Название: Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten
Автор: Frank Rehfeld
Издательство: Автор
isbn: 9783956179129
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"Cara", antwortete das Mädchen. "Du bist wirklich ein Elbe?" Einen Moment lang musterte es ihn neugierig, sein fein geschnittenes Gesicht, das lange silbergraue Haar und seine spitz zulaufenden Ohren, doch gleich darauf ließ es seinen Blick wieder ängstlich umherwandern. Was die Kleine mitangesehen hatte, musste furchtbar gewesen sein, und es würde lange dauern, bis sie über dieses schreckliche Erlebnis hinwegkam. Wenn überhaupt. Vermutlich würde sie die seelischen Narben, die sie erlitten hatte, für den Rest ihres Lebens mit sich herumtragen.
"Das bin ich", bestätigte er. "Und du bist also Cara. Das ist ein hübscher Name. Hör mir gut zu, Cara, auch wenn du dich nicht daran erinnern möchtest, du musst mir erzählen, was passiert ist. Wer hat euer Dorf überfallen?"
"Ungeheuer!", stieß das Mädchen hervor. "Es waren ... Ungeheuer. Monster."
"Männer in Rüstungen aus schwarzen Hornschuppen?", hakte Selon nach.
"Nein." Cara schüttelte heftig den Kopf. "Richtige Ungeheuer. Ich ... ich habe so etwas noch nie vorher gesehen. Sie hatten ... viel zu viel Arme und Beinen, fast wie riesige Spinnen. Oder Ameisen. Aber sie ... sie sahen noch viel schrecklicher aus. Als wären sie direkt ... aus der Hölle gekommen."
Selon überlegte blitzschnell. Er war nicht sicher, was er von der Schilderung halten sollte. In ihren monströsen Rüstungen mochten die Hornmänner wie Ungeheuer erscheinen, aber Caras Beschreibung passte absolut nicht auf sie, auf überhaupt keine Wesen, die er jemals gesehen oder von denen er gehört hatte. Aber anderseits war sie verwirrt und stand immer noch unter einem schlimmen Schock. Möglicherweise hatte sie die Angreifer gar nicht richtig gesehen und schmückte ihr Aussehen unbewusst mit dem irgendwelcher Fantasiemonster aus ihren Alpträumen aus.
"Und was ist dann passiert?", fragte er.
"Sie ... sie waren auf einmal da. Ganz plötzlich", berichtete sie stockend. "Ich habe schon geschlafen, aber meine Eltern ... sie haben mich mit einem Mal geweckt und aus dem Bett gezerrt. Wir ... sind ins Freie gelaufen, aber die Ungeheuer ... sie waren schon überall." Cara schluchzte, und Tränen liefen ihr über die Wangen. "Wir ... wir haben es irgendwie aus dem Dorf geschafft, aber kurz, bevor wir den Wald erreichten, haben sie uns eingeholt und ... ich bin gefallen und unter einen Busch gerollt", stieß sie weinend hervor. "Da haben sie mich wohl nicht gefunden ... oder sie haben mich für tot gehalten. Aber meine Eltern ..." Von einem erneuten Weinkrampf geschüttelt, brach sie ab und schluchzte nur noch.
"Arme Kleine", sagte Selon mitfühlend, strich ihr mit der Hand über das Haar und wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht. Obwohl es noch vieles gab, was ihn interessiert hätte, verzichtete er darauf, ihr weitere Fragen zu stellen, mit denen er sie nur quälen würde. "Ich werde ins Dorf gehen", sagte er stattdessen, als das Schweigen nach einiger Zeit unangenehm zu werden begann. "Ich muss ..." Er sprach nicht weiter, weil er es nicht fertigbrachte, ihr zu sagen, dass er vorhatte, die Leichen zu beerdigen.
"Nein!", keuchte sie entsetzt, packte mit beiden Händen seinen Arm und klammerte sich daran. "Nein, das darfst du nicht! Du darfst nicht hingehen!"
"Es geht nicht anders", behauptete er. "Aber ich komme so schnell wie möglich zurück, das verspreche ich dir."
"Nein!", rief Cara noch einmal. Ihr Blick flackerte. Obwohl sie nur ein kleines Mädchen war, drückte sie seinen Arm so fest, dass ihre Finger ihm wehzutun begannen. "Du darfst nicht weggehen!"
"Aber es muss sein", erklärte Selon eindringlich. Mit sanftem Druck löste er ihren Griff. "Aber es ist besser, wenn du hier wartest. Glaub mir, ich werde wiederkommen."
"Ich bleibe nicht hier. Eher komme ich mit", verlangte sie. "Du darfst mich nicht allein lassen!"
