenwärtig ungemein für Herrn Gray. Ich habe ihn erst gestern kennengelernt.“
„Kelsos Enkel!“ wiederholte der alte Herr, „Kelsos Enkel! … natürlich … ich war mit seiner Mutter sehr intim. Ich glaube, ich war sogar bei ihrer Taufe. Es war ein ganz außergewöhnlich schönes Mädchen, diese Margaret Devereux, und hat dann alle jungen Männer toll gemacht, als sie mit einem jungen Habenichts davonlief, einer absoluten Null, mein Bester, einem Fähnrich bei der Infanterie oder so was Ähnliches. Natürlich. Ich erinnere mich jetzt an die ganze Geschichte, als wäre sie gestern passiert. Der arme Kerl wurde dann ein paar Monate nach der Hochzeit in einem Duell in Spa getötet. Man erzählte damals eine häßliche Geschichte darüber. Man sagte, der alte Kelso hätte irgendeinen Schuft, so einen Abenteurer aus Belgien gemietet, um seinen Schwiegersohn öffentlich zu beleidigen, hätte ihn dafür bezahlt, mein Bester, einfach bezahlt, damit er es täte, und dieser Kerl spießte dann sein Opfer auf wie eine Taube. Die Geschichte wurde natürlich vertuscht, aber Kelso mußte eine Zeitlang sein Kotelett allein im Klub essen. Ich hörte, er brachte seine Tochter wieder mit, doch sie sprach nie mehr ein Wort mit ihm. O jawohl, das war eine böse Sache. Das Mädel starb dann auch, kaum ein Jahr später. So, sie hat also einen Sohn hinterlassen? Das hatte ich ganz vergessen. Was für ein Junge ist es denn? Wenn er seiner Mutter ähnlich sieht, muß es ein hübsches Kerlchen sein.“
„Er ist sehr hübsch“, stimmte Lord Henry bei.
„Ich hoffe, er wird in die rechten Hände kommen“, fuhr der alte Mann fort. „Es muß ein Haufen Geld auf ihn warten, wenn Kelso pflichtgemäß an ihm handelte. Seine Mutter hatte übrigens auch Geld. Der ganze Selbysche Besitz fiel ihr durch ihren Großvater zu. Ihr Großvater haßte Kelso, hielt ihn für einen gemeinen Köter. War es übrigens auch. Er kam mal nach Madrid, als ich dort war. Na, ich mußte mich des Kerls schämen. Die Königin pflegte mich nach dem englischen Edelmann zu fragen, der sich immer mit den Kutschern über die Taxe zankte. Man machte einen ganzen Roman daraus. Ich wagte einen Monat lang nicht, bei Hof zu erscheinen. Ich hoffe, er hat seinen Enkel besser behandelt als die Droschkenkutscher.“
„Darüber weiß ich nichts“, erwiderte Lord Henry. „Ich vermute aber, der junge Mann wird einmal wohlhabend werden. Er ist noch nicht volljährig. Selby gehört ihm, das weiß ich. Er hat es mir gesagt. Und… seine Mutter war also sehr schön?“
„Margaret Devereux war eines der entzückendsten Geschöpfe, die ich je gesehen habe, Harry. Was in aller Welt sie dazu getrieben hat, so zu handeln, habe ich nie verstehen können. Sie hätte jeden Mann heiraten können, den sie wollte. Carlington war wahnsinnig verschossen in sie. Aber sie war romantisch veranlagt. Alle Frauen dieser Familie waren so. Die Männer waren ein trauriges Gesindel, aber beim Himmel! die Weiber waren wunderbar! Carlington lag vor ihr auf den Knien. Hat's mir selber gebeichtet. Sie lachte ihn aus, und es gab damals in London kein Mädel, das nicht hinter ihm hergewesen wäre. Übrigens, Harry, da wir schon über Mesalliancen reden: was ist das für ein Unsinn, den mir dein Vater von Dartmoor erzählt, der eine Amerikanerin heiraten will? Sind englische Mädels für ihn nicht gut genug?“
„Es ist jetzt Mode, Amerikanerinnen zu heiraten, Onkel Georg.“
„Ich verteidige die englischen Frauen gegen die ganze Welt, Harry“, sagte Lord Fermor und schlug mit der Faust auf den Tisch.
