Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt
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Название: Reichsgräfin Gisela

Автор: Eugenie Marlitt

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754187548

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СКАЧАТЬ und Sicherheit an dem Spiel bewundern müssen – diese perlenreinen Triller und Läufe konnten sich vor dem ausgesuchtesten Konzertpublikum hören lassen. Gleichwohl hatte der alte feindselige Kritiker nicht ganz unrecht mit der naiven Bezeichnung »Rasen«. Die brillante Tarantella wurde in schwindelnd schnellem Tempo genommen – die Töne sprühten, aber wie sogenannte kalte Funken, sie zündeten nicht und ließen den Zuhörer in Zweifel, ob in den flinken, aber automatenhaft gleichförmig herunterspielenden Fingern auch wirklich lebenswarmes Blut pulsiere.

      Der alte Soldat nahm die Kerze und öffnete die Türe, die in das Erdgeschoß des südlichen Turmes führte. Welche Gegensätze trennte diese Tür! Draußen die öde, leere Halle mit dem schauerlich widerhallenden Steinfußboden und dem Mangel an jeglichem Gerät, und hier ein Gemach, angefüllt mit einer wahrhaft kostbaren Möbeleinrichtung. Wir müssen sagen »angefüllt«, denn das Zimmer war ziemlich klein und umfaßte die vollständige Ausstattung eines ehemaligen großen Salons. Das war der letzte Rest alter Herrlichkeit, den die Witwe zu behaupten gewußt hatte. Im ersten Augenblick blendete diese unerwartete Pracht, aber bald wich die Überraschung einem Gefühl der Wehmut, des tiefen Mitleids. Diese geschnitzten Palisanderetageren und -tische, diese Sofas und Sessel mit dem aprikosenfarbenen Seidendamastbezug standen an Wänden, die eine uralte, brüchige Ledertapete bedeckte; die gepreßten, ehemals vergoldeten Arabesken in derselben hatten längst ein schmutziges Braun angenommen und traten um so widerwärtiger da hervor, wo sie mit der blinkenden Einfassung des deckenhohen Spiegels oder dem Goldrahmen eines Ölbildes in Berührung kamen; vor den Fenstern aber hingen bunte Zitzgardinen, und der riesige, dunkle Ofen ragte grob und ungeschlacht in die zierliche Ausstattung und nahm ihr den letzten Anschein von Harmonie.

      Sievert zerdrückte den im letzten Stadium aufflackernden und qualmenden Lichtdocht zwischen den Fingern und stellte dafür die frische Kerze auf den Tisch.

      Die Frau, die einsam, in sich zusammengesunken in einem Sessel kauerte, bemerkte den wohltuenden Wechsel nicht – denn sie war blind – »blind geweint hat sich die arme Frau!« sagten die Leute, und sie hatten wohl nicht unrecht. Auch sie erhöhte den peinlichen Eindruck, den das Zimmer in seinen Widersprüchen erweckte; sie war mehr als einfach gekleidet, ihr dunkles, baumwollenes Kleid breitete sich förmlich hohnvoll über die strahlenden Polster des Lehnstuhles.

      »Sind Sie endlich da, Sievert?« sagte sie verdrießlich mit schwacher, aber scharfklingender Stimme. »Sie brauchen ja immer eine halbe Ewigkeit zu Ihren Ausgängen! Meine Tochter übt und hört mein Rufen nicht – ich habe mich fast heiser geschrien... Mich friert. Jedenfalls haben Sie den Ofen nicht gehörig versorgt, ehe Sie fortgegangen sind, und Jutta hat vergessen, das Fenster zu verhängen – Sie hätten auch daran denken können... Und was für schauderhafte Lichte bringen Sie jetzt immer ins Haus – das ist ja ein Geruch und ein Qualm –, nicht in unserer Domestikenstube hätte ich früher dergleichen gelitten!«

      Der alte Diener ließ diese Vorwürfe ohne Widerrede über sich ergehen. Wachs- und Stearinlichte konnte die gnädige Frau nicht bezahlen, noch weniger aber das Öl, das die prachtvolle, aus dem Ruin gerettete Astrallampe verbrauchte. Er öffnete schweigend einen Schrank, nahm eine verblichene, rotseidene Steppdecke heraus und hängte sie vor das der Kranken am nächsten liegende Fenster.

      Frau von Zweiflingen ergriff eines ihrer langen Haubenbänder und rollte es mechanisch zwischen den dünnen, wachsgelben Fingern auf und ab – es lag etwas nervös Aufgeregtes in dieser Bewegung.

