Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt
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Название: Reichsgräfin Gisela

Автор: Eugenie Marlitt

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754187548

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СКАЧАТЬ oder verhüllenden Vorhänge – das besorgte der wohlgeheizte Ofen, der ja tröstlicherweise selbst im ärmsten Hause nicht fehlt; er behauchte sie mit einer dicken Dunstschicht, und so konnte kein Nachbar bei dem anderen sehen, ob er seine Abendkartoffeln einfach in das Salzfaß tunke oder sich den Luxus einiger Lot Butter auf seinem ungedeckten Tisch erlaube.

      Sievert durchmaß das Dorf mit verdoppeltem Eilschritt. Die erleuchteten Fenster erinnerten ihn, daß daheim das letzte Stümpfchen Licht auf dem Leuchter steckte; es hatte bereits sieben Uhr geschlagen, eine ziemliche Strecke Weges lag noch vor ihm, und die Bewohner des Waldhauses waren auf das Abendbrot angewiesen, das er im Korbe heimbrachte. Am Ende des Dorfes verließ er die Landstraße, die auf der Talsohle noch ein Stück fast schnurgerade in die weite Welt hineinlief, und betrat, links abbiegend, einen jener vernachlässigten Holzfahrwege, die nach einem aufweichenden Regen bodenlos, bei frosthartem, trockenen Wetter aber durch die fußtiefen Geleise geradezu halsbrechend werden.

      Das Waldhaus führte seinen Namen mit Recht. Vor Jahrhunderten von einem Herrn von Zweiflingen lediglich zu Jagdzwecken erbaut, lag es wie verloren im Walde. Bewohnt hatten es seine Besitzer niemals; das eigentliche Haus bildete eine einzige ungeheure Halle, und nur die zwei ziemlich umfangreichen Türme, die zu beiden Seiten der Vorderfront emporstiegen, enthielten einige Gemächer, in denen ehemals die Teilnehmer an den großen Jagden übernachtet hatten. Nach dem Tode des Majors von Zweiflingen war dessen Witwe in eine kleine Stadt Thüringens übergesiedelt. Ihr ganzes Einkommen bestand in einer sehr schmalen Pfründe, die ihr infolge einer uralten Zweiflingenschen Stiftung zufiel – eine kleine Pension, die ihr der Minister, Baron Fleury, beim Fürsten von A. ausgewirkt, hatte sie zurückgewiesen. Den Luxus, irgendwelche Dienerschaft zu halten, schloß der kleine Etat selbstverständlich aus; Sievert mußte demnach selbst für seinen Unterhalt sorgen, und er konnte es; er hatte das von seinem Vater ererbte Bauerngütchen verkauft, und die Zinsen des Kapitals reichten vollkommen aus für seine geringen Bedürfnisse. Vor zwei Jahren nun war ein Rückenmarkleiden bei Frau von Zweiflingen zum Ausbruch gekommen; sie hatte sich damals bereits dem Tode nahe gewähnt und mit fieberhafter Heftigkeit verlangt, auf Zweiflingenschem Grund und Boden zu sterben. Unter unsäglichen Mühen war sie nach dem Waldhaus, dem letzten Rest ehemaligen glänzenden Besitztums, geschafft worden und erwartete hier in völliger Abgeschiedenheit die erlösende Stunde.

      Allmählich stieg der Boden unter Sieverts Füßen aufwärts. Der alte Soldat watete bis über die Knöchel in dem zwischen den Furchen liegengebliebenen Schnee und hatte schwer zu kämpfen mit dem Sturm, der hier widerstandslos über den baumlosen Wiesenabhang hinpfiff. Aber schon brauste es schutzverheißend von droben herab – wohl heult der Sturm auf ein altes Schloß in einer ganz besonderen Tonart; allein nicht weniger ergreifend klingen seine Stimmen, wenn er die Waldwipfel schüttelt, wenn er jedes dürre, zusammengekrümmte Eichenblatt zu seinem Sprachrohr macht und die leblose Blätterleiche zwingt, klagend mitzusingen von toter Waldesherrlichkeit, von Lenzesliebe und Sommertraum, aber auch von alten, alten Zeiten, da das Trara aus dem Hifthorn des Knappen scholl und das goldige Haar der pirschenden Edeldame über dem Dickicht wehte.

      Für Sievert klang auch noch anderes mit in dem Tosen, das jetzt über seinem Haupte hinzog. Die zürnenden Stimmen der alten gestrengen Herren von Zweiflingen – sie hatten hier geherrscht mit dem ganzen Gewicht feudaler Macht und Rechte, sie hatten oft unerbittlich grausam und blutig gerichtet über den Walddieb und Wilderer in ihrem Revier –, und jetzt mußte der alte Soldat auf dem nun fremden Grund und Boden die dürren Reiser auflesen, um den letzten Nachkommen des glänzenden Geschlechts eine warme Stube zu verschaffen; er war noch vor kurzem in dem Untergehölz, inmitten der scheelsehenden Bettelkinder des Dorfes, umhergekrochen und hatte von dem scharlachnen Teppich der Preiselbeeren ein paar Körbe voll eingeheimst, zur Erquickung der letzten Frau von Zweiflingen.

