Название: Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1
Автор: Reinhart Maurach
Издательство: Bookwire
Серия: C.F. Müller Lehr- und Handbuch
isbn: 9783811492561
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ff) Für den subjektiven Tatbestand genügt bloße Kongruenz: die bewusste „Ausnutzung“ der Arglosigkeit usw. liegt schon darin, dass der Täter sie kennt und sein Handeln danach einrichtet[115]. Eine diesbezügliche Absicht (dagegen mit Recht BGH 22, 80; NJW 67, 1141) oder gar darüber hinausgehende Tendenz, insbesondere ein verwerflicher Beweggrund, sind nicht zu verlangen.
Bei hochgradiger Erregung und plötzlich aufsteigender Wut schließt die Rechtsprechung eine bewusste Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit aus[116].
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b) Die zweite objektive Qualifikation des Mordes ist die grausame Begehung[117]. Grausam tötet, wer dem Opfer besonders starke Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art aus gefühlloser oder unbarmherziger Gesinnung zufügt (BGH 3, 264); da auch die Zufügung besonderer psychischer Qualen (Ängstigung, Hinauszögerung des Tötungsaktes usw.) genügt, ist Mord auch dann gegeben, wenn die Tötung selbst schmerzlos, z.B. durch einen sofort tödlichen Schuss erfolgt (OGH 2, 179; BGH NJW 51, 666; BGH 49, 195 zu Vergeltungsmaßnahmen im 2. Weltkrieg). Abwegig erscheint die Auffassung der Rechtsprechung, wonach die Grausamkeit verlangt, dass die zugefügten Schmerzen über das zur Tötung Erforderliche hinausgehen, und gar bei einer Hervorrufung durch Gegenwehr entfällt[118]. Durch eine herabgesetzte Empfindungsfähigkeit des Opfers, z.B. Halbohnmacht, wird das Merkmal der Grausamkeit nicht ausgeschlossen (OGH HESt 2, 277). Dass ein einjähriges Kind das Verhungern und Verdursten als besonders starke körperliche und seelische Leiden empfindet, ist gesicherte Erkenntnis (BGH MDR/D 74, 14). Grausames Verhalten nach der den Tod verursachenden Handlung genügt ebenso wenig (BGH 37, 40; abl. Walther NStZ 05, 664) wie solches vor Fassung des Tötungsvorsatzes (BGH NStZ 86, 265). Auch Handlungen von kürzerer Dauer scheiden aus (BGH NStZ 08, 29 m. Anm. H. Schneider). Beim Unterlassen kann es an der von § 13 verlangten Gleichwertigkeit fehlen[119].
Da die Verursachung besonders starker Schmerzen oder Qualen objektives Tatbestandsmerkmal ist, entfällt der Vorsatz, wenn der Täter versehentlich ein derart wirkendes Mittel verwendet. Die gefühllose oder unbarmherzige Gesinnung ist aus den Tatumständen und aus der Persönlichkeit des Täters zu entnehmen[120]. Sie ist mit anderen Beweggründen (s. Rn. 30 ff.) vereinbar (BGH NJW 88, 2682), kann aber bei notstandsähnlichen Motiven oder beherrschendem Einfluss eines anderen fehlen (BGH NStZ 82, 379).
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c) Einen Mord begeht schließlich, wer einen Totschlag mit gemeingefährlichen Mitteln vollführt. Qualifikationsgrund ist die besondere Rücksichtslosigkeit des Täters, der zur Begehung des Verbrechens Naturgewalten mit konkreter Gefährdung unbeteiligter Werte, insbesondere von Menschenleben, entfesselt[121]. Wie bei den §§ 314, 323c (s. Tlbd. 2, § 50 Rn. 13) bedarf es auch bei § 211 der gleichen abstrakten Gefahr für einen unbestimmten Güterkreis unter Einbeziehung in den Vorsatz des Täters. BGH NJW 85, 1477 lässt die konkrete Gefährdung von zwei Menschen genügen, weil unbestimmt viele hätten anwesend sein können[122]. Die Gemeingefährlichkeit bestimmt sich nicht technisch-absolut nach der Eignung des Mittels, sondern persönlich relativ nach den Fähigkeiten des Täters: die vom Polizisten gezielt einsetzbare Maschinenpistole gerät in der Hand des Unkundigen außer Kontrolle und wird daher gemeingefährlich (Maurach JuS 69, 255). Dagegen macht die Möglichkeit einer aberratio ictus eine Schusswaffe auch dann nicht zum gemeingefährlichen Mittel, wenn der Täter sie bewusst in Kauf nimmt (BGH 38, 353). Ein Kfz wird zum gemeingefährlichen Mittel, wenn der Täter unberechenbar durch eine Menschenmenge fährt (BGH NStZ 06, 167) oder in Selbsttötungsabsicht Beifahrer oder andere Verkehrsteilnehmer mitgefährdet (BGH NStZ 06, 503; 07, 330). Eine bloße Ausnutzung einer gemeingefährlichen Situation und damit ein Unterlassen genügen nicht (BGH 34, 14; 48, 149).
BGH 34, 13 will die Ingerenzhaftung nicht für gemeingefährliche Mittel gelten lassen (fahrlässige Inbrandsetzung eines Wohnhauses)[123].
Anmerkungen
Allerdings hat BGH NStZ 05, 688 m. abl. Anm. Mosbacher Arglosigkeit bejaht, weil das Opfer die Schießdrohung nicht ernstnahm.
Anm. Rengier NStZ 86, 505 und Frommel StV 87, 292. Einschränkend schon BGH NJW 80, 792; bedenklich aber noch BGH NStZ 83, 34. Ausweitend aber wieder BGH NJW 91, 1963: der Beginn von Tätlichkeiten durch das Opfer schließt dessen Arglosigkeit aus, auch wenn der Täter seine Waffe verborgen hatte.
Zust. Roxin JZ 03, 961 u. FS Widmaier 2008, 741; Widmaier NJW 03, 2788; Otto NStZ 04, 143; Rengier NSt 04, 236.
Abl. auch Küper GA 06, 312; Hillenkamp FS Rudolphi 04, 472 und JZ 04, 49; Quentin NStZ 05, 129; Bendermacher JR 04, 303; H. Schneider NStZ 03, 429; BGH NStZ 05, 688 m. Anm. Morbacher; NStZ 07, 525.
BGH 22, 77; NStZ 08, 569 m. Anm. Schroeder JR 08, 392; Bedenkliche Ausweitung bei Baumann NJW 69, 1281. Großzügig BGH NStZ 89, 365; NJW 91, 1963. Interessanter Fall BGH 32, 382 m. Anm. Jakobs JZ 84, 996; M.-K. Meyer JR 86, 133 (keine Heimtücke bei Ausnutzung einer ohne Tötungsvorsatz erfolgten einverständlichen Fesselung).
BGH NStZ 99, 506; 06, 502; JR 08, 391. Kritisch Rengier FS Küper 07, 476; Schroeder JR 08, 392.
OGH SJZ 49, 347 betr. Geisteskrankentötung mit Anm. Eb. Schmidt; BGH JR 51, 687. Gegen das Erfordernis eines Vertrauensbruchs auch BGH 30, 115 m. Nachw.
BGH NJW 66, 1824; NStZ 08, 94. Abl. Dreher MDR 70, 248; Fischer 42a; Bosch/Schindler Jura 00, 80. Anders bei Herbeiführung der Bewusstlosigkeit BGH JR 08, 391 m. abl. Anm. Schroeder.