      »Sie haben einen abscheulichen Rauchgeruch in Ihren Kleidern mit hereingebracht, Sievert«, hob sie wieder an und richtete ihre erloschenen Augen nach dem Fenster, wo sie Sievert noch hantieren hörte. »Ich habe Sie im Verdacht, daß Sie nasses Holz brennen, wenn ich auch nicht begreife, wie Sie dazu kommen... Sie haben doch ohne Zweifel unser Winterholz im Sommer zur rechten Zeit einfahren lassen – denn Sie sind ja sehr praktisch –, liegt es denn nicht an einem trockenen Ort?«

      Ein beißendes Lächeln glitt um Sieverts Lippen, als er das Wort »einfahren« hörte. Ja, auf diesen seinen Schultern hatte er heuer das Winterholz der gnädigen Frau »eingefahren«, und es mochte freilich mancher noch grüne Ast mit untergelaufen sein, der jetzt im Ofen zischte und die Nase der Dame beleidigte... Sievert hatte die Kasse der Frau von Zweiflingen unter seinen Händen, seit er bei ihr eingetreten war. Früher gelang es ihm, auszukommen und, wenn auch mit großer Mühe, den Anschein eines behaglichen Auskommens der Welt gegenüber aufrecht zu erhalten; aber jetzt kostete die Krankheit viel Geld. Daran dachte die Frau nicht im entferntesten; ebensowenig hatte sie eine Ahnung, daß das Abendbrot, welches sie heute essen sollte, wie auch das verabscheute Talglicht, aus Sieverts Tasche bezahlt seien – denn es war kein Groschen mehr im Hause.

      Der alte Diener versicherte indes seiner Gebieterin, daß das Holz wohlverwahrt im nördlichen Turm liege, und schob alle Schuld auf den Sturm, der den Rauch in die Halle blase. Dabei nahm er gleichmütig eine Serviette, zwei Tassen und eine messingene Teekanne aus dem Schranke und arrangierte einen Teetisch vor dem Sofa.

      In diesem Augenblick schloß das Klavierspiel im Nebenzimmer mit einem rauschenden Akkord. Frau von Zweiflingen seufzte erleichtert auf und preßte ihre Hände einen Moment gegen die Schläfe – für ihr zerrüttetes Nervensystem mußte die geräuschvolle Musik eine wahre Marter gewesen sein.

      Die Tür des Nebenzimmers ging auf. Wenn statt der Gardinen plötzlich bestaubte Spinnweben die tiefen Fensternischen des Turmgemachs überhangen hätten, wenn die elegante Möbeleinrichtung in den Erdboden gesunken und statt des Teetisches eine Kunkel zur Seite der Frauengestalt im Sessel auferstanden wäre, dann hätte Prinzessin Dornröschens Erscheinen bei der mörderischen Frau Stubenpoesie nicht lieblicher verkörpert werden können als in diesem Augenblick. Dicht neben dem greulichen schwarzen Ofenungeheuer, im Rahmen der Türöffnung, erschien ein junges Mädchen. Diese kinderhaften Hände, die jetzt prüfend und ordnend durch die auf die Büste niederfallenden dunkeln Locken glitten, waren eben noch mit ungewöhnlicher Energie über die Tasten hingeflogen. Wie leicht mußte das so schwierige Klavierstück der jungen Spielerin geworden sein – auch nicht die leiseste Röte der Erregung lag auf dem Gesicht, das zwar blaß, aber frühlingsfrisch wie die Blüte des Kirschbaumes war. Es hatte nichts gemein mit jenem hippokratischen Frauenprofil, das so lebensmüde und mumienhaft braun auf dem gelben Seidenpolster lag – wohl aber wiederholten sich seine köstlichen Linien voll griechischer Schönheit immer und immer wieder in der langen Bilderreihe der Halle, und die schwarzen Augen, die da draußen in wilder Jagdlust funkelten oder in ihrem aristokratischen Bewußtsein kalt gleichgültig auf die Welt niedersahen, strahlten auch hier groß und weit geöffnet aus dem weißen Mädchengesicht. Um den Kontrast zwischen Mutter und Tochter noch schreiender zu machen und letztere in allem lediglich als Sproß der Zweiflingen zu kennzeichnen, die fast durchgängig in grünem, mit Goldstickerei bedecktem Samt prunkten, umrauschte die jugendliche Gestalt ein durchwirktes, blaßblaues Seidenkleid, um dessen viereckigen Halsausschnitt sich echte Spitzen in gelblicher Weiße kräuselten.

      »Nun, Sievert«, sagte das junge Mädchen, in das Zimmer tretend, »kann man endlich heißes Wasser bekommen?« Ihre Augen fielen auf den Teetisch. »Wie, nur zwei Tassen?« rief sie. »Haben Sie vergessen, daß wir Besuch erwarten?«

      »Der Besuch kann nicht kommen, weil der Herr Student krank geworden ist«, erwiderte Sievert kurz, während er die Teekanne noch einmal prüfend neben das Licht hielt, ob sie auch fleckenlos blinke.

      Die junge Dame sah plötzlich aus, als seien ihre sämtlichen Lebenshoffnungen vor ihr ins Wasser gefallen – ein Zug der bittersten Enttäuschung flog um ihre Lippen.

      »Oh, wie abscheulich!« klagte sie. »Darf man sich denn auch auf gar nichts mehr freuen?... Krank soll der junge Ehrhardt sein? Was fehlt ihm denn, wenn man fragen darf?« Eine Beimischung von Ironie und Unglauben trübte mißtönend die kinderklare Stimme des jungen Mädchens.

      »Hm – der Student wird sich auf der Reise erkältet haben«, erwiderte Sievert trocken, indem СКАЧАТЬ