      Der Alte pfiff leise zwischen den Zähnen, wie einer, der ein bitteres Auflachen verbeißen will. Plötzlich blieb er stehen – ein zornig knurrender Ton entschlüpfte seinen Lippen –, von fern flimmerte ein matter Lichtpunkt durch die Flocken, die in diesem Augenblick minder dicht niederfielen.

      »Aha, da hängt wieder einmal die Decke nicht vor dem Fenster! Bei dem Wind!« murmelte er grimmig. »Das wird ja hübsch durch die Stube pfeifen!... Nun fehlt nur noch, daß sie auch den Ofen vergessen hat.«

      Er lief vorwärts und lachte plötzlich auf – der Wind trug ihm einzelne volle Klavierakkorde entgegen.

      »Nun ja, da haben wir's – sie rast wieder einmal –, konnte mir's schon denken!« grollte er weiterlaufend. Alle Selbstbetrachtungen waren im Nu verflogen vor dem Ärger, der sich des alten Soldaten bemächtigte. Was kümmerten ihn jetzt noch die wehklagenden und zürnenden Schatten der längst vermoderten Herren von Zweiflingen – er hörte nur die allmählich zur rauschenden Melodie werdenden Töne und sah den Lichtschein, der, unruhig hin und her flackernd, in der Tat aus einem unverhüllten Turmfenster fiel und dessen Eisenvergitterung in schwankenden, mattgezeichneten Umrissen auf die Schneedecke draußen warf.

      Die Fassade des Waldhauses trat um einige Schritte hinter die Türme zurück; vor ihr hinlaufend und um eine Anzahl Stufen erhöht, verband eine Galerie die beiden Türme. Der unmittelbar vom Waldboden hinaufführenden Treppe gegenüber, die das Steingeländer der Galerie in seiner Mitte durchbrach, erhob sich eine ungeheure Doppeltür, die direkt in die große Halle führte. Bei Sieverts Hinaufsteigen floß der Laternenschein über zwei lebensgroße Steinfiguren, die auf der Brüstung zu beiden Seiten der Treppe standen, geschmeidige Jünglingsgestalten in Edelknabentracht. Das umlockte Haupt zurückgeworfen und mit hochgehobenem Arm das steinerne Horn an den Mund setzend, bliesen sie seit Jahrhunderten das Halali hinaus in den Wald... Was für eine Versammlung wäre das geworden, wenn der Ruf all die toten Schläfer geweckt hätte, die hier, trunken von Wein und Jagdlust, als Gebieter auf der Terrasse gestanden und in stolzer Unantastbarkeit ihr weites Waldrevier überschaut hatten, all die Vertreter so vieler Generationen, grundverschieden in Tracht, Sitten und Anschauungen, aber heute wie immer zweifellos einig in dem einen Gedanken: um jeden Preis das Heft in der Hand behalten, herrschen und abermals herrschen, nicht um Haarbreite abgehen von den verbrieften Vorrechten, wohl aber sie ausdehnen und erweitern, wo irgend die Gelegenheit sich bietet!

      Das unerhebliche Geräusch des Aufschließens dröhnte verzehnfacht drin im Hause wieder, und als Sievert den Türflügel öffnete, da tat sich die Halle in ihrer kolossalen Tiefe auf wie ein unergründlicher Schlund. Sieverts erste Schritte galten dem Ofen; er schlug eine Tür zurück – die Kaminöffnung gähnte ihn in schwarzer Finsternis an.

      »Richtig – kein Funken Feuer! 's ist eine Sünde und Schande!« zürnte er. Im Nu hatte er sich der mitgebrachten Sachen entledigt, und gleich darauf prasselte ein tüchtiges Feuer im Ofen.

      Der Sturm fährt durch den Schornstein und jagt die Flammenzungen weit in die Halle herein. Dann fliegen jedesmal gelbrote Lichter über die gegenüberliegende Wand, und aus verwitterten Rahmen treten, dicht nebeneinander gereiht, lebensgroße Männergestalten. Sie alle sind im Jägerkleide und meist in Situationen gemalt, welche den Mut und das aristokratische Blut der Zweiflingen kennzeichnen sollen – der Kampf mit riesigen Ebern und Bären ist als Sujet am meisten vertreten. Über der Bilderreihe aber tauchen Hirschköpfe auf, die stolze Last seltener Geweihe tragend; weiße Tafeln mit schwarzer Inschrift besagen, wann und von wem jedes der edlen Tiere erlegt worden ist, und greifen dabei in eine so graue Vergangenheit zurück, daß ein altadliges Herz einen wahren Wonneschauer darüber empfinden könnte. Auch ein Orchester wird sichtbar; hier hatten einst die Trompeten geschmettert und mit lustigen Weisen die edlen Herren »ergötzet« beim üppigen Jagdschmause – jetzt klang ein leises Meckern von dorther, der Bretterverschlag unter der Tribüne war zum Ziegenstall degradiert worden.

      Sievert stellte einen Dreifuß in das Feuer und einen Topf voll frischen Wassers darauf – es war die primitivste Kücheneinrichtung, die sich denken läßt –, dann steckte er eine der mitgebrachten Talgkerzen auf einen Messingleuchter. Während dieser Verrichtungen wich ein stereotypes grimmiges Lächeln nicht einen Augenblick СКАЧАТЬ