„Man reißt sich um die Amerikanerinnen.“
„Sie halten sich nicht, hat man mir gesagt“, brummte der Onkel.
„Ein langes Verlobtsein erschöpft sie, aber für eine Steeplechase sind sie brillant. Sie sind Flieger. Ich glaube nicht, daß Dartmoor Chance hat.“
„Was ist's für eine Familie?“ murrte der alte Herr. „Hat sie überhaupt eine?“
Lord Henry schüttelte den Kopf. „Amerikanische Mädchen sind ebenso klug, ihre Eltern zu verbergen, wie englische Frauen im Verbergen ihrer Vergangenheit“, antwortete er und stand auf, um wegzugehen.
„Also vermutlich Schweinefleischhändler.“
„Das hoffe ich, Onkel Georg, in Dartmoors Interesse. Man hat mir gesagt, mit Schweinefleischbüchsen zu handeln, soll nächst der Politik der einträglichste Beruf in Amerika sein.“
„Ist sie hübsch?“
„Sie benimmt sich so, als wäre sie es. Das tun die meisten Amerikanerinnen. Es ist das Geheimnis ihres magnetischen Reizes.“
„Warum bleiben diese amerikanischen Weiber nicht in ihrem Lande? Sie sagen doch immer, es sei das Paradies für Frauen.“
„Das ist es auch. Und das ist auch der Grund, warum sie wie Eva so gern daraus weg wollen“, sagte Lord Henry. „Adieu, Onkel Georg! Ich komme zu spät zum Frühstück, wenn ich noch länger bleibe. Danke sehr für die Auskunft, die du mir gabst. Ich habe immer das Bedürfnis, von meinen neuen Freunden alles zu hören und möglichst nichts von meinen alten.“
„Wo wirst du frühstücken, Harry?“
„Bei Tante Agatha. Ich habe mich mit Herrn Gray dort angesagt. Es ist ihr neuestes Protektionskind.“
„Hm! sag' der Tante Agatha, Harry, sie soll mich mit ihrem Wohltätigkeitskrempel ungeschoren lassen. Ich habe sie bis hierher! Weiß Gott, das gute Frauenzimmer meint, ich hätte nichts zu tun als Schecks für ihre langweiligen Vereinsmeiereien auszuschreiben.“
„Abgemacht, Onkel Georg, ich werde es ihr bestellen, aber es wird nichts nutzen. Wohltätigkeitsmegären verlieren alle Menschlichkeit. Das ist ihr hervorstechendstes Merkmal.“
Der alte Herr brummte zustimmend und klingelte seinem Diener. Lord Henry schritt durch die niedrigen Arkaden nach Burlington Street und lenkte dann seine Schritte in die Richtung nach Berkeley Square.
Das war also die Geschichte von Dorian Grays Eltern. So roh umrissen sie ihm auch geschildert worden war, sie hatte ihn doch nach Art eines seltsamen, geradezu modernen Romans erregt. Eine schöne Frau, die alles für eine wahnsinnige Leidenschaft einsetzt. Ein paar wilde, wonnige Wochen, jäh abgeschnitten durch ein abscheuliches, heimtückisches Verbrechen, Monate stummer Todesverzweiflung, und dann ein Kind unter Schmerzen geboren. Die Mutter vom Tode weggemäht, der Knabe der Einsamkeit und der Tyrannei eines alten, lieblosen Mannes ausgeliefert. Ja, das war ein interessanter Hintergrund. Er gab dem jungen Menschen Relief, machte ihn noch vollkommener. Hinter allem Köstlichen in der Welt lauert eine geheime Tragödie, Welten müssen in Schwingung sein, damit die kleinste Blume erblühen kann… Und wie entzückend war er gestern abend gewesen, als er ihm mit erschreckten Augen, die Lippen in scheuem Verlangen geöffnet, im Klub gegenüber gesessen und die roten Kerzenschirme das erwachende Wunder seines Gesichts in einen noch rosenfarbenen Ton getaucht hatten. Mit ihm sprechen, das war wie auf einer auserlesenen Geige spielen. Er gab jedem Druck nach, jeder zitternden Berührung des Bogens… Es lag doch etwas unerhört Knechtendes darin, auf jemand Einfluß auszuüben. Keine andere Tätigkeit kam dem gleich. Seine eigene Seele in eine anmutige Form СКАЧАТЬ