Название: Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1
Автор: Reinhart Maurach
Издательство: Bookwire
Серия: C.F. Müller Lehr- und Handbuch
isbn: 9783811492561
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Die lebenslange Freiheitsstrafe ist unter den Voraussetzungen einer restriktiven Auslegung der Mordmerkmale (s.o. Rn. 4) und der Aussetzungsmöglichkeit nach § 57a mit dem Grundgesetz vereinbar[136], aber praktisch keine lebenslange Strafe mehr[137]. Im Übrigen ist sie durch BGH 30, 105 relativiert (s.o. Rn. 27, 46). Sie ist auch bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit (BVerfGE 50, 5) und beim Versuch zulässig[138]. Eine Verfahrensverzögerung führt nicht – wie sonst – zu einer Reduzierung (BVerfG NStZ 06, 680).
Nach BVerfGE 86, 288 ist die besondere Schwere der Schuld, die nach § 57a Abs. 1 Nr. 2 die weitere Vollstreckung gebietet, schon im Urteil festzustellen[139]. Dabei sind Tat und Täterpersönlichkeit zusammenfassend zu würdigen (BGH-GS 40, 360).
Durch § 57a StGB und BGH 30, 105 (s.o. Rn. 46) ist an dem Wortlaut des § 211 vorbei eine Dreistufung des Mordes entstanden:
a) | Mord mit besonderer Schwere der Schuld |
b) | Mord ohne besondere Schwere der Schuld |
c) | Mord unter außergewöhnlichen mildernden Umständen. |
Über das Verhältnis zum Raub u. § 35 Rn. 36 ff., zu den Körperverletzungsdelikten o. Rn. 21 und u. § 8 Rn. 42. Wahldeutige Tatfeststellung bei mehreren infrage kommenden subjektiven Qualifikationsgründen ist zulässig (BGH 22, 12); zur Hinweispflicht nach § 265 StPO BGH 25, 287.
Anmerkungen
Hierzu Zur Verjährung nat.-soz. Verbrechen, Dokumentation, Zur Sache 3–5/80.
BVerfGE 45, 187 m. zahlr. Nachw.; ferner SA-Berat. V/2593 ff.; Triffterer-Bietz ZRP 74, 141 ff.; Erichsen NJW 76, 1721.
Gegen die gesetzliche Verschleierung mit Recht Luttermann ZRP 99, 334.
LG Frankfurt NJW 80, 1402; BGH NStZ 94, 183; 04, 620.
Krit. Meurer JR 92, 441; Geis NJW 92, 2938; Eisenberg JZ 92, 1188.
A. Minder schwerer Fall des Totschlags (§ 213)
Schrifttum:
Deckers, Die Provokationsvariante des § 213 StGB, FS Riess 2002, 651; Eser, Renaissance des § 213 StGB: der „minder schwere Fall des Totschlags“ im Lichte der Rechtsprechung, FS Middendorf 1986, 65; Geilen, Provokation als Privilegierungsgrund der Tötung? – Kritische Betrachtungen zu § 213 StGB, FS Dreher 1977, 357; Maatz, Der minder schwere Fall des Totschlags – Versuch einer normativ-ethischen Reduktion des § 213 StGB, FS Salger 1995, 91; Middendorf, Probleme um § 213 StGB, in: Göppinger/Bresser (Hrsg.), Tötungsdelikte, 1980, 133; Neumann, Zum Verhältnis von minder schwerem Fall des Totschlags (§ 213 StGB) und Mord (§ 211 StGB) nach dem 6. Strafrechtsreformgesetz, FS Eser 2005, 431; H. Schneider, Überlegungen zur restriktiven Auslegung von § 213 StGB, NStZ 01, 455; Zwiehoff, Die provozierte Tötung, 2001.
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1. Die für den Totschlag angedrohte Strafe ermäßigt sich auf Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren, „wenn der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden war oder sonst ein minder schwerer Fall vorliegt“. Die h.M. betrachtet den § 213 schlechthin als eine bloße Strafzumessungsregel innerhalb des § 212[140]. Dem ist nur z.T. zuzustimmen. Der Affekttotschlag (§ 213 1. Alt.) behält nämlich seine selbstständige Bedeutung im Falle des Zusammentreffens mit Mordmerkmalen (u. 4): in diesem Falle übt er die unbedingte Sperrwirkung des milderen Tatbestandes aus[141]. Im Übrigen ist der h.L. beizutreten: § 213 enthält „unbenannte“ Strafmilderungsgründe (minder schwere Fälle).
§ 213 hat erhebliche praktische Bedeutung: er wird von den Tatgerichten bei ca. 19 % aller Verurteilungen wegen vorsätzlicher Tötung angewendet und vom BGH bei 25 % der Entscheidungen bejaht oder dem Tatrichter zur Prüfung aufgegeben (Eser NStZ 81, 431). Fälle, die früher als Mord galten, führen heute gerade noch zur Ablehnung des § 213 (z.B. BGH NJW 91, 1964). Aufgrund vielfältiger Kritik[142] hat das 6. StrRG die Strafdrohung verdoppelt. Dies beruht vor allem auf der fragwürdigen Anweisung von BGH 27, 4, wonach die Strafe für den „Durchschnittsfall“ im unteren Drittel des Strafrahmens liegen soll[143].
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2. a) Grundlage des Affekts ist eine dem Täter oder einem Angehörigen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1) zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung.
Weder „Misshandlung“ noch „schwere Beleidigung“ sind im eng tatbestandlichen Sinne zu verstehen. Entscheidend ist, dass die Handlung eine begreifliche Gemütserregung hervorrief. Daher gehören auch seelische Misshandlungen hierher, ohne dass sie „roh“ (vgl. § 225) zu sein brauchen, Bedrohungen (RG HRR 35, 312), Kränkungen, die nicht unbedingt als Beleidigung i.S. des § 185 zu gelten brauchen[144], Missachtungen des Hausrechts (BGH MDR/H 79, 987), ebenso unvorsätzlich zugefügte Misshandlungen, sofern sie nur vom Täter als bezweckt empfunden werden (OGH NJW 50, 315). Die „Schwere“ der Beleidigung ist objektiv zu bestimmen (BGH NStZ 81, 300; 82, 27); sie kann sich auch aus fortlaufenden leichteren Kränkungen ergeben[145], der „Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt“ (BGH StV 91, 105; NStZ-RR 96, 259; abl. Maatz aaO 99). Eine Verhältnismäßigkeit zur Schwere der Vortat ist nicht erforderlich[146], doch bedarf bei einem auffallenden Missverhältnis die Ursächlichkeit für die Tötungshandlung besonders sorgfältiger Prüfung (BGH LM § 213 Nr. 4; GA 70, 214). Da es nur auf den Affektwert und damit auf die impressive Wirkung dieser Akte ankommt, ist es unerheblich, ob sie wirklich begangen wurden und vom Opfer der Affektreaktion ausgingen: auch eine – „ohne eigene Schuld“! – nur vorgestellte Kränkung reicht zur Bildung eines verständlichen Affektes aus[147].
b) Der Täter muss „ohne eigene Schuld“ zum Zorn gereizt worden sein. Richtiger wäre die Formulierung: ohne genügende Veranlassung[148]. СКАЧАТЬ