"Nur ein oder zwei Stunden höchstens", behauptete Selon. Er wollte nicht, dass Cara ihn begleitete, wenn er die Gräber aushob, doch er konnte verstehen, dass sie nicht allein zurückbleiben wollte. Dennoch musste es sein.
"Ich bleibe nicht hier", beharrte sie mit der Kindern eigenen Sturheit. "Wenn du gehst, dann komme ich mit. Versuch gar nicht erst, mich davon abzubringen. Ich gehe mit dir."
Selon erkannte, dass er sie nicht würde umstimmen können. Um sie davon abzuhalten, ihn zu begleiten, müsste er sie schon festbinden. Er mochte Kinder, aber er hatte wenig Erfahrungen mit ihnen und konnte nicht richtig mit ihnen umgehen, wie ihm jetzt überdeutlich bewusst wurde. Ihre ganze Art zu denken war ihm fremd, weshalb er sich hilflos fühlte. Aus diesem Grund verunsicherte ihn die ganze Situation, in der er sich jetzt befand.
Er konnte höchstens selbst auch darauf verzichten, nach Weidenau zu gehen, sondern Cara stattdessen erst nach Ai'Lith, zur Hohen Festung der Elben bringen, oder zumindest in die nächste größere Stadt, und anschließend erst zurückkehren, um die Toten zu begraben und seine Nachforschungen fortzusetzen. Aber er hatte bislang noch keinen konkreten Hinweis auf die Identität derer, die für die Überfälle verantwortlich waren, und eventuelle Spuren könnten bis zu seiner Rückkehr von Wind und Regen verwischt worden sein. Außerdem würde es ihm zutiefst widerstreben, die Leichen tagelang einfach so liegen zu lassen, auch wenn die Lebenden für ihn in jedem Fall Vorrang vor den Toten hatten.
"Was du zu sehen bekommst, wird bestimmt sehr schlimm für dich werden", unternahm er einen letzten Versuch, sie umzustimmen, auch wenn er wusste, dass es nichts mehr nutzen würde. "Es gibt mit Sicherheit viele Tote in Weidenau, all die Menschen, die du kennst."
Cara schluckte schwer, dann nickte sie und senkte den Kopf. Ihr Gesicht sah kalkweiß aus. "Ich weiß", murmelte sie. "Aber ich ... ich halte das schon aus. Das ist nicht so schlimm, als allein hier zurückzubleiben."
"Also gut", sagte Selon seufzend. "Dann komm. Bringen wir es schnell hinter uns."
Er stand auf, und sie erhob sich ebenfalls. In einer rührenden Geste schob sie ihre Hand in die seine. Immer wieder blickte er sich aufmerksam um, als sie den Schutz des Waldes verließen. Ein paar dunkle Punkte am Himmel erregten für einen Moment seine Aufmerksamkeit; drei sehr hoch fliegende und anscheinend ziemlich große Vögel. Sonst war nirgendwo ein Lebewesen zu entdecken.
Sie hatten etwa die halbe Strecke bis zum Dorf zurückgelegt, als Selon erneut hochblickte und feststellte, dass die Vögel verschwunden waren, doch er schenkte dieser Tatsache keine weitere Beachtung. Seine Aufmerksamkeit galt in erster Linie den Ruinen vor ihm, wo es aber auch weiterhin keinerlei Anzeichen von Leben gab.
Wenige Sekunden später stieß Cara einen entsetzten Schrei aus. Selon fuhr herum. Pfeilschnell kamen die drei Wesen, die er zuvor hoch über ihnen am Himmel entdeckt hatte, vom Waldrand aus auf sie zugeschossen, doch anders, als er zunächst gedacht hatte, waren es keine Vögel. Es handelte sich um überhaupt keine Wesen, wie er sie jemals zuvor gesehen hatte. Sie waren nahezu mannsgroß, mit feingliedrigen, fast zierlichen Körpern, die von einem Panzer aus schwarzen Schuppen bedeckt waren und in einem peitschenartigen Schwanz endeten. Während des Fluges schlugen sie mit ihren dunklen, gezackten Schwingen, die doppelt so groß wie ihr eigentlicher Körper waren. Vier Extremitäten entwuchsen ihrem Leib; zwei kurze Beine und zwei noch kürzere, fast stummelartige Arme, die alle vier in furchteinflößenden, rasiermesserscharfen Krallen endeten. Ihre insektenhaften Gesichter entstammten geradewegs aus einem Alptraum. Sie schienen fast nur aus zwei rotglühenden, tückisch funkelnden Augen und einem riesigen Maul zu bestehen, aus dem zwei Doppelreihen spitz zulaufender Reißzähne herausragten.
Einen Moment lang starrte Selon den drei Kreaturen vor Schrecken wie gelähmt entgegen. Als er seine Erstarrung endlich überwand, СКАЧАТЬ