Wilhelm Meisters Lehrjahre — Band 8. Johann Wolfgang von Goethe
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СКАЧАТЬ sie dadurch, wo nicht nützlich, doch unschädlich zu machen. Schon seit einiger Zeit hatten meine Mädchen aus dem Munde der Bauerkinder gar manches von Engeln, vom Knechte Ruprecht, vom Heiligen Christe vernommen, die zu gewissen Zeiten in Person erscheinen, gute Kinder beschenken und unartige bestrafen sollten. Sie hatten eine Vermutung, daß es verkleidete Personen sein müßten, worin ich sie denn auch bestärkte und, ohne mich viel auf Deutungen einzulassen, mir vornahm, ihnen bei der ersten Gelegenheit ein solches Schauspiel zu geben. Es fand sich eben, daß der Geburtstag von Zwillingsschwestern, die sich immer sehr gut betragen hatten, nahe war; ich versprach, daß ihnen diesmal ein Engel die kleinen Geschenke bringen sollte, die sie so wohl verdient hätten. Sie waren äußerst gespannt auf diese Erscheinung. Ich hatte mir Mignon zu dieser Rolle ausgesucht, und sie ward an dem bestimmten Tage in ein langes, leichtes, weißes Gewand anständig gekleidet. Es fehlte nicht an einem goldenen Gürtel um die Brust und an einem gleichen Diadem in den Haaren. Anfangs wollte ich die Flügel weglassen, doch bestanden die Frauenzimmer, die sie anputzten, auf ein Paar großer goldner Schwingen, an denen sie recht ihre Kunst zeigen wollten. So trat, mit einer Lilie in der einen Hand und mit einem Körbchen in der andern, die wundersame Erscheinung in die Mitte der Mädchen und überraschte mich selbst. "Da kommt der Engel!" sagte ich. Die Kinder traten alle wie zurück; endlich riefen sie aus: "Es ist Mignon!" und getrauten sich doch nicht, dem wundersamen Bilde näher zu treten.

      "Hier sind eure Gaben", sagte sie und reichte das Körbchen hin. Man versammelte sich um sie, man betrachtete, man befühlte, man befragte sie.

      "Bist du ein Engel?" fragte das eine Kind.

      "Ich wollte, ich wär es", versetzte Mignon.

      "Warum trägst du eine Lilie?"

      "So rein und offen sollte mein Herz sein, dann wär ich glücklich."

      "Wie ist's mit den Flügeln? Laß sie sehen!"

      "Sie stellen schönere vor, die noch nicht entfaltet sind."

      Und so antwortete sie bedeutend auf jede unschuldige, leichte Frage. Als die Neugierde der kleinen Gesellschaft befriedigt war und der Eindruck dieser Erscheinung stumpf zu werden anfing, wollte man sie wieder auskleiden. Sie verwehrte es, nahm ihre Zither, setzte sich hier auf diesen hohen Schreibtisch hinauf und sang ein Lied mit unglaublicher Anmut:

      So laßt mich scheinen, bis ich werde;

      Zieht mir das weiße Kleid nicht aus!

      Ich eile von der schönen Erde

      Hinab in jenes feste Haus.

      Dort ruh ich eine kleine Stille,

      Dann öffnet sich der frische Blick,

      Ich lasse dann die reine Hülle,

      Den Gürtel und den Kranz zurück.

      Und jene himmlischen Gestalten,

      Sie fragen nicht nach Mann und Weib,

      Und keine Kleider, keine Falten

      Umgeben den verklärten Leib.

      Zwar lebt ich ohne Sorg und Mühe,

      Doch fühlt ich tiefen Schmerz genung;

      Vor Kummer altert ich zu frühe;

      Macht mich auf ewig wieder jung!

      Ich entschloß mich sogleich", fuhr Natalie fort, "ihr das Kleid zu lassen und ihr noch einige der Art anzuschaffen, in denen sie nun auch geht und in denen, wie es mir scheint, ihr Wesen einen ganz andern Ausdruck hat."

      Da es schon spät war, entließ Natalie den Ankömmling, der nicht ohne einige Bangigkeit sich von ihr trennte. "Ist sie verheiratet oder nicht?" dachte er bei sich selbst. Er hatte gefürchtet, sooft sich etwas regte, eine Türe möchte sich auftun und der Gemahl hereintreten. Der Bediente, der ihn in sein Zimmer einließ, entfernte sich schneller, als er Mut gefaßt hatte, nach diesem Verhältnis zu fragen. Die Unruhe hielt ihn noch eine Zeitlang wach, und er beschäftigte sich, das Bild der Amazone mit dem Bilde seiner neuen, gegenwärtigen Freundin zu vergleichen. Sie wollten noch nicht miteinander zusammenfließen; jenes hatte er sich gleichsam geschaffen, und dieses schien fast ihn umschaffen zu wollen.

      VIII. Buch, 3. Kapitel — 1

      Drittes Kapitel

      Den andern Morgen, da noch alles still und ruhig war, ging er, sich im Hause umzusehen. Es war die reinste, schönste, würdigste Baukunst, die er gesehen hatte. "Ist doch wahre Kunst", rief er aus, "wie gute Gesellschaft: sie nötigt uns auf die angenehmste Weise, das Maß zu erkennen, nach dem und zu dem unser Innerstes gebildet ist." Unglaublich angenehm war der Eindruck, den die Statuen und Büsten seines Großvaters auf ihn machten. Mit Verlangen eilte er dem Bilde vom kranken Königssohn entgegen, und noch immer fand er es reizend und rührend. Der Bediente öffnete ihm verschiedene andere Zimmer; er fand eine Bibliothek, eine Naturaliensammlung, ein physikalisches Kabinett. Er fühlte sich so fremd vor allen diesen Gegenständen. Felix war indessen erwacht und ihm nachgesprungen; der Gedanke, wie und wann er Theresens Brief erhalten werde, machte ihm Sorge; er fürchtete sich vor dem Anblick Mignons, gewissermaßen vor dem Anblick Nataliens. Wie ungleich war sein gegenwärtiger Zustand mit jenen Augenblicken, als er den Brief an Theresen gesiegelt hatte und mit frohem Mut sich ganz einem so edlen Wesen hingab.

      Natalie ließ ihn zum Frühstück einladen. Er trat in ein Zimmer, in welchem verschiedene reinlich gekleidete Mädchen, alle, wie es schien, unter zehn Jahren, einen Tisch zurechtemachten, indem eine ältliche Person verschiedene Arten von Getränken hereinbrachte.

      Wilhelm beschaute ein Bild, das über dem Kanapee hing, mit Aufmerksamkeit, er mußte es für das Bild Nataliens erkennen, sowenig es ihm genugtun wollte. Natalie trat herein, und die ähnlichkeit schien ganz zu verschwinden. Zu seinem Troste hatte es ein Ordenskreuz an der Brust, und er sah ein gleiches an der Brust Nataliens.

      "Ich habe das Porträt hier angesehen", sagte er zu ihr, "und mich verwundert, wie ein Maler zugleich so wahr und so falsch sein kann. Das Bild gleicht Ihnen im allgemeinen recht sehr gut, und doch sind es weder Ihre Züge noch Ihr Charakter."

      "Es ist vielmehr zu verwundern", versetzte Natalie, "daß es so viel ähnlichkeit hat; denn es ist gar mein Bild nicht; es ist das Bild einer Tante, die mir noch in ihrem Alter glich, da ich erst ein Kind war. Es ist gemalt, als sie ungefähr meine Jahre hatte, und beim ersten Anblick glaubt jedermann mich zu sehen. Sie hätten diese treffliche Person kennen sollen. Ich bin ihr so viel schuldig. Eine sehr schwache Gesundheit, vielleicht zuviel Beschäftigung mit sich selbst und dabei eine sittliche und religiöse ängstlichkeit ließen sie das der Welt nicht sein, was sie unter andern Umständen hätte werden können. Sie war ein Licht, das nur wenigen Freunden und mir besonders leuchtete."

      "Wäre es möglich", versetzte Wilhelm, der sich einen Augenblick besonnen hatte, indem nun auf einmal so vielerlei Umstände ihm zusammentreffend erschienen, "wäre es möglich, daß jene schöne, herrliche Seele, deren stille Bekenntnisse auch mir mitgeteilt worden sind, Ihre Tante sei?"

      "Sie haben das Heft gelesen?" fragte Natalie.

      "Ja!" versetzte Wilhelm, "mit der größten Teilnahme und nicht ohne Wirkung auf mein ganzes Leben. Was mir am meisten aus dieser Schrift entgegenleuchtete, war, ich möchte so sagen, die Reinlichkeit des Daseins, nicht allein ihrer selbst, sondern auch alles dessen, was sie umgab, diese Selbständigkeit ihrer Natur und die Unmöglichkeit, etwas in sich aufzunehmen, СКАЧАТЬ